1
Die Chronik erscheint um die
Mitte jedes Monats.
Vereins-Kanzlei :
I., Eschenbachgasse Nr. 9.
Beiträge werden an den
Rédacteur erbeien.
TI
CHRONIK
DES
Im Aufträge
des
Wiener Goethe - Vereins ver
antwortlicher Rédacteur •
Rudolf Payer von Thum,
IV., Karolinengasse Nr. 18.
TT
WIENER GOETHE-VEREINS.
XIII. Band. Wien, an Goethes hundertfünfzigstem Geburtstage. Nr. 9.
INHA.LT : Goethes hundertster Gehurtstag in Wien.— Goethes Taufanzeige. — Torbole. — Zu Goethes Gedicht : »Das Tagebuch« von Max
Morris. — Bücherschau: Das neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen, Lieferung JO (Goethe und Carl August) ; Julius Vogel,
Goethes Leipziger Studentenjahre. — Miscellen: Hermann Rollett.
Goethes hundertster Geburtstag in Wien.
Im Gegensätze zu den rauschenden Festlich
keiten, mit denen zehn Jahre später wie anderwärts,
so auch in Wien Schillers hundertster Geburtstag
gefeiert wurde, gieng der 28. August 1849 in Wien
ziemlich klanglos vorüber, denn die Zeit war für
eine größere Veranstaltung nicht günstig. Wem es
nur immer seine Mittel und sein Beruf gestatten,
der floh damals wie heute das heiße, staubige
Granitpflaster der Haupt- und Residenzstadt, und
mit malitiöser Betonung stellte überdies der
Feuilletonist der »Ostdeutschen Post« am 28. August
1849 fest: »Die bildenden, malenden, dichtenden
Künstler sind meist von Wien abwesend, es lockt
sie in diesem Jahre mehr als sonst die ,freie'
Natur. «
Die politischen Ereignisse standen eben damals
im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Noch
zitterte die große Bewegung des Jahres 1848 in
den Gemüthern nach und ließ für Anderes wenig
Raum. Vor drei Wochen etwa war erst der Friede
mit Sardinien ratificiert worden, am 28. August
berichten die Zeitungen die Übergabe Venedigs und
verzeichnen das Gerücht von der Capitulation
Komorns. Die Namen Kussuth, Görgey, Klapka,
Bern füllen und erschöpfen die Spalten der Tages
blätter.
So darf es uns nicht Wunder nehmen, dass
der Antheil, den Presse und Publicum jenem denk
würdigen Tage entgegenbrachten, ein recht geringer
war; außer kurzen Berichten über die Feierlich
keiten in Frankfurt, Berlin, München, Prag, be
schränkt sich z. B. Bäuerles »Österreichischer
Courier« darauf, in der Nr. 206 vom 28. August
»bei dem Interesse, welches durch die Feier des
hundertjährigen Geburtstages Goethes in weiten
Kreisen für den großen Dichter von neuem an
geregt worden ist«, Goethes übrigens damals schon
wiederholt gedruckten letzten Brief an Zahn vom
10. März 1832 über die Ausgrabungen in Pompej
wieder abzudrucken. Ein Feuilleton in der Nr. 188
der »Ostdeutschen Post« : »Goethe in Öster
reich« eröffnet seine Betrachtung mit einem nur
dem Sinne nach angeführten Epigramm Goethes :
»Österreich hat mich wenig beachtet, aber seine
Censur hat durch Verbot meine Werke bekränzt,«
welches in einer für Österreich bestimmten Aus
gabe der Werke unterdrückt sein soll. Damit ist
der Grundton des ganzen Artikels angeschlagen,
der bis zur letzten Zeile nachklingt. Dafür, dass in
Wien keine Feier im größeren Stil zustande ge
kommen, macht der Verfasser in erster Linie die
kaiserliche Akademie der Wissenschaften verant
wortlich, wobei ein scharfer Seitenhieb auf die
Mitglieder Grillparzer und Halm fällt, die doch
Collegen Goethes— als »Leopoldsritter« seien Zwei
ansprechende »Studien zur Goethefeier« von Josef
Bayer in den darauffolgenden Nummern 189 und
190 desselben Blattes beschäftigen sich ganz im
Sinne der Zeit mit dem politischen Charakter
Goethes und seiner Helden Werther, Meister, Eg-
mont, Götz, Faust. Im k. k. Hof- und National
theater endlich wurde »zur Feier des 100. Geburts
tages Goethes neu in Scene gesetzt »Torquato
Tasso« unter Mitwirkung der Frauen Peche und
Hebbel, des Frl. Rudloff, dann der Herren Devrient,
Löwe und Anschütz gegeben.« Wenn wir den in
ihrem Endergebnis übereinstimmenden Kritiken der
Wiener Tagesblätter glauben dürfen, so war die
Inscenierung und Darstellung so misslungen, dass
der »Tasso« dem Auslachen nahe war. Damit war
so ziemlich alles erschöpft, was in Wien zur Feier
des 28. August 1849 geschehen ist. Doch nein, fast
hätten wir noch ein recht reichhaltiges »Programm
zur Goethefeier in Wien« übersehen, das aber nicht
zur Durchführung gelangt ist, denn — es findet sich in
einem Witzblatte, dem »Punch« (Neue Folge der
Wiener Zeitschrift, belletristisch-satyrisches Tagsblatt
mit Illustrationen, Eigenthümer und verantwortlicher
Rédacteur: August Bachmann, Nr. 106 vom
28. August 1849, S. 423) und lautet :