© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 47
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Ein neues von Norden kommendes Element wirkte in der-zweiten Hälfte
des Jahrhunderts sichtlich auf die florentinische Malerschule ein. Roger von der
Weyde war nach Florenz gekommen und hatte Beschäftigung daselbst gefunden.
Der flandrische Naturalismus forderte den florentinischen auf die Arena, und Filip
ino, der Sohn Fra Filippo's und Schüler Botticelli's, nahm die Ausforderung
an. In seiner Vision des hl. Bernhard in der Badia von Florenz widmet er sich
mit van Eyks'cher Gewissenhaftigkeit der Nachbildung von Gras und Blumen,
Brettern und Steinen, Bäumen und Sträuchern, wie der Menschengestalten und
Physiognomien nach der Natur. Die Ausgabe freilich die ihm ward, Masolino's
und Masaccio's Werk in der Capella Brancacci zu vollenden, führte ihn wieder auf
die Höhe des heimischen Realismus; aber auch zugleich zu der Lust seinen Dar
stellungen durch Bildnißgestalten mit Statistenrollen einen besondern Reiz zu
verleihen.
In weit ausgedehnterem Daße gab dieser Lust der größte der florentinischen
Maler der Zeit, Domenico Ghiilandajo, sich hin, der, nachdem auch er in seinem
Hieronymus in der Kirche Ogrisanti der flandrischen Kunst seine Huldigung dar
gebracht, in der Geschichte des hl. Franz, in der Capella Sassetti der Kirche S.
Trinitä. und in den Fresken der Chorcapelle von S. Maria Novella zu Florenz
mit den Geschichten Mariä und Johannis des Täufers das neue florentinische
Princip auf die Spitze getieben, nach welchem die Aufstellung zeitgenössischer
Notabilitäten der alleinigeZweck, der eigentliche Gegenstand aber die verschwin
dende Nebensache wurde. Im Angesicht dieser vortrefflichen Bildnisse, dieser wirk
lichen Wunder und ewiges Vorbilder der Kunst, verstummt jeder Vorwurf.
Anders steht es mt Andrea del Verrocchio, der bei seiner Taufe Christi die
darzustellende Handlupgwohl fest im Auge behielt, die Ausführung derselben aber
beliebigen nichts wenixer als edelgeformten Modellen übertrug, die er mit ge
nauester geradezu erschreckender Natürlichkeit nachbildete. Dieses Bild aber, das
in der Sammlung de: A'ademie zu Florenz aufgestellt ist, enthält neben der höch
sten Steigerung des Naturalismus bereits das Vorzeichen einer neuen Zeit, die,
ohne ihn zu verwesen, geistiger Auffassung das Vorrecht wieder gewinnt. Einer
der beiden Ufer kiueenden Engel ist von einem Knaben gemalt, der bald
darnach Leonardo da Vinci den florentinischen Künstlerruhm zur höchsten Höhe
erhebe^lEe.
Fassen wir demnach die charakteristischen Züge der florentinischen Maler-
.cyule des 15. Jahrhunderts in ein Gesammtbild, so sehen wir die von Giotto und
seinen Nachfolgern begonnenen Naturstudien in tiefer eindringender Weise fort
gesetzt, zu immer gemuerer Formenkenntniß und Jndividualisirung bis zur un
beschränkten Verwendung aufs vollkommenste gezeichneter Bildnisse; damit zu
gleich die stets zunehmende Entfernung von idealer Auffassung und Formengebung
und das Erblassen der kirchlich-religiösen Anschauung, die allein in Fiesole noch
einen wahren, aber auch letzten Vertreter hat. Folgerichtig verbindet sich den
realistischen Bestrebungen die Ausbildung der Kunst nach der wissenschaftlichen und
technischen Seite: das Studium der. Perspective und Mvdellirung, der Ver
kürzungen, des Nackten und der Anatomie, der Thiere, Pflanzen und Land
schaften, sowie aller Mittel einer mangcllosen technischen Ausführung, wie sie
im Bereich der Sculptur die neu ans Licht gebrachten Marmorwerke des Alter
thums auszeichnet. *)
Französische Kriegsliteratnr.
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(Schluß.)
g. Das Werk des Generals Chanzy bildet, obwohl früher erschienen, die
Fortsetzung des Buches von General d'Aurelle de Paladines; es ist weit umfang
reicheres dieses, dabei ist es frei von Polemik. Freilich hatte er auch nicht solche
Angrifse zurückzuweisen wie sein Vorgänger im Commando. Wie dieser fügt er
die meisten Actenstücke, Proklamationen, Befehle, Berichte in den Text ein; eine
große Sammlung ist als Anhang beigegeben. In der Vorrede spricht er sich
selbst über die Gründe der Veröffentlichung dieses Buches in anspruchsloser Weise
aus: „Ich befehligte eine unserer wichtigsten Armeen, ihr bin ich es schuldig die
Mühen zu erzählen unter denen sie das Land und ihre Ehre vertheidigt hat. Ich gebe
die militärischen Thatsachen ohne sie zu commentiren und mit einer Nichtigkeit die
niemand wird bestreiten können.... Ich werde nicht unsere Mängel, unsere
Schwächen, unsere Niederlagen verheimlichen, aber ich werde, ohne zu übertrei
ben, von unseren Anstrengungen und den etlichen Siegen sprechen auf welche das
Land mit Recht stolz sein kann." General Chanzy beginnt sein Werk mit der
Errichtung des 16. Corps, welches den Kern der Loire-Armee bildete; er selbst
übernahm dessen Commando am 2 Nov. Er behandelt deßhalb auch den Theil
des Krieges, wenn schon weniger ausführlich, der in dem Buche des Generals
Aurelle abgehandelt ist. Hieraus ist nur anzuführen daß General Chanzy, weit
jünger und schneidiger als General Aurelle, nach der Schlacht bei, Coulmiers
für Fortsetzung der Offensive um jeden Preis war, und daß er auch später, als Au
relle noch immer für das Verbleiben hinter den Verschanzungen von Orleans stimmte,
entschieden die Wiederaufnahme der Offensive befürwortete. Wie schon aus obi
gen Worten der Vorrede hervorgeht, stellt General Chanzy mehrfach Einzelgefechte
als Siege dar, die wohl für sich betrachtet solche sind, aber im Zusammenhang der
Actionen diesen Charakter verlieren.
In der Nacht des 4 Dec. hatte General Chanzy den Rückzug des 16. und
17. Corps geordnet, er halte ihnen die Stellung Beaugency, Josnes-Lorges, den
rechten Flügel an die Loire, den linken an den Wald von Marchenoir angelehnt,
angewiesen, denn hier stand das neugebildete vier Divisionen zählende 21. Corps
(General Jaurès). Dieser Rückzug ward, ohne vom Feinde beunruhigt zu werden,
am Morgen des 5 Dec. ausgeführt. Am selben Abende ward Chanzy zum Ober
commandanten der aus dem 16., 17. und 21. Corps bestehenden zweiten Loire-
Armee ernannt, Admiral Jaurèguibeny erhielt das Commando des 16., General
*) Belege für obige kurzgefaßte Charakteristik der florentinischen Malerschule findet man
im zweiten Baude von E. Försters Denkmalen der italienischen Malerei. Leipzig,
T. O. Weigel 1872.
Colomb das des 17. Corps. Es war ohne Zweifel eine gute Wahl die man ge
troffen, denn Chanzy wie Jaurèguiberry hatten sich als die weitaus fähigsten Of-
ficiere erwiesen die der Regierung zu Gebot standen.
General Chanzy ließ keinen Augenblick unbenützt verstreichen. Am 5 Dec.
übernahm er das Commando, gleichzeitig ward die Aufstellung der Armee auf
der Linie Beaugency, Ourcelles, Poisly, March eron, Eco man angeordnet, wur
den Verschanzungen errichtet und ward alles zum Empfang des Feindes vorbereitet.
Schon am 6 hatte General Cam6, der eine sogen, mobile Colonne von Tours be
fehligte, bei Foinard ein Gefecht mit deutschen Truppen und mußte auf Beau
gency zurückgehen. Am folgenden Tag erhielt das 21. Corps die Feuertarffe,
seine dritte Division (General Guillon) ward bei Balliere heftig angegriffen, und
auf dem rechten französischen Flügel der Admiral Jaurèguiberry und General
Camö bei Langlochöre und Meffas von der 17. Division (Mecklenburger), im
Centrum aber die erste Division des 17. Corps bei Cravant. Der Tag endete mit
dem Verlust von Meung. Auch am 8, 9 und 10 dauerten die Kämpfe ohne Ent
scheidung fort, keine Partei vermochte wesentlich Terrain zu gewinnen, auf bei
den Seiten kamen alle zur Verfügung stehenden Truppen ins Gefecht. Es sind
die Gefechte bei Villorceau und Cravant u. s. w., oder, wie die Deutschen sagen,
bei Beaugency. Chanzy irrt, wenn er angibt es seien ihm gegenüber das 3., 9.,
10. und 13. Armeecorps gestanden, es waren dieß nur das furchtbar zusammen
geschmolzene erste bayerische Corps, die 17. Division (Mecklenburger) und die
gleichfalls stark gelichtete 22. Division (Hessen) ; ebenso unrichtig ist: General Ste
phan sei am 8 verwundet worden — er ward schon am 1 bei Villeperö verwundet.
In der Nacht zum 9 hatten die Mecklenburger Beaugency genommen und auch
die Bayern verschiedene Vortheile errungen. Am Abend des 10 entschloß sich
Chanzy trotz seiner Uebermacht zum Rückzug, seine Verluste waren zu groß; als
daher am 11 das 10. Armeecorps von Orleans her, und zwar auf dem linken Flü
gel, in die Gefechtslinie eintrat, machte Chanzy nur noch einzelne Angriffe zur
Deckung des Rückzugs, der auch ziemlich ungestört und in leidlicher Ordnung von
statten gieng. Am 13 stand die Loire-Armee 'vor Vendôme. Zur Sicherung des
Rückzugs war es von großer Wichtigkeit daß Vlois von! den deutschen Truppen
nicht angegriffen und erst besetzt wurde (am 13) als es längst von General Barry
geräumt war. Die erste Loire-Armee (15., 18., 20. Corps) befand sich unter
Bourbaki in Bourges, sie war noch für einige Zeit außer Stand offensiv auf
zutreten.
Am 13 Abends stand die Loire-Armee wieder in Schlachtordnung: auf
dem rechten Flügel mit dem 16. Corps Admiral Jaurèguiberry auf dem linken
Ufer des Loir, die Cavallerie des Corps bei Courtiras, auf dem rechten Ufer
zwischen Les Tuileries und Poirier die erste Division des 17. Corps, die zweite und
dritte Division desselben zwischen La Haie de Champ und Pezou, die Cavallerie
bei Ville-aux-Clercs, das 21. Corps aus der Straße von Tours nach Chartres
zwischen Pezou und Saint-Hilaire. Dazu kam noch auf dem rechten Flügel die mobile
Colonne Camô und auf dem linken die Division der Bretagne unter General
Goujard. Am 14 ward das 21. Corps bei Moröe und Fröteval angegriffen
und letzterer Ort genommen. Am 15 Abends waren auf dem rechten Flügel auch
die wichtigen Höhen von Bel-Essort verloren gegangen. Der Zustand der Truppen
und das Wetter waren der Art daß nach dem Gutachten der Corpssührer auf einen
ernsten Widerstand im Falle des bevorstehenden Angriffs nicht zu rechnen war;
General Chanzy ordnete daher am Morgen des 16 den Rückzug auf Le Mans an.
Namentlich auf dem rechten Flügel war der Rückzug ohne Ordnung, ganze Regi
menter lösten sich auf, die Soldaten bedeckten alle Wege um rasch nach Le Maus
zu kommen. Viele Wagen, Gefangene und eine 12Pfünder-Batterie fielen den nach
eilenden Ulanen in die Hände. Chanzy übertreibt auch hier in seiner Meldung
an die Regierung, indem er behauptet: er habe den Prinzen Friedrich Karl, den
Großherzog von Mecklenburg und in der Linken den General Manteuffel gegen sich
gehabt; letztererstand bekanntlich Faidherbe gegenüber, Chanzy hatte mit seinen
drei Armeecorps nur das 10. Corps und die 17. Division gegenüber.
Am 21 Dec. Morgens hatte die Armee ihre Stellungen bei Le Mans inné:
zwischen der Sarthe und der Huisne, auf dem Plateau von Auvours, stand das 21.
Corps, Zwischen den Straßen von Laval und Coulie das 17. und südlich von Le
Mans zur Deckung der Straßen nach Angers, Tours und Grand Lucö das 16.
Corps. Die deutsche Armee aberfolgte nicht, Prinz Friedrich Karl blieb in Or
leans, der Großherzog von Mecklenburg in Chartres mit Abtheilungen in Blois
und Vendôme stehen; die Bayern kehrten gegen Paris zurück. Man durfte sich von
Orleans nicht zu weit entfernen solange Bourbaki in Bourges stand; die Negie
rungsdelegation hatte sich schon am 10 von Tours nach Bordeaux in Sicherheit
gebracht.
General Bourbaki hatte um diese Zeit mit seinpr 100,000 Mann starke»
(ersten) Armee über Revers auf Montargis und von da nach dem Walde von Fon
tainebleau marschiren wollen, um hier Paris zu Hülfe zu kommen. Gambetta
aber auf den Rath Freycinets, wie dieser erzählt, verwarf diesen Plan, da Chanzy
seit seiner Niederlage bei Vendôme denselben nicht unterstützen könne und Bour
baki allein zu schwach sei; es wurde dagegen bestimmt daß Bourbaki nach Osten
abmarschiren solle. Auch hier in diesem wichtigen Augenblick griff Gambetta
selbständig in die militärischen Operationen ein, es ist nicht bekannt weßhalb der Rath
Chanzy's, Bourbaki zu ihm stoßen zu lassen, nicht befolgt wurde. ' Diese Vereini
gung mußte doch unter allen Umständen mehr Aussicht auf Erfolg bieten als die
Verzettelung der Streitkräfte. Aber auch die mangelhafte Ausführung stellte sich
Bourbaki hindernd in den Weg. In Folge der höchst fehlerhaften Leitung des
Eisenbahntransports konnte Bourbaki erst am 5 Jan., also 15 Tage nach dem
Abmarsch von Bourges, seine Operationen im Osten beginnen.
Am 23 Dec. kam mittelst Luftballons von Trochu aus Paris gesandt, der
Generalstabs-Capitän Boisdeffre mit der Mittheilung in Le Mans an: daß Paris
nur noch etwa einen Monat Lebensmittel habe, daß die Pariser Armee nicht imStande
sei den Gürtel der deutschen Truppen zu durchbrechen. Der Kriegsminister be
fand sich damals in Lyon, er setzte gerade seinen großen Plan gegen Osten ins
Werk. Am 29 Dec. kam Mittheilung von ihm daß das 18. und 20. Corps auf
der Eisenbahn nach Beaune geschafft seien und mit Garibahoi und Cremer gegen
A