Full text: Zeitungsausschnitte über Holbein

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N 
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8 Little Newport, St. Leioester Sqa&re; 
Havas, Laffüte, Bullier&Cie. in Paris, 
8 Place delaBourse; E. Steiger inNew- 
york, 17 n. 19 Nortli William Street. 
ERoegeEusgabe. 
M 888S. 
55lernen, Freitzg, 27, Detobev 
D e u t s^h e S Reich. 
Berlin, 25. Oct. Da Graf Arnim für die nächste Zeit noch 
als außerordentlicher deutscher Gesandter in Paris bleibt, so wird sich 
die französische Regierung mit der Ausführung des Planes, sich in 
Berlin wieder durch einen Botschafter vertreten zu lassen, Zeit nehmen 
müssen. Die Bestätigung vor Nachricht der „Ag. Havas", Fürst Orloff 
sei zum russischen Botschafter in Paris ernannt, läßt auch ungebührlich 
lange auf sich warten. — Der heutige Artikel der „Prov.-Corr." über 
Metz wird in Paris der angenehmen Illusion ein Ende machen, als 
könnte Deutschland in einen Tausch der Festung Metz gegen die fran 
zösischen Besitzungen in Indien einwilligen. 
Wie wenig genau Benedetti es mit der Wahrheit nimmt, wenn er 
sich bemüht, die Dienste,' die er in Berlin Frankreich geleistet habe, in 
das beste Licht zu setzen, ergiebt sich aus folgenden Thatsachen. Bene 
detti erzählt, wie er am 15. Juli 1866 in Wien eingetroffen, wie die 
Bevollmächtigten der kriegführenden Mächte, die durch seine Bemühungen 
in Verbindung gesetzt worden (mis en presence par mes soins), am 
20. unter den Mauern dieser Hauptstadt die Friedespräliminarien, die 
Oesterreichs territoriale Integrität garantirten, unterzeichnet hätten. Es 
ist bekannt, daß Benedetti, wie seine eigenen im französischen Gelbbuch 
Nikolsburg zum Abschluß gelangten. Wollte man nun auch 
in denk falschen Datum Benedetti's einen Schreib- oder Druck 
fehler sehen, so steht doch wiederum die Insinuation des Botschafters 
S :n seiner entscheidenden Thätigkeit bei den Verhandlungen im vollsten 
ersprnch mit einer im französischen Gelbbuch veröffentlichten Devesche 
Benedetti's aus Nikolsburg vom 23. Juli. Er berichtet daselbst/ daß 
Graf Bismarck „mit seiner praktischen Auffassung der Dinge und seiner 
gewohnten Entschlösse!' in der ersten Unterredung mit den 
österreichischen Unterhändlern dieselben bestimmt habe, statt über den 
von Frankreich vorgeschlagenen Waffenstillstand sogleich über die Frie- 
densbedingungen, über die Kriegskosten und über die Gebietserwei 
terungen für Preußen zu verhandeln. (Vgl. Hahn, zwei Jahre 
preußisch-deutscher Politik, Pag. 181) Der Antheil des französischen 
Botschafters an dem Resultat dieser Verhandlungen beschränkt sich dem 
nach auf die gewöhnlichsten diplomatischen Handlangerdienste. Sfc*«. 
Benedetti aufgezählten faixi erunc, v —- -- v P lt ^7. Q1 ] 0 
Angen anzuknüpfen gehabt habe, 1860 in Turm, 1866 m Nrkols- 
bura und 1870 in Ems, beschränken sich demnach auf zwei. Zudem ver 
dankte er seinen diplomatischen Erfolg in Turin (Abtretung der Graf 
schaft Nizza an Frankreich) einem Drohbriefe deS Kaisers Napoleon: 
und was seine Erfolge in EmS im Juli vorigen Jahres betrifft, so sind 
sie ia weltbekannt. Und seine in der Liste nicht aufgeführten Erfolge bei 
den Compensationsverhandlungen in Berlin sind bekanntlich der Art, 
daß er eS Hrn. v. Bismarck erlaubte, mittelst der sog. dilatorischen 
Verhandlungen Frankreich Jahre lang hinzuhalten, bis die Schutz- Mid 
Trutzb llndniffe Preußens mit den süddeutschen Staaten ihre Früchte 
getragen^ aMn. eit ^ Wortbrüchigkeit der französischen Officiere 
wird von der „Correspondance de Berlin" unermüdlich verfolgt. In 
ihrer letzten Nummer veröffentlicht sie folgenden Artikel : Die Alten 
saaten' Etiam hosti fides servanda. Das war damals em moralisches 
Axiom; heute ist dieses Axiom bei den Franzosen wenigstens , ein streitiger 
Punkt geworden. In der Pariser Presse erheben sich Stimmen, nicht 
nur um diese Wortbrüchigkeit französischer Officiere zu entschuldigen, 
sondern sogar um sie wegen dieser Wortbrüchlgkeit zu verherrlichen. 
Das sind allerdings bonapartistische Journalstimmen, und man weiß, 
daß di-se Partei seit dem 2. December 1852 ihre besonderen Grunde 
bat um nicht gar zu streng über das „geschworene Wort" zu richten. 
JL* L J 9si#iii(Tn+ in hent . ifmberä" betn ..braven" General 
Hülfe; die persönliMasuistik dieses Militärs hat es augen 
scheinlich nothwendig, wenn mmaienigstens nach seinem letzten Briefe 
urtheilen soll, sich durch die Lectü einiger guter Autoren, wie Escobar, 
Sancher und die ratio studiorurfrer Väter Jesu zu stärken. Andere 
französische Blätter greisen die <°che anders an; sie umgehen dieselbe, 
machen dabei aber drollige Ouerrünge. So giebt der „Courrier diplo 
matique" zu, daß ein Officier wi Unrecht thut, wenn er sein Wort 
bricht, daß es aber, wenn man d Anschuldigung des Hrn. v. Bismarck 
wörtlich nähme, vergessen heiße, !e jeder preußische Angriff auf diplo- 
matlschem wie auf militärischem ebiet sehr häufig das Ziel verfolgt, 
die Aufmerksamkeit von anderen, mz anders wichtigen Thatsachen ab 
zulenken. (Also wichtiger, als dc was die Ehre der französischen 
Armee angeht!) Der „Salut pulc", ein Lyoner Blatt, plaidirt mil 
dernde Umstande und meint, dre ille seien minder zahlreich, als man 
anglebt. Zunächst thut die Za! nichts zur Sache; sodann haben 
me Deutschen nur eine Liste in 142 genau constatirten Wort- 
brüchen und Fluchten aufgefrrt. Diese Liste könnte länger 
werden; man brauchte nur e Officiere anzuführen, welche 
langt l " 
L 8 71 
erstens ihre Freiheit unter der Dingung wieder erlangt hatten, in 
o^sem Krleatz mcht mehr gegen Dtschland dienen zu wollen, und dann 
doch Barrals Beispiel befolgten, ie denn auch in der Schlacht bei 
Orleans mehrere Officiere dieser itegorie zum zweiten Male gefangen 
genommen worden sind; zw.itens l Belgien, nach dem Tag von Sedan 
mtermrt, ihr Wort brachen und rihr Vaterland zurückkehrten. Dort 
wurden die Fluchten und die Flmversuche so zahlreich, daß die bel- 
gi,che Regierung sich genöthigt salin dieser Angelegenheit eine Note im 
„Momteur zu veröffentlichen. Bce Blätter stimmen darin überein, daß 
man jedenfalls den strafbaren Hatlungm keine zu große Oeffentlichkeit 
geben dürfe. — Das Lyoner Bla! geht selbst so weit, zu fordern, daß 
die Verhandlungen bei verschlossem Thüren geführt werden müßten, 
als wenn es sich um ein Attentatruf die Sittlichkeit handelte. — Wie 
weit sind wir doch von dem grwn Schwurgerichte entfernt, welches 
? er ® enera * Leflo ilAussicht gestellt hat! Uebrigens ist 
das Alles nichts weniger als ein gerichtliche Procedur. Wie Frank- 
reich seine Ehre gesund erhält, istzanz gleichgültig. Wenn man sich 
aber m Versailles darauf beschrän, solche Verbrechen nur mit Abmin- 
derung des Grades und damit zchestrafen, daß die wortbrüchigen 
Officiere in die Reserve versetzt toten, so giebt mgn der öffentlichen 
BriMKgelkKals'ttNe mindere Dumm von Ehre erheischt, als 
eines Divisionsgenerals, und ob v )en Reservecadres das Worthalten 
minder nothwendig ist, als in dem des activen Dienstes? 
Crefeld, 25. Oktober. Bei k Einführung gemischter, d. h. theil- 
aus Seide, theils aus Baumwol! bestehender Seiden- und Sammet 
waaren in Frankreich wird ein erschiedener Zollsatz angewendet, je 
nachdem in dem Gewebe Seide der Baumwolle dem Gewichte nach 
vorherrscht, soie dominante oberoton dominant. Für jene wird ein 
nicht geringer, aber doch erträicher Gewichtszoll von 3 Frcs. pro 
Kilo, für diese 15 Procent des Trthes an Zoll erhoben. Sehr häufig 
erklären die französischen Zollbenten für eoton dominant, was die 
Fabrikbesitzer wahrheitsgemäß alsoie dominante beclarirt haben. Es 
erfolgten Beschlagnahmen ganzer endungen und dagegen Beschwerden. 
Durch die Vermittelung des Bohafters des norddeutschen Bundes 
wurde allerdings die Freigebung r zurückbehaltenen Sendungen, aber 
einzig gegen Erlegung sehr beträclicher Caution erlangt. Dann suchte 
die Zollbehörde ihre Behauptung daß Defraudation vorliege, zu be 
weisen. Zu diesem Zwecke wnrdeme fraglichen Stoffe einer chemischen 
Analyse unterworfen. Das Ergenß derselben war wenig zufrieden 
stellend, indem die Erklärungen d Chemiker sich widersprachen. Das 
Verfahren scheint aber überhaupt icht zweckmäßig, indem es immer nur 
aus sehr geringe Theile eines stregen Stoffes Anwendung finden kann. 
Wie sorgfältig aber auch ein Stü angefertigt sein mag, so ist doch eine 
unbedingte Gleichmäßigkeit aller )eile desselben niemals zu erreichen; 
eine nur um ein Geringes vermehrte oder verminderte Dichtigkeit des 
Gewebes vermehrt oder vermindert an der einen Stelle die Zahl und damit 
das Gewicht der durchlaufenden Baumwollenfäden. So ist es ganz wohl 
möglich, daß der Chemiker für den ihm vorgelegten kleinen Theil eines 
Stückes das Urtheil eoton dominant abgiebt, während der Fabrikbesitzer 
nach Ausweis seines Fabrikbuches für das ganze Stück mehr Seide 
als Baumwolle verwendet und so im guten Glauben die Angabe soie 
dominante gemacht hat. Wo es sich um größere Menge gleichfarbiger 
Stücke handelt, die ja natürlich von verschiedenen Webern in nicht 
vollständig übereinstimmender Dichtigkeit angefertigt sind, ist selbstver 
ständlich der Unterschied zwischen einzelnen Theilen noch größer. — 
Die Handelskammer von Crefeld wandte sich über die unerträglichen 
Belästigungen, denen die fraglichen Bestimmungen des Handelsvertrages 
die Sendungen nach Frankreich aussetzten, klagend am 15. März 1870 
an das Bundeskanzleramt, um dessen Vermittlung dahin zu erlangen, 
daß die Besteuerung nach dem Werthe für die gemischten Stoffe über 
haupt aufgegeben, der Unterschied zwischen soie dominante und eoton 
dominant nicht ferner berücksichtigt und ein einheitlicher nur hinsichtlich 
der Stück- und der Bandwaaren verschiedener Gewichtszoll festgesetzt 
werde — sollte die Höhe desselben auch die Abgabe, welche bisher für 
die als eoie dominante bezeichneten Waaren bestimmt war, um etwas 
übersteigen müssen. 
Z] Karlsruhe, 25. October. Gestern fand hier die Wahl der drei 
Abgeordneten in die zweite Kammer statt. Gewählt wurden die Vor 
geschlagenen: Ministerialrath Nicolai, schon bisher Abgeordneter, und 
die Gemeinderäthe Kaufmann Lang und Anwalt Gutmann (Israelit), 
erstere fast einstimmig; letzterem fehlten von 160 Wahlberechtigten 
18 Stimmen. — Die badische Bank wird nach Beschluß des Verwal 
tungsraths ihr Actiencapital verdoppeln, d. h. die zweite Hälfte ihrer 
Actien im Betrage von 3 Millionen Thalern hinausgeben. Je eine alte 
Actie soll eine neue Actie zum Course von ca. 108 pCt. unter Ver 
gütung der laufenden Zinsen erhalten und an der Dividende pro 
1871 (ca. 6—8 pCt. taxirt) Participiren, so daß sich zu Gunsten der 
neuen Actien eine Dividenden-Differenz von 21/2 pCt. ergeben und sich 
so das Agio der neuen Actien auf etwa 1051/2 pCt. reduciren würde.— 
Der Winterfahrplan auf den bayerischen und badischen Bahnen be 
last, haben ihrem Ärbeitspersonal und zwar aus freien Stücken, ohne 
besonoere Aufforderung von Seiten desselben, eine Lohnerhöhung nach 
den jeweiligen Leistungen des Einzelnen bewilligt. Die Maschinen- 
ä abnk in Eßlingen (Würtemberg) hat die Arbeitszeit auf 11 Stunden 
jerabgesetzt. Wir dürften, namentlich durch derartige Maßnahmen, 
>ier im Süden von den Strikes wesentlich befreit bleiben. — Am 23. d. 
sollte in Duisburg die Rheinschifffahrts-Centralcommission unter dem 
Vorsitz des preußischen Commissars. Strombaudirector Nobeling von 
Coblenz (wahrscheinlich wegen zeitweiliger Verhinderung des ständigen 
Vorsitzenden, Geh. Referendar Muth vom badischen Handelsministerium) 
zusammentreten, um sich über die neue Eisenbahnbrücke zur Verbindung 
der rheinischen Bahn, von welcher auch Vertreter zugegen sein werden, 
auf der Strecke von Essen nach Osterode bei Rheinhausen auszu 
sprechen. Es wird dies die achte feste Brücke über den Rhein werden, 
der vor Jahren eine einzige feste Brücke bei Kehl hatte. 
Großbritannien. 
* London, 24. Oct. Die Londoner Patriotische Gesellschaft, einer 
von jenen Demokratenvereinen, welche hie und da in einer unsauoern 
Winkelkneipe auftauchen, und bei welchem Odger nebst Genossen bestän 
de Wort für ‘ “ 
oge 
big das große Wort führt, hat eine Anzahl von Arbeitervertretern 
einberufen, um die neue politische und sociale Allianz zum Gegenstände 
der Berathung zu machen. Einstimmig wurde das Project der Ver- 
Zum Streit der Königinnen zu Dresden. 
I. 
W L. Auch die Madonnen entgehen in unserem Zeitalter nicht 
dem gemeinen Loose, depossedirt zu werden. Ein Emporkömmling, erst 
vor wenigen Jahrzehnten ans Licht getreten und wenige Jahre erst 
allgemeiner bekannt, ist im Begriff siegreich die Stelle einzunehmen, 
welche bis dahin ein als Perle deutscher Kunst verehrtes Bild behauptete, 
und weder die Fürsprache von Fanny>Lewald, noch die Anstrengungen 
der Dresdener Künstlerschaft, welche sich in einmüthlgem Eifer um die 
Angestammte schaart, scheinen im Stande, das schmerzliche Loos von ihr 
abzuwenden. Wer vor den beiden Holbeinbildern im Dresdener Zwinger 
betrachtend verweilte, dem schien es, als ziehe sich, um das Antlitz der 
Darmstädter Madonna ein stilles und doch be cheidenes Triumphgefuhl, 
dem dann der muntere Jesusknabe an ihrer Brust mit lebhafter Ge 
berde secundirte. Aber das Haupt der Dresdener Maria umzog elegische 
Trauer, mit Resignation schien sie sich ins Unvermeidliche zu.ergeben, 
indeß der kleine Jesus mürrisch darein sah und seine Verdrießlichkeit 
^K|, daß das Jesuskind des Dresdener Bildes in der That 
einen so unköniglichen krankhaften Ausdruck zeigt, daß man früher viel- 
sack zweifelte ob es wirklich den Erlöser der Menschheit darstellest solle. 
Fiw die Kritiker war dies ein Anlaß zu den seltsamsten Deutungsver 
suchen, und manche dachten in vollem Ernst — es war dies nicht blos 
ein Witz des Kladderadatsch —: . 
Du bist ja gar mcht der Jesus Christ, 
Du bist ja der steine Meyer. 
Sie kamen nämlich auf den Gedanken, das Kind auf dem Arme 
der Maria sei das kranke jüngste Kind der Familie Meyer, das der 
Madonna zur Heilung an's Herz gelegt sei und das dann rm Vorder 
gründe des Bildes als der nackte Knabe abermals vorgeführt werde, 
bei dem seltsamen Gesichtsausdruck des Dresdner Jesuskindes erklärlich 
war, aber heute zum Glück gegenstandslos geworden ist. Denn lener 
kränkliche Knabe gehört einzig dem unbekannten Urheber der Nachbil 
dung an. Das echte Holbeinbild zeigt einen Jesus, der leidlich frisch 
und munter in die Welt blickt uno vor der Uebermalung, deren Spuren 
es allerdings trägt, vielleicht noch ansehnlicher den Welterlöser 
repräsentirte. 
Frei von jedem Hauch des Argtbns, steht sie in ihrer gedrückten 
Nische,.»dagegen waren, sobald ises Bild aus seiner Verborgenheit 
ception vor ihm voraus hatte, ine Auseinandersetzung mit diesem 
Rivalen, eine peinliche Visitatio war der Dresdener Madonna auf 
keinen Fall zu ersparen. Es tute sich von Anfang nicht: welches 
von beiden Bildern trägt mit Rck den Namen Holbein's, vielmehr: ist 
neben dem einen unzweifelhaft echt Bilde der Holbein'sche Ursprung auch 
des anderen Bildes aufrecht zu hak? Und wenn man von Frauen sagt, 
daß schon der bloße Verdacht ihr Ehre tödtlich sei, so kann man auch 
von oen Gebilden der Kunst sack, daß schon der Verdacht der Unächt- 
heit ihrem Ruf eine bedenkliche^unde schlägt. Ein Proceß ist immer 
unangenehm, auch wenn man i gewinnt. 
Allein, was noch ein bloß' Berdacht war, als zu München im 
Jahre 1869 zuerst das Darmstter Bild öffentlich sich zeigte, ist An 
gesichts der zusammengestellteGilder zur Gewißheit geworden. In 
ganz überraschender Weise ist ie gründliche Verschiedenheit beider an 
den Tag gekommen, und die Btreter der Wissenschaft haben in über 
wiegender Zahl dahin entsäden. daß der Holbeinursprung des 
Dresdner Bildes nicht länger tzuyalten sei. Nun werden zwar Viele 
sich nie und nimmermehr zu der Gewißheit bekennen, in Unzähliger 
Herzen hat sich das Dresdener rtdonnenbild unverwischbar eingegraben, 
und sie werden es fest im Herr bewahren und in holder Zdeenver- 
wirrung eben deswegen den Evürfen der Kritik zum Trotz an dem 
Namen festhalten, den die Trction geheiligt hat. Aber darüber wird 
sich Niemand verwundern, den der Geschichte der menschlichen Mei 
nungen bewandert ist. Wannat jemals die Kritik eine altgewurzelte 
Meinung erschüttert, die nicht eunde gefunden hätte, welche sich ihrer 
mit desto vermehrtem Eifer annnen? Freunde, welche mit bekümmerter 
Miene über die Härte der Winschaft klagten, die pietätlos über die 
Ansprüche des Herzen» und ir die ehrwürdigsten Traditionen hin- 
'Mhren abermals umstoßen öder mindestens refornnren? Wie kann 
das Publikum einer sogenannten Kunstwissenschaft vertrauen, die heute 
für schwarz erklärt, was sie gestern.weiß nannte? Besteht eine 
solche Wissenschaft aus mehr als subjectiven und willkürlichen, über 
eilten und paradoxen Einfällen? Der Leipziger Professor Fechner hat 
im Interesse des Dresdener Bildes sich die Mühe gegeben, die wider 
sprechenden Ansichten der Kunsthistoriker gegen einander und einzelner 
gegen sich selbst wohlgeordnet zusammenzustellen, um damit, wo nicht 
diese Wissenschaft überhaupt ad absurdum zu führen, doch mindestens 
Mißtrauen gegen ihre neuesten Aussprüche zu erregen. Dieses grau 
same Vergnügen kann dem Leipziger Kunstfreunde Niemand verwehren, 
auch ist, feine Zusammenstellung ganz nützlich und heiter zu lesen, und 
es mag sein, daß der eine oder andere Kritiker, der die Partei auf- 
c^w < esst f'-JWtvtöi-t 
Es ist den Dresdenern hoch anzurechnen, daß sie zu 
n Conftontation der beiden Streitobjecte die Hand botei 
der persön 
lichen Conftontation der Verven Sirerroorecre ore yano boten. Unstreitig 
waren sie vom Anfang an im Nachtheil. Denn an dem Holbein'schen 
Ursprung der Darmpädter Madonna hatte nre eme Seele gezweifelt. 
wegschreite? Das hat man zulen Zeiten erlebt, und zu allen Zerten 
ist dann der thatsächlich vorhtene Streit der Meinungen als ein 
evidenter Beweis angeführt w>en, daß die Wissenschaft, wenn sie sich 
von der Tradition entferne, ühaupt keine Sätze aufstellen könne, die 
nicht von andern Vertretern Wissenschaft wieder bestritten würden. 
In Laienkreisen hat dennuch der Einwurf viel Glück gemacht: 
dieselben Kunstkritiker, die jetztzs Dresdener Bild als eine Copie, und 
zwar als eine „unverstandenTopie heruntersetzen, haben es noch vor 
wenigen Jahren als Holbein's'eisterwerr, als einen Höhepunkt deutscher 
Kunst gepriesen. War nun fs erste Urtheil nach ihrem eigenen Ge 
ständnisse ein falsches, wer )t denn dafür, daß nicht ihr neuestes 
Urtheil gleichfalls ein übereil ist, daß sie es vielleicht nach ein paar 
ein Irrthum, zu meinen, die wahre Wissenschaft mache Anspn:ch darauf, 
absolute Wahrheiten vorzuschreiben. Es sind die Religionen mit ihren 
Dogmen, welche in ihrer Bescheidenheit diesen Anspruch erheben. Die 
Wissenschaft weiß, daß ihr Proceß ein ewiges Werden ist. Sie lernt 
beständig, und bei jedem Resultat macht sie sich selbst den Vorbehalt, 
daß wettere Forschung das Ergebniß berichtigen, ergänzen, umstoßen 
könne,-das ist so selbstverständlich, daß man gar nicht nöthig findet, es 
ausdrücklich auszusprechen. Der Weise fällt kein Urtheil, ohne still 
schweigend 
für das 
daran, c.„, , 
schen Unfehlbarkeit gründlich abzugewöhnen. Allem es rechtfertigt noch 
lange nicht, an der Wissenschaft überhaupt zu verzweifeln, weil sie es 
ja nicht zu unumstößlichen Resultaten bringen könne. Denn nur der 
oberflächliche Blick erschrickt über das Chaos der widerstreitenden Mei 
nungen. Sobald man nur von irgend einem Punkte aus nach rück 
wärts blickt, so verwandelt sich die Scene, das Chaos zertheilt sich; 
was der Gegenwart Willkür und Zufall geschienen, ordnet sich in mm 
vernünftigen Zusammenhang, es ist ein beständiger und fast stetiger 
Fortschritt zu erkennen. Und ihren wahren Stolz setzt die Wissenschaft 
eben darin, daß sie fortschreitend der Wahrheit immer näher kommt. 
Die Geschichte der Wissenschaft ist eben die Geschichte der Wahrheit. 
Wie alle Geschichte, bewegt sie sich nicht in einer fortlaufenden geraden 
Linie, sondern sie geht im Zickzack, sie geht durch beständigen Irrthum, 
und lede neue Stufe der Erkenntniß wird dadurch bezeichnet, daß wieder 
ein Irrthum abgelegt wird. Darum braucht man sich nicht zu schämen, 
einen Irrthum einzuaestehen; denn indem wir es thun, fördern wir 
die Erkenntniß des Wahren. 
Und Ein Geständniß läßt sich freilich nicht zurückhalten: die kri-
	        
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