© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 48
aus : Deutsche Zeitung, Nr. 170, 1896, Okt. 20, Bl. E
Pie E«thiill«<rg des Grimmdeickmals
in Danan.
Unser Berichterstatter schreibt: Die alte kurhessische Vater
stadt der Brüder Grimm wußte die Ehre, die ihr mit dem vom
deutschen Volke ihr zugewiesenen Denkmale dieser Männer wider
fahren ist, wohl zu würdigen. Die Häuser prangten in reichem
Flaggenschmuck und die Straßen waren von einer festlich ge
stimmten Menge belebt. Das Denkmal bat Aufstelluva
auf dem großen Marktplatze gefunden, und ^ das aus
rotem Sandstein erbaute Rathaus bildet einen wir
kungsvollen Hintergrund dazu. Der Platz um das
verhüllte Denkmal war mit Flaggenmasten umgeben und von
mehreren Tribünen eingerahmt. Dem Denkmale gegenüber
stellten sich gegen 2 Uhr nachmittags die Gesangvereine Hanaus
unter Leitung des Dr. Fr. Limbert auf, zu beiden Seiten die
Schuljugend; im Nathause sammelten sich die Ehrengäste und
auswärtigen Teilnehmer, um daun gemeinsam auf den Markt
platz zu ziehen. Im Auftrag des Kultusministeriums war der
Unterstaatssekretär Weyrauch erschienen, aus Kassel der Regierungs
präsident Clairon d'Haussonville. als Vertreter der Berliner
Hochschule Professor Erich Schmidt, als Vertreter det
Goethegesellschaft Gch.-Rat S u p h a n aus Weimar. Die
Hochschulen von Marburg und Gießen hatten zahlreiche Professoren
entsandt, die erstere auch ihren Overpedellen, der in seinem Zwei
spitz und der altertümlichen kurhessischen Uniform allgemeines Auf
sehen erregte. Auch von Frankfurt waren zahlreiche Festgäste er
schienen, so Gymnasialdirektor Dr. Hartwig mit verschiedenen
Professoren, ferner Prof. Dr. Valentin als Vertreter des
freien deutschen Hochstifts, und die hochragende Gestalt
Wilhelm Jordans, dem man seine 75 Jahre nicht ansieht.
Er war wohl der Einzige, der die Brüder Grimm noch persönlich
gekannt hat, denn er saß mit Jakob Grimm in der Paulskirche
zu Frankfurt. Dagegen fehlte zu allgemeinem Bedauern Wilhelms
Sohn, Prof. Hermann Grimm. Rings um den abgesperrten
Raum drängte sich viel Volks und alle Fenster der umgebenden
Häuser waren mit Schaulustigen dicht besetzt.
Siachdem die Kapelle des Hanauer Ulanenregiments und der
Sängerchor die Feier eröffnet hatten, übergab Fabrikant C. Kahl d.Ä.
namens des Ausschusses das Denkmal an die Stadt. Seine
Rede war zweifellos recht schön, aber verstanden hat sie von den
Zuhörern wohl kaum ein Dutzend: so leise sprach der Redner.
Umso kräftiger erwiderte Oberbürgermeister Dr. Gebeschus, der
das Denkmal in die Obhut der Stadt mit dem Wunsche
übernahm, daß es allezeit auf ein blühendes Gemeinwesen nieder
schauen möge. Von seiner Rede war unter lauten Beifallrusen
die Hülle gefallen und das Denkmal zeigte sich in vollem Glanze.
Geschaffen von dem Münchener Bildhauer SyriuS Eberle und in
München von Rupp und v. Miller gegossen, zeigt es die Brüder
Grimm wie im Leben, so auch im Erze vereint. Wilhelm sitzt
auf einem Lehnstuhl, in ein aufgeschlagenes Buch vertieft. Jakob
steht neben ihm, den Blick auf das Buch gerichtet. Der Stein
sockel trägt die Inschriften: „Jakob und Wilhelm Grimm", und
auf der Rückseite: „Den B r ü d e r n G r i m m das Deutsche
Volk". Auf beiden Seiten befinden sich Reliefs, eine
Märchenerzählerin und ein belehrender Greis.
Am Fuße des Denkmals wurden nun zahlreiche Kränze unter
kurzen Ansprachen niedergelegt, und zwar tm Namen des Groß
herzogs und der Großherzogin von Sachsen-Weimar und des
Goethe und Schillerarchivs von Geh. Rat Suphan, vom Rektor
und Senat der Universilät Marburg durch Prof. Gustine, vom
germanischen Seminar daselbst, von den Germanisten der Georgia
Augusta (Göttingen) und von der deutschen Rundschau.
Dann aber kam etwas Ueber laschendes»
Eigenartiges, geradezu Rührendes. „Die
dankbare Kinderwelt huldigt ihren Märchenerzählern",
stand auf dem Programm, und unter den Klängen
der Musik ward die Märchenwelt d e r B r über
Grimm lebendig. Ans dem Rathausthor zogen sie heran»
die trauten Gestalten unserer Kindheit, durch Kinder anmutig und
kindlich verkörpert, Dornröschen mit seinem Hofstaat, Schneewittchen
mit den 7 Zwergen, die 7 Raben, Frau Holle mit der goldenen
und der Pechmarie, Rotkäppchen mit dem Wolf, Aschenbrödel mit
seinen Tauben, die Knusperhcxe in ihrem Zuckcrhaus mit Häusel
und Gretel und zuletzt die 7 Schwaben mit ihrem Spieß! Der
allerliebste Zug umkreiste das Denkmal und zog dann durch
mehrere Straßen, überall j u b e l u d begrüßt von der dicht
gedrängten Menge. Zum Glück hatte der am Vormittag nieder»
gegangene Regen aufgehört, so daß der Umzug ungestört vor sich
gehen konnte. Das nennt man eine echte, rechtt
V o l k s h u l d i g u n g!
Der zweite Teil der Feier wär gemessener. — Er spielte sich
im Stadttheater ab, das wohl selten einen solchen Altdrang ge-
sehen hat. Es war ein Parterre von schönen Frauen, ein Balkon
von Gelehrten und auf der Galerie saß gar mancher im Frack
und Zylinder. Die Festrede hielt Prof. Dr. Schröder (Mar-
bürg), der ein übersichtliches Bild von dem Wirken der Brüder
Grimm entwarf und sie zum Schluß noch ganz besonders alL
Hessen feierte. Die lebenden Bilder zeigten Schneewittchen,
Rotkäppchen, Dornröschen und Häniel und Gretel. Sie waren
sehr hübsch, mit feinem malerischen Verständnis gestellt und
wurden durch einen verbindenden Text eingeleitet, den ein Fräu
lein Seel recht beifällig sprach. — Mit Einbruch der Dunkelheit
prangten Denkmal und Marktplatz in glänzender Beleuchtung.