Full text: Zeitungsausschnitte über sonstige Veröffentlichungen

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Ich will nus meiner Jugend etwas erzählen, etwas, das 
meinem Leben eigentlich die Richtung gab, keine Weihnachts- 
gefchichtc und doch von einem Kind, das mir vom Himmel 
gesandt schien. Im Jahre 1852 ließ mich meine Mutter in 
Schlesien bei meinem Schwager Grafen Ludwig Porck von 
Wartenburg zurück, um meiner Schwester Nina in der Pflege 
ihres Sohnes Max beizustehen. Da hatte man keine ruhigen 
Rächte, und oft stand ich am Fenster und sah angstvoll lind 
traurig in die Dunkelheit hinaus. Unten im Dorf stand ein 
kleines Haus, darin lag typhuskrank, sterbend eine Magd. 
Ihr Kindchen, ein Jammerbild von Haut und Knochen, zehn 
Monate alt, sahen mir oft vor der Tür. Meine Mlitter sagte 
dann seufzend: „Ach, wenn mir Gott meinen Max läßt, niöchte 
ich dies arme Dillg in Pflege nehmen, es hat noch so lebendige 
Aligen." Endlich war der kleine Sohn meiner Schwester 
außer Lebensgefahr. Die Mlitter reiste zurück. Beim Abschied 
sagte sie: „Wenn du mir Annele bringst, wollen wir sie in 
imjc-r Haus nehmen." 
Nun hätte ich rlihig schlafen können, aber immer hörte 
ich bei Tech und 'Rächt das Annele schreien. Es war wie eine 
Anklage, wie eine fleheiitliche Bitte, es ließ mir keine Ruhe. 
Brief ouf Brief wurde mit meinen Eltern gewechselt. Mutter 
und Vater schrieben: „Wenn dl, das Kind bringst, wollen wir 
es in linser Haus nehmen." 
Mein Schwager schüttelte den Kopf, es war doch ein tolles 
Unternehmen. Das Annele schien sterbend; damals gab es 
noch keine Säuglingspflege, ich verstand gar nichts davon. Wir 
waren jung, lustig, ja übermütig, tanzten bei Hof, spielten 
Komödie, und die Mutter schrieb, wir müßten es selbst pflegen, 
denn Dienstboten könne, man derlei nicht zumuten. Die 
Jugend ist ja gern tollkühn, glaubt fest ans Geliilgen, an 
sichere Freude, und so antwortete ich: „Nächster Tage 
komme ich zurück und bringe das Annele." 
Mein Schwager half mir auf alle Weise, begleitete nlich 
in das kleine Haus, lind bald stand ich am Krankenbett der 
Mutter, die mir das Annele selbst in den Arm legte, als be 
freite ich sie von einer drückenden Last. Damals war man 
auch noch nicht hygienisch; so kam nun das Kind aus der 
Krankenstube hinaus tu das Schloß. Drei Tage wurde es voll 
einer alten Magd gebadet und gesäubert, die Leute in der 
Küche behaupteten, es hätte einen Fehler im Hals lind könne 
nicht schlucken, es war aber nur zu schwach dazu. 
Im Schloß gab es viel Besuch, luftige junge Leute. Sie 
umstanden lachend den Wagen, der mich in Begleitung meines 
Schwagers nach Berlin bringen sollte. Bis Breslau bliest 
das Kind mir feiner Wärterin in einem anderen Wagen. Es 
war Abend, es schrie lind schrie, ich hörte es, sobald der Zug 
hielt. Wenn das die ganze Nacht so blieb, überhaupt so blieb, 
wenn ich es nicht still machen, ihm nicht helfen konnte! Mir 
wlirde angst. In Breslau legte die Magd es mir in den 
Schoß. Sie hatte ihm eine große, weiße Mütze aufgesetzt und 
es in einen abgelegten grauen Kindermantel geschlagen. Man 
fand das kleine Gespenst fiumi heraus, nur die großen, 
dunklen Augen leuchteten. 
Aber sobald es auf meinen Knieen lag, wurde es still, seine 
schönen, fragenden Augen fest auf mich gerichtet. Sie blieben 
die ganze lange Nacht offen. Ab und zu versuchte Annele ihr 
Fingerchen mir in den Mund zu stecken; der Widerwillen, Mil 
dem ich es verhinderte, erschreckte mich. Werde ich dies elende 
kleine Wesen lieben können? Ich liebte ja Kinder, aber dies 
sah nicht aus wie unsere Kinder, rosig, lustig, appetitlich, nein, 
wie ein kleines Alräunchen sah es aus. In dieser flacht 
schickte ich heiße Gebete zu Gott, damit er mir Kraft gebe, dies 
Kind zu lieben, und er erhörte mich. Niemand habe ich mehr 
geliebt als mein Annele. 
Selten weiß man, wo das Glück liegt. 
Uns wurde es in diesem Elend beschert. Mit einem 
duftenden Beilchenstrauß, der alle Widerwärtigkeiten dieser 
Nacht vergessen machte, stand mein späterer Schwager Geheiin- 
rat Abetzen am Bahnhof. Biel wurde hin und her geredet, ob 
die Tat klug und gut, ob dumm und schlecht sei — wir küm 
merten uns nicht darum. 
Annele war unser Kind, unser Trost, unsere Freude, un 
sere Hilfe. In der Hochschule für Musik wurde sic zur Lehrerin 
ausgebildet; sie bestand das Examen und gab schon Stunden, 
als sie mit 27 Jahren heimging. 
Es war Mai. Die Nachtigall fang und erinnerte an ihre 
liebe, eigenartige Stimme. 
aus
	        

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