© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
He. 226.
Augsburg, Montag, 14 August
1871.
CorresDondenzen sind an dis Eadwtioa, Inssnt« an die Expedition in All*smoinon Eaitanc franco zu richten. Dieselbe berechnet für die dreigespaltene Colonelzelle oder deren Raum
'* Im HftuptbUtt U kr.} ln d*r Btil&f«, woloh*r_da« HontsfsbUtt floioh goaehtat wird, 9 kr. a. W.
abgekürzte) Wort oder Zahl
wird. Der entfallende
MomagS erscheint nur ein Blatt.
Verlag der I. G. Totta'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. I. v. Gosen.
Uebersicht.
Die Augsburger Gerichtsbücher über Hans Holbein den Aeltern. —
Südwestdeutsche Idyllen. (2. Stein am Rhein.) — Aus den Kriegs
gerichtsverhandlungen von Versailles.
Neueste Posten. München: Die Ministerkrisis. Hohe Reisende.
Eiserne Kreuze. Berlin: Zur Näumungsfrage.
Telegraphische Berichte.
* Versailles, 12 Aug. Nationalversammlung. Der Antrag des
linken Centrums auf dreijährige Vollmachtsverlängerung für Hrn. Thiers
mit dem Titel eines Präsidenten der Republik wurde eingebracht. Bei
Auflösung der Nationalversammlung innerhalb dieser Zeit sollen die Voll
machten des Hrn. Thiers nur so lange dauern als nöthig ist um eine neue
Versammlung zu eonstituiren. Der Präsident soll die Exekutivgewalt aus
üben; alle Executivacte bedürfen der Gegenzeichnung des betreffenden
Ministers. Die Minister sind der Nationalversammlung verantwortlich.
Ein Mitglied der äußersten Rechten bringt einen Vorschlag ein auf Verlän
gerung der Bestätigung der Hrir. Thiers zu Bordeaux übertragenen Voll
machten. Für beide Vorschläge wird auch von Hrn. Thiers die Dringlich
keit gefordert. Nach Aufhebung der Sitzung für 20 Minuten wird die
Dringlichkeit angenommen.
* Frankfurt a. M.. 12 Ang Abend.EffrcteusocietSt. 1882er Amerikaner
97%, Silberreute 58% 1860er L —. E,evitactieu 275%. Lombarden 173%,
Staat-bahn 403, Galizier — Elisabeth —, 3proc. span. außl. Schuld 31% 6,
frans. Rente volle —, leere 88%. Fest.
* Parts. 12 Aug. Schlutzcurse. Zproc. Rente 55.72, Credit Mobilier 175,
Staat-bahu 867, Lombarden 382. Italiener 59.37, 1882er Amerikaner 126 93,
neue Anleihe 88.57.
* Amsterdam, 12 Aug Wechsel auf London —, 3proe. Spanier
31'1%5, 6proc. Amerikaner 98%,, bproe. Papierrente 48. 5proc. Silberrente
56 %g, 5proc. Türken 44%, 5proc. Russen 80%. Fest.
I Amsterdam, 12 Aug. Roggen per Oct. 187—188.
Die Aug-burger Gerichtsbücher über HarrS Holbein den
Aeltern.
* Je spärlicher die Quellen zur Geschichte der hochberühmten Künstler
familie der Holbeine fließen, desto willkommener find auch geringfügigere
neu aufgefundene Notizen über sie. Ein glücklicher Zufall ließ mich vor
mehreren Tagen die alten Gerichtsbücher der Stadt Augsburg aus dem
Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts entdecken. Eine ge
naue Durchsicht dieser in mehrfacher Beziehung äußerst intereffanten Ar
chivalien zeigte mir eine Fülle von Nachrichten über die persönlichen Ver
hältnisse der hervorragendsten Männer jener Glanzzeit Augsburgs. Ich
beschränke mich hier auf die Notizen über die Familie Holbein, einmal weil
gerade die Augsburger Periode derselben noch in dichtem Dunkel begraben
liegt, dann weil, nach außen wenigstens, keine so großartig gewirkt hat wie
sie. Ich bemerk^nur noch daß Schrift und Sprache dieser Gerichtsbücher in
gleichem Maße verderbt sind. Die Einträge sind in protokollarischer Weise,
im Flusse der mündlichen Verhandlung, niedergeschrieben worden, und
namentlich wegen der völlig willkürlichen, zahlreich angewandten Abkür
zungen nur mit großer Schwierigkeit zu entziffern, während die Sprache
im Kampfe mit der fremden Terminologie der römischen Rechtvbegriffe die
gewagtesten Versuche zur Verdeutschung derselben macht, und dadurch nur
noch unverständlicher wird. Ich gebe nun in folgendem die Notizen in
chronologischer Reihenfolge getreu in der Schreibweise des Originals.
Gerichtsbuch des Jahrs 1503, uff mitwoch post Felicii:
„Item der Holbain muler ist zu Paulsen Mair geschlachtgwannder,
wie daz er sich unterstanden und im durch sein eigen gewalt und
furnemen ein prett naher gtissen und im sein hus in sein abwesen
geöffnet hab mit . . Das Folgende unleserlich.
Dieser Paulsen Mair war nach dem Steuerbuch v. 1.1503 der nächste
Nachbar des alten Holbein, der mit seiner Mutter in einem Hause zusam
men wohnte. Woltmann befindet sich daher in einem Irrthum wenn er
auf S. 133 seines Buchs sagt: der Vater Holbein.sei in jenem Jahr nicht
'in Augsburg zu finden; er tritt uns außer im Gerichtsbuch auch im Steuer
register entgegen.
Daß die Vermögensverhältniffe unserer Künstlerfamilie in arg zerrütte
tem Zustande waren, geht aus mehrfachen Auspfändungen hervor, denen
der ältere Holbein sowohl als seine Mutter unterworfen wurden. So ist
zum „donrstsg post Cantate 10. tag maii“ des Jahres 1515 eingetra
gen: „hudwig Smid metzger hatt alle recht erlangt ann Holbain
maler pro 1 fl., 11 was nach der Ausdrucksweise der damaligen Zeit so viel
bedeutet als: der Gläubiger hat nach constatirter Zahlungsweigerung sei
nes Schuldners (Holbeins) vom Gericht eine Auspfändungsvollmacht er
halten. Wie schlimm muß die Lage des Künstlers gewesen sein wenn er
nicht einmal einen Gulden aufbringen konnte! Ein andermal (1516, „af-
termofltag post Reminiecere 10. tag februarius“) treffen wir Holbein
in einem Rechtsstreit mit den beiden Pflegern eines jungen Jlsung, „mnb
verfalln zins" und am 13 Nov. (mitwoch post Martini) in einem eben
solchen mit „Jörg Lotter“ wegen einer Schuld von 32 Kreuzern. Auch hier
kam es Wieder zur Auspfändung. Solche Mißstände mögen ihn Wohl in
erster Reihe bewogen haben die Vaterstadt zu verlassen, und sein Heil an
derwärts zu suchen. Seine beiden Söhne, Hans und Ambrosius, hatten
schon vor längerer Zeit den Wanderstab ergriffen, um nach der schönen
Sitte jener Zeit ihre jungen Kräfte im Kampfe mit den Gewalten des Le
bens zu erproben. Hans war noch im Jahr 1515 nach Basel gezogen, wo
er bereits in den letzten Tagen des Jahres mit einer Illustration des En-
comium Moria von Erasmus debütirte, während sein älterer Bruder Am
brosius mit Sicherheit erst im September des nächsten Jahrs in der kunst
gebildeten Rheinstadt nachgewiesen werden kann. Nach dieser Richtung
wandte — vermuthlich mit Zuthun b?r Söhne — auch der hartbedrängte
Vater seine Schritte. Das Gerichtsbuch zum Jahr 1517 enthält zum
12 Jan. (monfag post Erhardi episcopi) folgende Notiz: „auf ohge-
nanten tag ist Sigmund Holbain vor gerächt erschienen unnd (hat)
im auf sein begern und anrüstn ain erber gericht disen unterschid
geben: erstlich das Sigmund Holbain eingesebriben werd das in 4
wuchen den nechsten Hans Holbain sein bruder an Sigmund als er
furhielt nit begert hat mit im gen Eyszneu zu <ziehen laut der urtl
für ains. Fürs ander dieweil die 34 fl. verrechnetz geltz laut der
hanndtschrift ain verwerte bekantlichc schuld ist, so latz ein erber
gericht mit dem nachgeweiz bietten bey dem alten griehtsbrauch
wie es von alter her körnen ist beleyben. Fürs 3. gibt ain erber
gericht Sigmunden Holbain zu underschid der dreier II. gewetteter
schuld halb das er muge mit dem burggraven erkunden auch nach
diser stat recht. Das im Sigmund Holbain ein zuschreyben begert
hat und im zu geben ist.“ Der Sinn dieser Stelle dürfte nach meiner
Ansicht der sein: Hans Holbein hat gegen seinen Bruder Sigmund (vgl.
über dessen künstlerische Thätigkeit Woltmann S. 164 ff.) auf Erfüllung
eines Versprechens geklagt, das dahin abzielte eine gemeinschaftliche Reise
machen zu wollen. Sigmund widerspricht dem und läßt sich über dir
Haltlosigkeit dieses Klaganspruchs ein gerichtliches Zeugniß ausstellen.
So weit wäre das Verhältniß deutlich. Aber was bedeutet „Eysznen,“
wohin Hans den Bruder mitziehen will? Lange dachte ich mit meh
reren Freunden an Eisenach das im schwäbischen Volksmund wie „Eisne"