© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 47
jg Hy. Erst» Beilage M KSmgl- prwilegirten Berlmtschr» Zeitnug. 186»
Sonntag den 20. Mai. ' ^
Die Jugendentwickelung Michel Äugelo's.
(Schluß)
Durch daö Lob deS herrlichen Mannes gehoben und
durch dessen Aufforderung zu größerer Kühnheit ange.
spornt, unternahm eö nun Michel Angelo nach eini
gen Tagen, eines der im Garten aufgestellten Kunst
werke. den Kopf eineö alten lachenden Faun, der aber an
der Nase beschädigt war, nachzubilden. Er wußte sich
ein Stück Marmor zu verschaffen un* obschon er Hammer
und Meißel seit den Tagen von Settiguano nie wieder
berührt hatte, gelang ihm die Arbeit fö vortrefflich, daß
Lorenzo staunte und zwar um so mehr, als Michel Angelo
sich nicht darauf beschränkt hatte, daö Vorbild blos nach.
zuahmm, sondern nach eigener E fi-düng den im Original
geschloffenen Mund geöffnet unv so künstlich gearbeitet
hatte, daß man sowohl die Zunge, als auch die Zähne
darin sehen konnte. „Du solltest doch aber wiffen" sagte da
Lorenzo, als er den Kopf zum ersten Male erblickte mit
Dem milden Scherz der ihm eigen war „daß alte Leute
nie mehr alle ihre Zähne besitzen; einen oder den andern
haben sie doch immer verloren/' Michel Angelo aber, der
-in f-iner kindlichen Einfalt den Scherz des von Ihm ver.
ehrten und geliebten Herrn für Ernst hielt, beeilte sich den
darin enthaltenen Wmk zu benutzen, schlug seinem Faun
einen Zahn aüS und arbeitete bi Stelle so kunstvoll aus,
daß man die durch die Zahnlücke entstandene Vertiefung deS
Zahnfleisches zu sehm verm.inte, und nun erwartete er mij
Ungeduld die Rückkehr seines GönnerS. Lorenzo kam, lachte
und freute sich der gelungenen Arbeit, von der er semen Freunden
wie von einem Wunder erzählte; zugleich aber ward er
von der rührenden Etnsachbnt und Herzensgüte, die sich
in des Knaben Thun auS'prach, so gerührt und ergriffen,
daß er beschloß ihn mit all n Mitteln auf seiner Laufbahn
zu unterstützen und zu begünstigen. So ließ er denn
Michel A gefn’Ä Dato* jm stu» *.v.v ihm
mit, daß er denselben in sein Hauö zu nehmen, wünswe
und daß er ihn das lbst wie sei en eigenen Sohn halten
wolle. Der Vater gab die erbetene Erlaubniß dazu mit
Freuden und sogleich wurde Mick el Angelo in Lorenzo'öHauS
aufgenommen, wo ibm ein besondere- Zimmer eingeräumt
und er selbst von der ganzen Familie als liebeS Mitglied
begrüßt wurde. Diele aber bestand, da die Gemahlin ^
renzo'S. Clarice, auS dem Geschlechte der Orßni, fast um du-
selbe Zeit gestorben war, aus drei Söhnen und einem
N'ff'n. Von den ersteren war der älteste Pietro, geb.
1471, spater der Erbe von Lorenzo'S Macht, die er leider
ruckt zu bewahren wußte. D r zweite, Giova ni, war
, 1475 geboren, also mit Mithel Angel > fast gleich al.t; schon
im Jahre 1492 zum Cardinal ernannt, bestieg er im Jahre
1513 alS Leo X. den päpstlichen Studl, um auch hierdeü
1 Sinn ynv die Bildung dtS mediceüchen Hauses zur^glän-
zendsten Erscheinung zu bringen. Der dritte der Sömie,
Giuliano. war erst 1479 geboren - er wurde später zum
Herzog von Nemours erhoben und starb als Gemahl Fi
Libert.'S von Savoven, Dazu gesellte sich noch Giulto.
der nackgeborne Sohn von Lormzo's Bruder Giüliano,
der 1478 geboren war und den Lorenzo ebenfalls in sein
HuuS genommen, um ihn mit seinen Söhnen von Angtlo
Poliiiano gemeinschaftlich erziehen zu lassen. Die» warep
hie Kinder des Hauses, in deren KreiS nun Michel An
gelo als Genosse eintrat und deren zweien er im Laufe
feines späteren LebenS ein «ergebener Freund und Diel
ncr geblichen ist, wenn anders 'ein Künstler Diener dcrie
nigen genannt werden kann, die er durch feiste Werke für
alle Zeiten verherrlicht.
Der Vater Michel Angelo's erhielt seinem eige-
Aen bescheidenen Wunsche gemäß eine Stellung bei
der Dogana; Michel Angelo selbst aber, der bis
her vom Vater etwas sehr knapp gehalten worder
war, erhielt mifcet Mem v testet Nt mit zur Unterstützung
Vaters bestimmten VtottatSgehölt von fünf Dukaten,
'' »eue stattlichere Kleidung und eö scheint sich dem jungen
eNernüth namentlich ein schöner violetter Mantel eingeprägt
zu haben, den ihm Lorenzo verehrte und von de«
er selbst noch in reiferem Alter zu Vasari gesprochen
hat. Im Uebrigen aber war seine Stellung ganz die
eines Familienmitgliedes; er war stets mit den Söhnen
zusammen, speiste wie sie an der gemeinsamen gastlichen
Tafel und erfreute sich aller der Vortheile, die einem in
frischester Entwickelung begriffenen Charakter auö dem Um-
ga gc mit so hochgebildeten Männern, wie sie inLorenzo'S
Hause verk hrten, nothwendig hervorgehen mußten. Von be
sonderer Wichtigkeit aber war eS für ihn. daß Polizist
der die Erziehung und Ausbildung der jungen Mediceer
zu leiten hatte, dieselbe Sorgfalt auch ihm anaedeihm
ließ, den er lieb gewonnen und den er auch in ferner be
sonderen künstlerischen Thätigkeit zu fördern wohl befähigt
war. ES bedarf nach dem-Allen wohl kaum noch der
Bemerkung, daß dieser Wechsel der Verhältnisse, für die
ganze spätere Laufbahn Michel Angelo's von der entschie
densten Bedeutung werden mußte. Sein Charakter
wie sein künstlerisches Vermögen erhielten hier. die Nst»-
ikgungen, die auf seine spätere Entwickelung bestim
mend einwirkten. Was zunächst den ersteren anbe
langt, so ist es möglich ern Bild desselben auö einigen
beiläufigen, und deshalb um so bezeichnenderen Aeußerungen
V san'S zu gewinnen und höchst merkwürdiger Weife ent
hält schon dieses Btld dieselbe Vereinigung zweier sonst
sehr oft getrennten Eigenschaften, die sich Michel Angelo —
man darf sagen, zu s.inem Ruhme — unter allea Wechsel-
fällen seines Lebens bis zu seinem Ende treu bewahrt hat.
Etn kühner und stolzer Sinn auf der einen Sette, ein
weiches, einfaches und gutes Gemüth auf der anderen.
So harrt er schon als Knabe gegenüber den Drohungen
und Strafen der Familie unerschütterlich auS in der Uebung
feines Talentes. „Animoso e fiero“ jeiat
MjDÄÄger^^uMelKungen und während seiner Studien
in den medicesschen Gälten ist eö wieder eine „viva fi&retn“,
die ihn zu unablässiger und stets hervorragender Thätigkeit
anspornt. Dazu gesollt sich dann, neben dem „belio
sp.rito“, welcher Lorenzo zuerst auf ihn aufmerksam
machte die „sMnpüo^a e boi»ta , welche bei näherer
Kenntniß für diesen die Veranlassung wurden, ihn unter
die Deinigen aufzunehmen. DaS find die beiden
Seiten, die sich schon damals in Michel Angelo'S Cha-
rakter erkennen lassen und die man, alS derselbe in einem
Alter, daö für alle Eindrücke noch am meisten offen und em-
pfänglich ist, in jene neuen und glänzenden Verhältnisse
versetzt wurde, ebenso wie sein Tclent zu einer reichen und
b rrlichen Entfaltung gelangen mußten. Denn zunächst
seyen wir Michel Ängclo nun auö der Enge bürgerlicher
Verhältnisse (vielleicht um so drückender, weil mit den
Ansprüche- adliger Herkunft zepaart) aus eine Höhe des
LebenS gehoben, die wir, obsdon sie ihn nicht den Bedm-
gangen der Wirklichkeit enmckt-, doch als eine ideale be
zeichnen drkf<n. Ven allen Sorgendes materiellen Bedürf
nisses war er befreit und somt aller Fesseln entledigt, die
auch sonst dem stärksten Geste den Flug zu seinen ho
hen Zielen erschweren könne,. Alle geistigen Interessen,
die wiffenschastlicheu wie He künstlerischen, sah er von
dem herrlichm Lorenzo au daö höchste geehrt, indem
er ihre Vertreter sich sevst gleich stellte; mit den
Söhnende- HauseS theilte c Lust rmd Arbeit, Lehre und
Umgang. Kern Wunder, dä stch — da der Verkehr zu
jener Zeit noch ein mehr menschlicher freier und von
der späteren Unterwürfigkeit gegen Höhergestellte durchaus
entfernter war—jene Festigt Ms Coa ..kterö und jenes
stolze Selbstbewußtsein enlackelt, zu denen ihn seine Her
kunft berechtigte und die e» de mäHtigste^Fiusten seiner Zeit
gegenüber nicht einen Augenlick Verleugner hat; kein Wun
der, daß er wiekein anderer cknsttci seiner Zat recht eigent
lich dieGröße und E hadert hl der Kunst während seiner lau-
1 ge’ und thatenreichen Laufbhn zu vertreten b rufen war.
Nicht minder wichtig alö>iescr Umstand für -feinen Cha
rakter, war nun aber die KefchMgimg AE die Gnstes-
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