Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 47
Corre«poDdenzBB eiad au dfe Redaetlen, Inserats an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franco an richten. InserrSonspreiß nach anfliegendem Tarif.
Dienstag- 26 März
Verlag der I. G. Cotta'scheu Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. I. v. Goser.
Uebersicht.
Das Verhältniß der Malerschulen von Florenz und Siena im 15. Jahrhundert zu
den gleichzeitigen in Umbrien und der Mark Ancona. (!.) — Französische
Kriegsliteratur. (III- Schluß.) — Entdeckung der ältesten Recension des
Pantschatantra. — Der Socialisten-Proceß. Xli.
Neueste Posten. München: Vom Hof. Die kirchlichen Feierlichkeiten in der
Charwoche. Berlin: Zum Geburtstage des Königs. Festreden in der Akademie
der Künste und in der Universität. Herzog v. Ossuna. Fürst Bismarck. Erbprinz
von Ratibor.
LeLegLttpdescyL Wemühre»
(**) Baden-Baden, 25 März. Die Königin von England ist heute
Nachmittag halb 5 Uhr hier angekommen und in der Billa Delmar abgestiegen.
* Berlin, 25 März. Dem Bundesrath ist ein Gesetzentwurf betreffend
die Einrichtung und die Befugnisse eines Rechnungshofes für das Deutsche Reich
zugegangen. Derselbe hat das preußische Oberrechnungskammergesetz zur Grund
lage ; Präsident des Rechnungshofes soll der jeweilige Chef der Oberrechnuugs-
kammer fein.
* Straßburg, 25 März. Ein Schreiben des Oberpräsidenten an die
Handelskammer theilt derselben mit: die Regierung treffe bereits Vorbereitungen
um die hiesige Tabaksmanufactur in die Hände der Privatindustrie übergehen
zu lasten.
s Frankfurt a. M., 25 März. Eröffnungskurse. Oestrrr. Treditactten 367,
StaaMbahn 411% 1860er L. —, 1882er, Hmmlauer 96%, Lombarden 220% Galizier
—. Tendenz: fest.
<*) Arsukfurt a» M., 25 März. Schlußcurse. Bayer. 5proe. All!. ». 1870
100% daher. 4%prök. Aul. —, 4proc. vay-r. Pram.-Anl. 114 Va I Vsproc. da?«r
Oftbahn 150% neue ®mt{. 133%. mit 40 Proc. Emz. 131% Nlienzdahn 127, bad.
Prämien« Aul. 114% 1882er Amerrkan^ 98%, Köln--Mindener Loose, 99% Lsters. Silber-
rente 64, Hapicrreme 58%. 1860er L. 93%, 1664er 8.157, Baukacüen 882, Lredit.
ac'.ieu 367, Lombarden 220% StaatSdahu 411, aeue —, Elisabeth 262% Franz-
Joseph'Prior. 91, Rudolfs! abn Pr. 85% Ungar. Ostb. Prior. 78 % Wau. Zproe. cracl.
Schuld —, Napoleon« 9.21. Darmstädter 485, böbrn. WrstLabu 278%. Rordwest
bahn-Pr. 91% Oberbefsen 86%. Wechsel: London 118%. Paris 93% W en 105%. —
Lproc. BtaalLbatzn-Prior. 60, 5proc. Südbahn.-Prior. 87% 3prsc. Güvbahll.'Privr.
51 % Unzar. Nordsst-Prwr. 82, 5proe.. ital. Rente 67 % Sproc Paciste Leutra! 88%
?»rae. Chicago 86%, 7proc. Orcgon-Lalif. 72%, Naab-Grazer 8. 87%. Tendenz: uneut-
schiedeu.
(*) Frankfurt a» M., 25 Marz. Stachbörlr. Oetzen. Treditactten 367, Graat«.
bahn 410%. 1860er Loose 93%, 1882er RrrttrÜE 26% Lcmd. 220%, «ÜLberreutrOi,
Galizier 274%. Elisabeth 262% Nürnberger Per eins bank 118, Austro-türkische 143—145,
Baster Bankverein 115% lebhaft gehar.dttl, Balttschport-Privr. 89 % Ung.-Oal. Pr. 83%
KaschaN'Oderberg 85. Tendenz: fest.
* Frankfurt a. M., 25 März Ubeud-Efsecteusoctetär. 1882er Amerikaner
BoudS 96 % Gilberrente 63%, 1860er 8, 93% Treditactten 369%. Lombarden 320%
Staats bahn 411V», Galizier 274% Elisabeth 262% 3proc. span. anst Gch. 30% 5proc.
Türken 49^4. Bankactien —, jung« Staatöbahu 249%, Austro-türkische 146, Nüra-
bcrger 118- Tendenz: fest.
<") Köln, 85 März Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen Tendenz matter,
effect. tztestger 8.5, fremder 7.20, per April 7.11, per Mai 7.12% per Juli 7.18 — Roggen
Tendenz behauptet, effect. hteftger 6.7% per April 5.5, p« Mai 5.8%. per Juli 5.15 —
Rüböl Tendenz fester, effect. hiesiges 13% per Mai 13 %<> per Oct 12?/% — Lemöl 13.
Weitere telegraphische Curs- und Handelsberichte s. fünfte Seite.
DaS Verhältniß der Malerschulen von Florenz und Siena
im 13. Jahrhundert zu den gleichzeitigen in Umbrien und der
Mark Ancona.
I.
*** Der Unterschied in der Richtung wie in dem Grade der Entwicklung
künstlerischer Kräfte der gleichzeitigen und unmittelbar benachbarten Malerschulen
von Florenz, Siena, Umbrien und der Mark Ancona im 15. Jahrhundert ist so
groß und überraschend und von solcher cultur- wie kunstgeschichtlicher Bedeutung,
daß es sich der Mühe verlohnen dürfte, wenn auch nur in großen Zügen, ein mög
lichstklares Bild davon-an dieser der allgemeinen Bildung gewidmeten Stelle auf
zustellen, um- so mehrm als der eine-Theil der in Rede stehenden Kunstwerke nur
selten von den in Italien Reisenden aufgesucht wird, auch allerdings so leicht
zugänglich Nicht ist als die Kirchen und Gallerten in Siena und Florenz es sind.
Zur Erreichung des hier bezeichneten Zieles will ich die Leser zu den hervorragend
sten Malerwerken des 15. Jahrhunderts und ihren Meistern in Florenz, Siena
und in den Städten Umbriens und der Mark Ancona führen, ihre wesentlichsten
Eigenschaften und Unterschiede von einander hervorzuheben und aus der Verschie
denheit der Culturzustände herzuleiten versuchen.
Wir beginnen mit Florenz und halten uns der ausgedrückten Absicht ge
mäß an die hervorragendsten Erscheinungen des Jahrhunderts auf dem Gebiete
der Malerei: Masolino und Masaccio, Fra Giovanni da Fiesole, Fra Filippo,
Benozzo Gozzoli, Sandro Botticelli, Filippino, Domenico Ghirlandajo und
Andrea del Verrocchio. Wie Giotto der Kunst des 14. Jahrhunderts ihre Rich
tung gegeben, so treten Masolino und Masaccio zu Ansang des 15. als Gesetz
geber und Gesetzvollzieher einer neuen Zeit für eine höhere Kunstentwicklung auf.
Ihr Werk ist die malerische Ausschmückung der Capella Brancacci in S. Earmine
zu Florenz, welche Vasari passend „die hohe Schule der Kunst" trennt, in der
alle nachfolgenden bedeuterrden Meister ihre Studien gemacht haben. Die Ge
mälde sind aus der Geschichte und der Legende des Apostels Petrus genommen und
mit einigen andern biblischen Gestalten in Verbindung gebracht. Decken- und
Lunettenbrlder existiren nicht mehr. Die Vertheilung der erhaltenen Wand- und
Pseilerbilder an Masolino und Masaccio, zu denen später noch Filippino kommt,
ist noch nicht in übereinstimmender Weise festgisetzt. (Meine Ansicht habe ich im
dritten Theil meiner italienischen Kunstgeschichte zu begründen gesucht. Eine
Auseinandersetzung würde mich auf dem hier eingeschlagenen Wege zwecklosHIfh^
ten; nur das will ich. noch ^bemerken st>aß der Dasolino Fiorentino, der 1428 bis.:
1435 'in Castiglione dijOloria gemalt fhat, nichtder Masolino, der Mitarbeiter
Masaccio's in der Capelle Bcancacci, gewesen sen kann. * Dem Masolino und
Masaccio gehören vonchen noch erhaltenen Fresken der Capelle: der Sündenfall, -
die Austreibung aus dem Paradiese, Christus am Zoll, die Predigt Petri, die
Taufe nach der Predigt, die Heilung des Lahmen an Tempel und die Erweckung
der Tabitha, die Heilung Kranker durch den Schatte: des Apostels, seine Almo-
senspende und endlich Petrus auf dem Thron, von Verehern umgeben. Das übrige
ist Filippino's Werk. Ein gründliches Studiutn de Natur, vornehmlich der
Körper- und Gesichtsformen an der Stelle des alten mhr allgemein natürlichen
Styls, ist das augenfälligste, beiden Künstlern gemeinschstliche Verdienst, womit .
sich die Anfänge in der Kenntniß der Linearperspective uw der Mvdellirung durch
eine folgerichtige Vertheilung von Licht und Schatten verbinden. Weichere For
men mit entschiedenem Schönheitssinn, in Gemeinschaft nit einer wenig aus-'
drucksvollen Darstellungsgabe unterscheiden Masolino vi>n Masaccio und' dessen
energischer Formen-und Charakterbildung, mit stark ausgeprägter Individualist- -
rung ohne viel Schönheitssinn, dafür mit der Gabe lebendger und ausdruckswah- •
rer Darstellung. Waren so Smn und Seele beider Künstln' aus Wiedergabe des
Lebens als Erdenwirklichkeit gerichtet, so daß selbst der Christus M^aecio's ohne
jeden supranaturalistischen Schein als Meister unter seinen Jüngern %% ? p
hatte der Genius der italienischen Kunst, um dieselbe vor Einseitigkeit zu,
jenen beiden in dem frommen Klosterbruder von Fiesole einen Zeitgenossen
den der seine Anschauungen aus der überirdischen unsichtbaten Welt nahm, fu*.
den die Körperwelt nur als der luftige Träger der Seele vorhanden war, deren
heilige Schmerzen und himmlische Seligkeit den Inhalt seiner Kunstschöpfungen
bildeten, der betend malte und deffen Gemälde gleichsam Gebete sind, wie in Flo
renz seine zahlreichen Werke in den Sammlungen der Akademie und der Uffizien
und vor allen in dem in ein Museutn seines Namens umgewandelten Kloster S.
Marco vielfach bestätigen. . . .
Wie vielgesucht, weitverbreitet unb langandaucrnd die Thätigkeit Fiesole's .
auch sein mochte, es zeigte sich bald daß seine Sprache nicht mehr die herrschende
war- Fra Filippo, schon im achten Lebensjahr in S. Carmine in die Mönchs
kutte gesteckt, jedenfalls als Knabe Zeuge der Entstehung der Fresken Masolino's
und Masaccio's in der Kirche seines Klosters, aber in Klosterbegriffen erzogen,
schloß sich anfänglich mit Innigkeit an die Auffaffungsweise Fiesole's an; nur
daß er zugleich der Körperwelt von Anfang an das Recht einräumte die Offen
barung alles Seelenlebens zu sein. Bald indeß übermannte die Wirklichkeit ihn
mit ihrer Allgemeinfaßlichkeit und ihren unwiderstehlichen Reizen. Der trans
scendentale und symbolische Inhalt kirchlich religiöser Gegenstände ward ihm all
mählich, wie letztlich der eigentliche Inhalt einer jeden Ausgabe, zur Nebensache,
und nur zur Gelegenheit sein tiefes Eindringen in die Kenntniß der Natur, sei
nen großen Styl, seine vollendete Zeichnung und vor allem seine Hingebung an
die Allgewalt der Schönheit im Erdenleben kund zu geben. So finden wir ihn
in der Sammlung der florentinischen Akademie bei der wunderherrlichen Krönung
Mariä, die in Gegenwart einer großen Zahl von Engeln, Heiligen und anderen
Personen vor sich geht, von denen kaum drei oder vier ihr Aufmerksamkeit schen
ken; so im Dom von Prato beim Gastmahl des Herodes, der sich um den verhäng-
nißvollett Tanz seiner reizenden Tochter nicht im mittdesten zu bekümmern scheint.
Auch Benozzo Gozzoli's Versuche die überirdischen Wege seines Meisters
Fiesole zu wandeln, scheiterten an der unerbittlichen Allgewalt der Zeit und Um
gebung in der er lebte, und er fand erst sich selbst und den Reichthum seines Talents
als er sich den Forderungen derselben ohne Rückhalt hingab. So entfaltet seine
Kunst unvergleichliche Reize in der Capelle des Palastes Riccardi in Florenz, wo
er die hl. drei Könige sammt ihrem zahlreichen Gefolge in Pracht und Herrlichkeit
des-florentinischen Lebens seiner Zeit durch Felsgebirge und Wälder zu der in einen
Rosengarten verwandelten Geburtsstätte Christi wallfahrten läßt, und höher noch
sprudelt sein Gsist auf wo er im Eampo Santo von Pisa die Geschichten des Alten
Bundes zu schildern hat, und die verjüngte Erde und das neue Menschengeschlecht
in der Gestalt des blühenden Arnothales und seiner heitern, glücklichen und schönen
Bewohner den Zeitgenossen vor die entzückten Augen stellt.
Eine bedeutende Wendung nimmt die florentinische Malcrschule durch oder
mit Sandro Botticelli. War bis dahin die Kunst fast ausschließlich dem öffent
lichen Leben gewidmet, so ward sie nun auch zum Schrnuck der Wohnräume in
Anspruch genommen. Wohl blieben Madonnenbilder ein beliebter Gegenstand,
allein die transscendentale dogmatische Bedeutung trat vor allgemein menschlichen -
und gemüthlichen Beziehungen zurück. Sandro malte u. a. die Madonna im Be- v
griff das Magoificat zu schreiben, wobei ihr ein paar Engel mit echt florentinischen
Knabengesichtern Buch und Tintenfaß halten, und das Christkind michunzweideu-
tiger Miene' und Handbewegung sagt: „es sei genug, sie solle nicht weiter schrei
ben." Daneben aber gab der Bildungsstand der Gesellschaft'dem Künstler auch
sogenannte profane Stoffe an die Hand; Dante, Petrarca und Boccaccio lieferten
Aufgaben; nicht minder griechische Dichter und Prosaiker, deren Kenntniß zu An
fang der mediceischen Herrschaft zum guten. Ton gehörte; vor allem war die
Mythologie eine beliebte Fundgrube für die Maler, und Sandro führte mit glück
lichstein Erfolg die.Venus als Schmuck der Gesellschaftszimmer ein.