© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 49
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liscke Aufführungen einem weiten Kreise des Publikums auf die Weise
zugänglich zu machen, daß der feste Eintrittspreis, der in der Regel
auch ein ziemlich hoher zu sein pflegt, durch eine Gabe, die zu be
stimmen in jedes Einzelnen Belieben gestellt ist, ersetzt wird. Wenn
man gesehen hat, wie die Juhörcrräume während des Konzerts in
allen ihren Theilen besetzt waren, einen wie tiefen Eindruck die mei
sten und unter ihnen namentlich solche, denen sonst selten Gelegenheit
geboten ist, sich einen derartigen Genuß zu verschaffen, aus dem Kon
zert hinweggenommen haben, wenn man bann noch erfährt, daß auch
in finanzieller Hinsicht ein befriedigendes Resultat sich ergeben, so
darf man diesen Versuch wohl als einen gelungenen betrachten. Das
genannte Konzert war aber auch bemerkenswert!) durch einen hoben
Grad künstlerischer Vollendung, zu der die hiesige Liedertafel, unsere
Sängerin Frl. Bertha Bruns und Hr. Organist Jimmerthal zusammen
wirkten, wie durch die Aussichten, welche es auf die Belebung unseres
Kirchengesanges zu eröffnen scheint. Um so erfreulicher ist es, zu
vernehmen, daß diesen nächsten Sonntag in der Jako biki rch e ein geist
liches Konzert in ganz ähnlicher Weise zur Aufführung kommen wird,
dessen Einnahme gleichfalls für einen wohlthätigen Zweck, nemlich für
den so erfolgreich als bescheiden wirkenden weiblichen Armen-Verein
bestimmt ist.
— Eine Einsendung hat die Beeinträchtigung der Schnei
der durch Hiesige und Fremde zum Gegenstand, und erneuert
die Beschwerden, welche in dieser Hinsicht in einem früheren Artikel
(Nr. 35 des L. B.) laut geworden sind. Es werde von mehreren Sei
ten förmlich dahin gearbeitet, die kleinen Schneider um ihren Erwerb
zu bringen und sie aus Gliedern des Bürgerstandes zu Proletariern
zu machen. Nicht allein die Krämer seien es, die ihre Existenz be
drohten, sondern auch von draußen herein werde der ausgedehnteste
Schmuggel betrieben, namentlich von Fackenburg, wo fast alle dortigen
Schneider aus der Stadt ihre Arbeit holen. Dazu komme, daß die
Juden auf den Fabriken ihre Waaren feilbieten und das Zeug, was
sie verkaufen, zugleich zur Verfertigung nach Moislinss hinziehen,
woraus den hiesigen Schneidern gleichfalls eine ernste Benachtheiligung
erwachse. Ein anderer Grund ihrer mißlichen Lage bestehe darin, daß
das Schneideramt selbst die Stück-Arbeit bei den Gesellen eingeführt
habe, wodurch diese oft außer Arbeit seien und dann Gelegenheit zum
Pfuschern bekämen. Viele andere Quellen des Arbeitsverlusteö waren
noch aufzufinden, wenn die Verhältnisse einer genauen Untersuchung
unterzogen würden. Was bleibe nun bei so gestalteter Lage der Dinge
den Meistern übrig, die ihr großes Geld ans Amt gezahlt haben, und
nun doch nickt davon leben können, weil Unbefugte in und außer
halb der Sradc ihnen sogar die Arbeit entreißen dürfen, von der sie
ihren Lebensunterhalt gewinnen sollen. Ob nicht jeder Vernünftige
und billig Denkende diese Beschwerden wohlbegründer finde? Geschähen
nickt höheren Orcs die geeigneten Schritte, dem Uebel zu steuern, so
würde es bald so eingegriffen haben, daß jede Hülfe zu spät käme,
und der Verfall eines ausgebreiteten Gewerbs, der Ruin einer ganzen
Klasse der Bevölkerung, dem Gemeinwesen als das traurige Produkt
einer Politik zufallen, die da die Dinge gehen lasse wie sie eben gehen
wollen.
— Für das Bewußtsein mancher Lübecker ist ble'Bedeutüng dex-sym-
bolischeii Figuren, welche unsre Hvlsteinthorsbrücke zieren, veichvren ge
gangen. Darum ist es vielleicht nickt unwillkommen, ihren Sinn
wieder ins Gedächtniß zu rufen. — Kommt man aus der Stadt, so
stellt die Figur, welche am weitesten links aufgestellt ist, den Fluß-
gotc der Tr ave vor. Darauf folgt eine Vase, deren Hautrelief
den Ackerbau bedeutet. Die zweite Figur stellt die Einigkeit vor.
Aus der reckten Seite wird durch den oft besungenen Merkur der
Handel repräsentirr. Die Figuren der zweiten Vase iymbolisiren
Fleiß und Sparsamkeit, und die letzte Figur dieser Seite bedeu
tet den Frieden. Kommt man von der Chaussee, so sieht man am
weitesten links die Freiheit. Ihr folgen auf der Vase die freien
Künste, und der Neptun bezeichnet die Ostsee. Aus der Seite nach
der Wacke zu steht die Vorsicht. Die Geschickte des Quintus
Curtius symbolisirr den Patriotismus (nach Liv. VII. c. 6); der
Römer aber beutet an, daß Lübeck eine kaiserl. freie Stadt des
röm. Kaiserreichs sei. Wollte man also eine der Figuren weg
nehmen, so sollte man sich weniger an dem Merkur vergreifen, als an
dieser Figur, die man etwa mit Heinrich dem Löwen oder Alex. v.
Soltwedel vertauschen möchte. — Diese Figuren wurden nach der Anlei
tung des Rarhsherrn Weigel von dem hiesigen BildhauerDietr. Jür
gen Boy 1776 angefertigt.
— Die Bark Freiheit ist, zufolge einer Nachricht der Börsen-
Halle aus Stromneß vom 19. Sept., dorthin gebracht, nachdem sie bei
Flotta mit einem Nvthsteuer versehen worden war.
— Die in voriger Nr. mitgetheilte Notiz, betreffend 6 Pettschafre,
welche für die Kirchen der Vierlande hier gearbeitet worden, ist dahin
zu verbessern, daß Hr. Gröning allerdings die Besorgung dieser
Pettsckafte hatte, das dem Verfertiger gespendete Lob aber dem hie
sigen Gravör Hrp, Rickmeyer gebührt.
— Die Zufuhren von Kartoffeln aus Finnland, auf die man
schon glaubte sseine Rechnung machen zu dürfen, da die Preise nicht
mehr einen so hohen Stand haben als im vorigen Herbst und in
diesem Frühjahr, haben wieder begonnen; gegenwärtig werden an der
Trave aus mehreren finnischen Schiffen Kartoffeln verkauft, und zwar zu
den niedrigsten hiesigen Marktpreisen von 20—22 st pr. Scbfl. Diese
erwünschten Zufuhren werden nicht nur die für den Bedarf in hie
siger Stadt und Umgegend vorhandenen Vorrärhe vervollständigen,
sondern auch durch ihre Konkurrenz wenn nicht ein Sinken der Preise
begünstigen, so doch ihr Steigen zurückhalten. ,
— In den letzten Tagen haben wir wieder eine Heimsuchung von
einem Schwarm durchziehender Orgeldreher zu überstehen gehabt.
Keine Klage, der abzuhelfen so leicht wäre, als diese; denn was
könnte bestimmen, solche unerträgliche Straßenbectelei zu gestatten.
Soll man sich aber diese Brandschatzung gefallen lassen, anfalle Fälle
hat man ein wohlbegründetes Recht zu verlangen, daß nur gestimmte
Orgeln zugelassen werden, nicht aber, wie es eben jetzt wieder in aus
gedehntester Weise geschehen, Leierkasten, in denen kein reiner Ton
steckt, von Haus zu Haus ziehen und durch grauenvolle Dissonanzen
der Verzweiflung nahe bringen dürfen.
— Polizeifälle. Ein hiesiger Arbeitsmann, welcher in trunknem
Zustande in seinem Hause Unfug verüble, wurde arrerirt und, nachdem
er zwei Tage sich in Haft befunden, unter Androhung scharfer Strafe
im Wiederholungsfälle, entlassen. — Wegen Trunkenheit verbrachten
ferner eine Nackt an der Nathhauswacke: ein hiesiger Arbeilsmann; ein
von hier gebürtiger Handwerksgeselle; ein durckpassirender fremder Hand
werksgeselle, der am folgenden Morgen bei seiner Forlsckaffung das Ver
bot der Rückkehr erhielt; ein fremder Matrose, welcher am nächsten
Tage, nach ausgeschlafenem Rausche, seinem Kapitän wieder übergeben
wurde. — Ein schon früher wegen Diebstahls hier bestrafter und aus
gewiesener Bewohner des Landgebiers ward in einer Nackt der vorigen
Woche von den Wachtern auf einem Frachtwagen schlafend gefunden, in
Haft gebracht und, nach Abbüßung einer viertägigen Gefängnißstrafe,
die ersten 2 Tage b. W> u. B., mlt der Weisung fortgeschafft, daß ihm,
falls er fernerhin bei Nackrzeir hier betroffen würde, eine körperliche
Züchtigung werde ertheilt werden. — Ein hiesiger Einwohner hatte vor
einiger Zeit seinen Laufburschen, 13 Jahr alt, entlassen, weil derselbe
geständlick einen, dem Hauswirtbe seines Herrn gehörigen Rock entwen
det und in einer Privat-Leihanstalt versetzt harre. Eine Anzeige bei
der Polizei war damals nickt erfolgt. Bald hernach bemerkte jener
Hauswirrh. daß noch ein zweiter Rock ihm fehle, und erfuhr nun durch
Nachfrage in der erwähnten Leihanstalt, daß dieser Rock ebenfalls durch
denselben Knaben dorr verpfändet worden sei. Auf geschehene Meldung
wurde der Bursche jetzt eingezogen und, nachdem er auch diese Entwen
dung eingeräumt, zu einer angemessenen Rurhenstrafe, sowie zu iecks-
ragigem Gefängniß, abwechselnd b. W. u. B., verurtheilr. — Wegen
ehrenrühriger Aeußerungen über ihre Herrjchast ward ein Dienstmädchen
in eine Geldstrafe genommen. — Ein von hier gebürtiges arbeitsloses In
dividuum erhielt wegen ObdackmangelS, auf lein eignes Ansuchen, Auf
nahme in das Sk. Annen Armen- und Werkhaus.
Marktpreise. (30. Sepc bis 6. Okc.)
Fleisckpreise, wie vor acht Tagen notirc. — Hasen: 28—32 ft d.
St. Rebhühner: 9—io ft d. Sr. — Gänse: 4-4zft pr. tb. (Total
der Zufuhr in den letzten ackr Tagen ca. 400 Stück.) Enten: 12—16 ja
d. St. Kücken: 5—7 ft d.St. Tauben: 3—5 ft d. St. — Fische kaum
zureichend. Außer den gewöhnlichen Süßwasierfischeu und Dorschen,
auch kleine Quantitäten Krabben, Tobias, Häringe und Brerlinge.
Sandarten: 6—7 ft pr. D. — Butter II—Ilipr. %. — Eier: 6—9St.
für 4 ft. — Kartoffeln, auf dem Markt: 24—28 ft pr. Schfl., auf dem
Klingberg und ebenso an der Trave: 20-22 ft pr. Schfl.
K et r erdepreise.
Lübeck, den 6. Oktober.
Vom Boden. Vom Lande.
(Neues.)
Weizen l55 pr. Last. 140—144 O pr. Last.
Roggen 90—100 - - - 92—96 - - -
Gerste 88 - - - 76-78 - - -
Hafer—, 70 - - - 64—68 - - -
Erbsen 120 - - - io4-no - - -
Wicken - - - 104—110 - - -
Buchweizen - - - 70-80 - - -
Schiffs-Graupen... - - - 17/-pr. 200 8.
Winrer-Rappsaat.. 21 F xr. Tonne. 20- - Tonne.
Scklag-Leinsaat— - 16 - - -
Berichtigungen. In der vorigen Nr. ist, auf Seite 338, Sp. >,
in den beiden letzten Zeilen, statt: „in diesem Jahre verhindert ge
wesen" — zu lesen: durch seine Jahre verhindert sei; S.339,
Sv. 2 Z. 17 v. u.: „Geh. Justizrath und Professor"; S. 340 Sp. 1
Z. 2 v. u.: „i>r. Abel".
lledigirr unter Verantwortlichkeit des Gigonthümers: D. 3. A. Mcyer
— Grpedi.üon: Fifchftraße 110. —
Gedruckt bei Gebr. Horchers.