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Über die Kunst in England
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Landweg, von John Constable
aus dem manage ä 1a mode, auf welchem nach den
ersten Wochen der Ehe der Gemahl am Frühstückstisch,
sehr müde, ausgestreckt sitzt und die Gattin mit lustigen
sinnlichen Augen die Arme erhebend und noch uner-
müdet gähnt, dabei in roten Schuhen ein paar artige
Füße zeigend: da ist er gut. Diese Füße bilden für
sich ein kleines Stück guter Stellung und Malerei, etwas
wie einen, allerdings schwachen, Terborch; in solchen Ein
zelheiten kommt dann in Hogarth auch ein Maler zum
Vorschein, der unter Umständen geistreich in der Gestal
tung, selbst Färbung zu sein vermag, nicht bloß in der
Erfindung und Komposition. Ziemlich frisch sind seine
Porträts, wenn sie auch nicht eben Überraschungen be
reiten.
Von ihm leitet sich die zahlreiche Gruppe der poli
tischen Karikaturisten her, bald ihn an Schärfe noch
überbietend, bald verblassend, bald auch von einem mehr
versöhnlichen Zuge ergriffen; nicht politisch, sondern sozial
menschlich sind die liebenswürdigen Zeichnungen des John
Leech, der 1840 debütierte; ein Zeichner, der, wie scharf
er auch bezeichnete, nie aufhörte, Künstler zu sein. Die
Leistungen Englands in der neuesten Zeit sind bekannt,
es genügt, auf den „Punch" zu achten. Man darf sagen,
daß dessen Zeichnungen den Höhepunkt der englischen
satirischen Kunst bedeuten, sie hat sich bis zu ihnen em
porgearbeitet.
Die Maler von Gemälden hingegen, die Hogarths
Nachfolger werden sollten, sind nicht bis in die neueste
Zeit im Vordergrund geblieben und vorwärts gekommen.
Ihre Blüte kann mit der Mitte des Jahrhunderts als
abgeschlossen bezeichnet werden. Was sie später schufen,
bot nichts Neues mehr. Die mehr allgemeine Genre-
schule der neuesten Zeit fußt nicht auf Hogarth und teilt
nichts mit ihm.
Vor 1848, dem Jahre, in welchem durch die Prä-
raffaeliten ein so vehementer Eingriff in den ruhigen
Verlauf der englischen Kunst geschah, hat sie zunächst im
Gefolge der „großen"
Schule Romney und
Hoppner als Porträt
maler thätig gesehen,
West, der Amerikaner,
bringt in sehr ehrlicher
Weise das Nüchternste
hervor, was wohl je
im Gebiete der Historie
geleistet worden ist und
Lawrence, den man auf
dein Kontinent für einen
kleinen Reynolds hält,
ist der Liebling des
Publikums; er ist, Aus
nahmen ausgenommen,
kein kleinerer Reynolds,
er ist nur ein größerer
Winterhalter.
Nebelt diesen Malern
des „großen Stils"
bildet sich vor und
neben den Malern des
kleinern Stils eine Ent
wicklung für sich: die
Landschafterschule.
Sie wird zunächst wenig beachtet, nimmt nicht die
fettesten Bisseit an der Tafel der englischen Amateure in
Empfang, webt ihre Kreise in kleineren Orten, nahe der
Hauptstadt, aber näher den Feldern, sitzt an den Dorf
rändern, malt die Gegend, befruchtet sich aut Anblick der
besten Lehrerin, achtet nicht der Akademie, wenig der alten
Meister — Constable ruft: Die Natur ist nicht braun,
sondern grün — sammelt feine Schätze, stirbt auf deut
Lande, aber lebt in den Bildern der Nachfolger weiter
und plötzlich — wer weiß, wie das geschah — steht das
Gebäude der alten Kunst in Flammen, sind Reputationen
zerstört, die geachtetsten Namen scheinen veraltet, die
stolzesten Stützen der Akademie in einigem Verruf und
das Ausland — Frankreich; denn Frankreich hat in der
Meinung Englands die Hegemonie im Kunsturteil in
Europa — behauptet: Eure Handvoll Landschaftsmaler,
die bei Euch in kleinem Ansehen sitzt, ist das Beste,'
ivas Ihr überhaupt aufzuweisen habt, zeigt sie uns, wir
sönnen von ihnen lernen.
So spricht Delacroix, wenn er von B o n i n g t o n, seinem
jungen Freund und vott Constable redet, und die offizielle
Welt scheint sich seinem Urteil anzuschließen, denn Con
stable erhält 1825, als er das erstemal in Paris aus
stellt, die goldene Medaille zu einer Zeit, da seine Repu
tation in England noch wenig begründet ist und er seine
Bilder nicht verkaufen kann. Er kann übrigens nicht den
Märtyrern der Kunst beigesellt iverden, denn seine Frau
hatte ihm nur die Hand reichen wollen, wenn er sich über
eine Jahreseiukuuft von 400 Pfd. Sterl. ausweisett könne:
und er heiratete sie. Das geschah 1816 und bis 1814
hatte er noch nicht ein einzigesmal »seid a picture to
a stranger«, obwohl er, ein Müllerssohn aus dem Suffolk-
schen, damals bereits 38 Jahre zählte. Eine Affiche hat
sich erhalten, auf der er anzeigt, daß seine Galerie vott
Landschaften, gemalt »by his own hand« sagt er, täglich
»gratis by applicationc gesehen werden könne.
Ein französischer Händler hat das Verdienst, ihn
von HerINan kselferich
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Sonnenuntergang.
zuerst itts Licht gesetzt zu haben. Er veranlaßte ihn, im
Louvre auszustellen und das Resultat war die genannte
Auszeichnung, eine sofortige Reputatiott und die Reflex-
wirkuug bei den englischen Liebhabern. Delacroix selbst
aber, nachdem er Constables Werke gesehen hatte, malte
in schnellem Entschluß binnen vier Tagen sein ^lassaere
de 8eio um und die Kritiker von Paris schrieben:
nehmt euch vor diesem englischen Maler in acht, er ver
dirbt euch. Folglich war er ein großer Künstler.
Seine Wahl der Gegenstände macht neben seiner
Wucht, seine Größe fürnehmlich. Er hat den Geschmack
für die ganz einfache Natur; Äcker und Dörfer, Getreide,
Felder, sehr grüne Sachen nnb sehr leuchtende Wolken
stellt er dar. Bonington, eilt bedeutend jüngerer Mann,
ist mit Constable gleichzeitig in Paris dekoriert worden
und hat auch thatsächlich — er war seinem Wohttsitz nach
fast ein französischer Maler, der Erziehung nach durchaus
ein kosntopolitischer und hat sich in England nur die
Mühe gegeben, geboren zrt werden und fein leider so
kurzes Leben bei einer Konsultationsrcise ztt beschließen —
einen zum mindesten Constable gleichen Einfluß auf die
französische Kunst gehabt. Er ist aber Constable nicht
gleichzuachten. Er hat nicht das jähzornig Kräftige, die
»grande note« Constables, nicht dessen Urvermögen, in
reisiger Frische, wild-enthusiastisch, ein Bild des Früh
jahrs aufzustellen. Er besitzt hingegen eine größere Viel
seitigkeit und hat trotz der wenigen Jahre, die ihm zum
Schaffen vergönnt waren, gleich zu Anfang sich auch in
Figuren versucht, später sehr reizende historische Genre
bilder hervorgebracht, die sich heute noch gut ausnehmen.
Wahr ist er in seinen Landschaften und Seestücken, wenn
etwa Paul Veronese wahr genug ist.
von R. -p. Bonington
In Bezug auf Feingefühl sönnen dagegen die Bilder,
die er hinterlassen hat, vielleicht das Auserwählteste der
englischen Kunst genannt werden. Dieselbe hat selten
Neigting gezeigt, ans diesem Gebiete sich auszuzeichnen;
sie interessiert sich mehr für das Sachliche, was zur Folge
hat, daß auch wirklich, was wir ans deut Kontinent kolo
ristische Feinheit nennen, bei ihr wenig zuin Ausdruck
gekommen ist. Die Konsequenz hiervon läuft in zwei
Spitzen aus: sie haben keinen Virtuosen; das ist die
gute Folge und sie entwickeln zu wenig Reize im techni
schen Teil der Knnst, welches tvir als unvermeidliche
andere Folge mit hinnehmen müssen.
Turner, der hochgefeierte Zeitgenosse Constables —
ein Jahr früher geboren, 27 Jahre früher Royal Aca-
demician, und 14 Jahre länger am Leben —■ ist. wie
groß und auch wahr zum Teil seine Landschaften sein
mögen, nicht auf eine Stufe der Naturbeobachtung mit
Constable und selbst noch Bouingtott ztt setzen. Die Wahr
heit der Wirkung ist ja eine Sache, die nicht absolut
sicherzttstellen ist, wir sehett nicht, was ist, sondern was
uns scheint, aber soviel kann gesagt werden, daß der
Wunsch und die Absicht, aufrichtig zu sein, während sie
Constables höchstes Gesetz ist, für Turner nur zuweilen
existiert; er wird von anderen Wünschen umhergetrieben,
ja gefoltert, aufgestachelt; er hat die Liebe zur einfachen,
lieblichen, anspruchslos anmutigen, jungfräulichen Natur-
weit von sich geworfen, ihr gehört nur seine Jugend;
er liebt auch die pompöse, grausige, stürmische, herrliche,
gewaltige nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des
Erfolges, den sie subjektiver Genialität an die Hand gibt.
Seine Hand schafft die Effekte nach, weil sie die Kunst,
1'art de 1a peinwre, die künstliche Kunst liebt und seine
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