© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 47
denn als sein Schüler auftreten zu können; ein Verhält«
mH, daß beiläufig gesagt, der Grund dazu wurde, daß
selbst Schriftsteller wie Condivi es ernstlich bestreiten
konnten, daß Michel Angelo überhaupt ein Schüler Ghir-
landajo's gewesen sei.
Wie dem nun auch sei. kaum war Michel Angelo in die
so heißersehnte Laufbahn eingetreten, als die glänzendsten
Erfolge zeigten, wie berechtigt seine Wünsche gewesen wa
ren. Erfolge zunächst in Beziehung auf seine Mitschüler,
die er alle übertroffen haben soll; dann aber auch in Be
zug auf den Meister selbst, an dessen Zeichnungen der kübne
und strebende Knabe die bessernde Hand zu legen wagte,
ohne der schuldigen Pietät zu nahe zu treten. So erzählt
Vasari, daß als einst ein Mitschüler einige weibliche Gestalten
nach einem Werke Ghirlandajo's mit der Feder gezeichnet,
Michel Angelo das Blatt genommen und nut stärkeren Fe
derstrichen die Figuren umrissen und gezeigt habe, wie sie
eigentlich hätten sein sollen. Granacci hat später dies
Blatt an Vasari gegeben, und als es dieser nach mehr
alS 60 Jahren (1550) Michel Angelo bei seiner Anwesen
heit in Rom zeigte, freute fich dieser und sagte „aus Be
scheidenheit" nach Vasari's Ausdruck und vielleicht nicht
ohne wehmüthiges Gefühl der verminderten Kraft, daß
er damals als Knabe mehr von jener Kunst verstanden
habe, denn jetzt alS Greis. — Ueberhaupt ließ Michel An-
aelo keine Gelegenheit vorüber gehen, Auge und Hand zu
.üben und die an fich vortrefflichen Ueberlieferungen des
Meisters, sei es durch Studien nach der Natur, sei es
durch Nachbilden fremder Kunstwerke, zu erwritern. So
wird in ersterer Beziehung erzählt, daß während Dome-
nico Ghirlandajo an den oben erwähnten Malereien tro
Chor von S. Maria Novell« (seit 1490) beschäftigt war,
Michel Angelo einst während des Meisters Abwesenheit
da- Gerüst und die darauf befindlichen Tische mit allem
Malergeräth und einige der arbeitenden Schüler gezeichnet
habe. Als Ghirlandajo zurückkam und die Zeichnung sah,
war er über die neue Manier und die neue Methode der
Nachbildung von Seiten deS JünglingS so erstaunt, daß
er auSrief, jener verstände mehr davon, als er selber. Und
was die andere Art seines Studiums betrifft, so bezieht
fich darauf die Nachricht, daß er einst einen gerade nach
Florenz gelangten Kupferstich des deutschen Meisters
Martin Schön aus Ulm mit der Feder in einer
bis dahin ganz unbekannten Weise nachgebildet habe.
Während er aber andere Kupferstiche so genau kopirte.
und seinen Zeichnungen durch Rauch und Färbung ein so
altes Ansehen zu geben wußte, daß man sie von den Ori
ginalen nicht zu unterscheiden vermochte, führte er dieses
Blatt, worauf der heilige Antonius von Daemonen gepei-
nigt (Bartsch, No. 47.) dargestellt war, mit Farben aus,
und eS wird erzählt, daß er, um einige der grotesken und
phantastischen Teufels gestalten recht genau darzustellen, sich
Fische mit absonderlichen Schuppen und Farben gekauft
habe, um danach zu stüdiren. Die Tüchtigkeit aber, mit
der er alleö dieses unternahm, brachten ihn in großen Ruf
und Namen.
Zu
Prächtige,
eine Sammlung .
dem eS erwünscht sein mochte, die auS Liebe für daS klas
sische Alterthum und in Folge der oben schon angedeuteten
Zeitrichtung gesammelten Kunstwerke auch für die prakti
sche Ausbildung von Künstlern zu verwerthen*), den
Domenico Ghirlandajo aufforderte, die besten und
tüchtigsten seiner Schüler jene Gärten besuchen, und da
selbst nach den antiken Vorbildern und unter Anleitung des
Bildhauers Bertoldo, eines Schülers von Donatello zeich-
nen und stüdiren zu lassen. Gern ging Ghirlandajo auf
Lorenzo's Vorschlag ein und eS konnte bei den bisherigen
Erfolgen Michel Angelo'ö nicht fehlen, daß auch er unter
der Zahl der Erwählten war. So sehen wir ihn denn
^Gesellschaft seines Freundes Granacci unter diese Met-
*) Vasari macht irriger Weise, wie es scheint, daS letztere
zum Haupmotive der ganzen Sammlung selbst.
4r —
sterwerke der antiken Kunst eintreten, die ihm eine reiche
und glänzende Welt neuer Anschauungen und künstlerischer
Anregungen eröffneten. Insbesondere aber find eS zwer
Beziehungen, nach denen dies Eceigniß für Michel Angelo
wichtig und folgenreich geworden ist. Zunächst nämlich
wurde dadurch seine Neigung für die Sculptur auf die
entschiedenste Weise angeregt und sodann wurde dadurch
seine persönliche Berührung mit Lorenzo dem Prächtigen
vermittelt. WaS den ersten Punkt anbelangt so müssen
wir es freilich^dahin gestellt sein lassen, ob und in wie
weit Reminiscenzen auS den ersten Knabenjayren dazu
mitwirkten, die durch den Anblick der medieeischen
Sammlung erweckte Neigung zu steigern. Wir wissen
eben nicht, ob und wrlche künstlerische Elemente in die
handwerksmäßige Thätigkeit seines Pflegevaters und feiner
Umgebung in Settignano eingedrungen waren. War dieS
der Fall, und eS mag in Beziehung auf die Wahrschein
lichkeit desselben erwähnt werden, daß auS solchen Orten in
denen wegen der Nähe deS Materials das Handwerk der
Scarpellini zu Hause war, nicht selten eine größere Zahl
von Bildhauern hervorgegangen ist, wie denn allein Fie-
sole vier, und unser Settignano außer dem schon erwähn
ten Defiderio noch zwei andere tüchtige Künstler, SoloS-
meo und Scherano fast zu derselben Zeit hervorgebracht
haben, — war di s der Fall, nun so trat dem Jünglinge
hier in höchster Vollendung entgegen, was einst schon das
Auge des Kindes und Knaben erfreut hatte, und es wird
Niemand die Gewalt dera.rttger Erinnerungen in Abrede
stellen wollen, hier aber um so weniger, als fich dazu die
inzwischen erlangte Fertigkeit im Zeichnen und Malen ge
sellt hatte. Aber selbst wenn eS nur die handwerksmäßige
Technik gewesen, auf welche fich die Erfahrungen seiner
Kindheit erstreckt hätten, so mußte auch der Besitz dieser
schön dazu beitragen, der fich ihm nun zum ersten Mal
eröffnenden Welt der Plastik einen ungemem erhöhten Ein
fluß auf sein Gemüth zu verleihen; denn das Auge steht
schärfer und daS Herz fühlt das Wesen einer Kunst tiefer,
wenn die Hand sich des technischen Vollbringend bewußt
ist und Michel Angelo selbst hat in dem oben er
wähnten Ansspruch zur Genüge bewiesen, einen wie
großen Einfluß er den Eindrückcn seiner frühesten
Jahre auf seine spätere Neigung für die Bildhauer
kunst einräumte. So ward Mickel Angelo in jener
schönen Zeit jugendlicher Empfänglichkeit durch den Anblick
der antiken Kunstwerke recht eigentlich zum Bildhauer ge
weiht und — so fest war die Form, die sich damals dem
bildsamen Stoffe seines WeseffS aufprägte — nie während
seines ganzen Lebens hat er aufgehört, fich als Bildhauer
und die Sculptur alS seinen eigentlichen Beruf zu betrach
ten. Trotz der unsterblichen Malereien in der fixtinischen
Kapelle und trotz deS Riesenbaues von St. Peter, der sei
nen Namen für alle Zeiten verherrlichen wird, war und
blieb er der Michel Angelo „scultore“, wie er auch feine
Briese zu unterzeichnen liebte, und noch in hohem Alter
scheint er eS öfter ernstlich bereut zu habe», dem rasch lieb-
gewonnenen Beruf nicht ganz und ausschließlich treu geblie
ben zu sein.
Und wahrlich rasch erwacht war diese Liebe zur Plastik;
denn anstatt zu zeichnen greift Michel Angelo sogleich zu
Hammer und Meißel, und andauernd war dieselbe
auch, denn fast fünfzehn Jahre verfließen, während deren
fich Michel Angelo's Thätigkeit fast auf nichts Anderes
denn auf Werke der Bildhauerei erstreckt! AlS erste Ver
anlassung aber wird unS erzählt, daß Michel Angelo, als
er mit seinem Freunde Granacci den Garten betrat, dort
einen jungen Künstler — eS war der um 4 Jahre ältere
Torrigiano — damit beschäftigt fand. einige runde Figuren
nach Anweisung des vorerwähnten Bertoldo in Thon aus
zuführen ; von Wetteifer ergriffen, machte fich nun Michel
ngelo sogleich daran, einige derselben auszuführen und da
" ah es, daß Lorenzo der Prächtige, der in dem Gartm
ust wandelte, den eifrigen Knaben sah:mvd mdkm er rächen
Blickes die seltene Bedeutung und das Talent emcS „so
ichdnm G-istcS", wi- Vasari sagt, erkannte, idm th-llneh.
«end nahe trat und »» wiiteren Bmuchcn seiner langen
Kraft ermuntert«. (Schluß Mal.«