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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
aus : Weimarische Zeitung, Nr.198, 1871, Aug.24, S. 2-3
Von der Holbein Ausstellung in Dresden.
Gestatten Sie mir, Ihren Künstlern und Kunstfreunden
einen vorläufigen Bericht von der mit so großer Spannung
erwarteten Holbeinausstellung zu geben, wenigstens von den
ersten Eindrücken jenes schon so lange geförderten, nun endlich
vollendeten Ereignisses, das schon vorweg die Kunstwelt
Deutschlands und Englands in die größeste Aufregung/ver
setzte — der Konfrontation der Dresdener und der Darm
städter Madonna. Sie ist vollzogen: die beiden göttlichen
Frauen sind vor den Schranken des Gerichts erschienen, das
schriftliche Verfahren ist geschlossen und die Hauptverhand
lung beginnt. Die bisher ergangenen Akten und Aufzeich-
nungen über die Verhöre hat Professor Fechner in einem
trefflich geschriebenen Buche: „Ueber die Aechtheitsfrage der
Holbeinschen Madonna" zu Jedermanns Instruktion gesam
melt, und am Ende der Ausstellung, nachdem die Richter die
beiden erhabenen Nebenbuhlerinnen Tag für Tag ins Kreuz
verhör genommen haben werden, wird der Spruch ergehen.
Ja, recht im Geiste der Zeit soll das Urtheil durch ein
Scherbengericht auf breitester Grundlage, durch ein wirkliches.
suffrage universel gefunden werden. Am Eingänge zur Y
Ausstellung nämlich hat Prof. Fechner ein Album ausge
legt, in welchem er die Besucher und Besucherinnen dringend
bittet, ihre Ansichten darüber niederzulegen, welches ^er bei
den Bilder ihnen, Eins ins Andere gerechnet, den besten Ein
druck mache und welches sie in ihren Räumen am liebsten be
ständig sehen (kürzer auszudrücken, welches sie am liebsten ge
schenkt haben) möchten; sodann speziell, welches Madonnen
gesicht ihnen das am meisten sympathische sei. Auch die so
gesammelten Stimmen sollen zur Schlußverhandlung mit er
wogen werden. Fechner hält es nun einmal mit den Räth
seln; hat er uns schon so viele sinnige und schwere zur Un
terhaltung aufgegeben, so sollen wir ihm nun Alle dieses
schwerste und komplizirteste lösen helfen. Der Effekt dieser
beiden Fragen ist erstaunlich; die harmlosesten Naturen, die
von keiner Darmstädter Madonna wußten und in deren Seele
der schwarze Verdacht gegen die Aechtheit der Dresdener noch
keinen Eingang gefunden, sind dadurch aufs Tiefste aufgeregt,
so daß sie nun in einem beständigen Trabe zwischen beiden
Bildern sich aufreiben müssen. Sie glauben nicht, welch ein
dramatisches Leben sich vor den merkwürdigen Bildern ent
wickelt. Voran stehen die Kunstkenner mit der Loupe und
einem heimlichen Verzeichnisse der Unterschiede beider-Bilder.
Wie sie mit ihren Blicken auf die Madonnen und die from
men Beter siechen, sich hinter den Firniß, durch die Pati-
nentos, durch die Lasuren, bis auf die Untermalung gewalt
sam einbohren! Man sieht es ihnen an, daß, wenn sie allein
wären, kein Dämonium sie abhielte, das Darmstädter Bild
umzudrehen, der Sache von hinten beizukommen und von der
Leinwand her die hochwichtige Frage nach dem „durchgewach
senen Blau" zu erledigen, ob nämlich das Gesicht der älteren
Frau über ein Stück vom blauen Gewand der Madonna per
patinento übergemalt ist, oder sich auf rechtmäßigem Grund
und Boden befindet. Wie sie es mit lauten Worten bekla
gen, daß kein unzweifelhaftes Dokument Licht in die Sache
bringe, aber im Innern die Familie Meyer, welche das Bild
gestiftet hat, loben und preisen, daß sie keine entscheidende
““ schriftliche Aufzeichnung hinterließ, welche ihnen die Arena zu
einer so wundervollen Disputation versperrt hätte! Die er-
J sten Tage genirten sich diese Kenner noch zuweilen, Denjeni
gen, welche auf den Stühlen Platz genommen, um die Bilder
andächtig zu betrachten, die Sehbahn so oft zu durchkreuzen,
und sie huschten nur in .schicklich erhaschten Momenten wie