Erste Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von
und gelehrttn
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M 206.
Frankreich.
Paris, 31. August.
sGrafArnim. DieRLumungsfrage. Die elsaß
lothringische Industrie. General Faidherbe.
Die Befreiungsliga. Belfort. Befestigung von
Paris. Reklame für Napoleon. Verhaftungen.
Schlägerei.) Graf v. Arnim, der vorgestern in Ver
sailles angekommen ist, hatte eine Unterredung mit dem
Finanz-Minister Pouyer-Quertier und wurde von Thiers
empfangen. Die Zusammenkunft war nur eine sehr kurze.
Aus den Worten des Grafen soll jedoch hervorgehen, daß
Deutschlanv die Räumung, die Frankreich verlangt, an
nimmt. Selbstverständlich müssen jedoch die Bedingungen,
unter denen dieselbe stattfinden soll, noch geregelt werden.
Die Summen, welche auf die dritte halbe Milliarde noch
rückständig waren, sollen heut bezahlt worden sein, so daß
eine der Hauptbedingungen für die Räumung der Um
gegend von Paris jedenfalls erfüllt ist. Die weiteren Ver
handlungen zwischen Deutschland und Frankreich werden
natürlich von dem Ausgange der Discusston über die Pro
position Rivet, die heut in Versailles begonnen hat, ab
hangen. Was die Frage Betreffs der freien Einfuhr der
elsaß-lothringcr Erzeugnisse nach Frankreich anbelangt, so
erfährt man, das der parlamentarische Verein Ferray diese
Frage discutirt und sich dahin ausgesprochen hat, die Er
zeugnisse der elsaß-lothringer Industrie bis zum 31. Dezem
ber \ des Zolles bezahlen zu lassen, welche die altdeutschen
Waaren bet ihrer Einfuhr in Frankreich entrichten müssen.
General Faidherbe ist nach Lille zurückgekehrt; er war
nicht zu bewegen, seine Austrittserklärung aus der Natio-
nal-Versammlung zurückzunehmen. Faidherbe hatte sich
für die Diskussion über die Nationalgarde als Redner
einschreiben lassen; das Echo du Nord bringt die Ansich
ten des Generals über dieses Institut, dessen Schicksal
nunmehr von der National-Versammlung besiegelt ist.
Faidherbe tritt in diesem Bekenntnisse als Verfechter einer
von der Armee getrennten Nationalgarde auf und beruft
sich auf das Wort von Thiers: „Die Stadt muß die
Stadt bewachen." — Da die Liga zur Befreiung von
Elsaß und Lothringen in Folge der Beschwerde des Gra
fen v. Waldersee aufgelöst werden soll, wird jetzt eine
Petition an den Chef oer Executive, welche bereits über
7000 Unterschriften zählt, vorbereitet, um die Erlaubniß,
sich versammeln zu dürfen, trotz Remusat's Versprechen
zu erhalten; in jener Petition wird der Minister des
Auswärtigen ziemlich hart mitgenommen. Eben so ist
eine Agitation im Werke, welche die Fakultäten der Uni
versität Slraßburg nach Rouen verlegt wissen will. —
Der Deputirte für Belfort ist von der Stadt beauftragt,
von rer Regierung und der Kammer die Genehmigung
zu erwirken, daß die genannte Stadt in ihrem Wappen
die Insignien der Ehren-Legion führen dürfe. — Außer
den Befestigungen der Höhen von Chatillon sollen die des
Moulin d'Orgemont in nächster Zeit in Angriff genom
men werden. — Gestern Abend fiel in der Nähe des
Triumphbog'...o ein Luftballon mit der Inschrift: „Na
poleon lll. wirb nach Frankreich zurückkehren!" niever,
Man ist eifrig damit beschäftigt, diejenigen Theile
der Tuilerieen - Ruinen niederzureißen, die bei einem
eventuellen Wiederaufbau nicht verwendet werden,
durch die im September gewöhnlich eintretenden
Regengüsse aber zum Einstürzen gebracht werden könnten,
was möglicher Weise Unglücksfälle- herbeiführen würde. —
Seit mehren Tagen waren die Polizei-Agenten benachrich
tigt, daß in den Steinbrüchen von VanvreS und Jssy sich
mehrere Personen versteckt hielten; sie bemerkten dann auch
das tägliche Kommen und Gehen mehrerer Frauen mit
ungewöhnlich großen Körben, welche sich alle einem und
^»selben Brunnen näherten und nach einigen Augenblicken
leer ^irückkehrten. Einer der Agenten folgte den Frauen
und wu^e sich mit so großer Geschicklichkeit bei ihnen für
einen versorgn Communisten auszugeben, daß man ver
sprach, lhn antet«* Tages zu dem Brunnen zu führen, wo
neun andere Communen sich aufhielten. Am andern
Tage war natürlich die Oertttü/eit mit der nöthigen Anzahl
Agenten besetzt; zuerst wurde eine der Frauen verhaftet
und dann an die Brunnenbewohner die Aufforderung ge
richtet, heraufzusteigen aus ihrem Versteck, wo sie seit 24
Monaten gehaust hatten. Da sie die Unmöglichkeit einer
Flucht oder Hülfe erkannten, gehorchten sie ohne Weiteres;
keiner derselben hatte eine wichtiges Commando gehabt. —
Gestern Abend fand auf dem Boulevard Magenta eine
Schlägerei zwischen Franzosen und Deutschen Statt. Vier
Bäckergesellen, die ruhig vor einem Kaffeehause saßen,
murren an ihrer Sprache von fünf bis sechs Franzosen
als Deutsche erkannt und von ihnen verhöhnt. Die Deut
schen blieben zuerst ganz ruhig; als die Franzosen aber
nun zu Thätlichketten übergingen, setzten sie sich zur Wehr
uuv schlugen sie aus dem Felde. Die übrigen Franzosen,
welche sich im Kaffeehause befanden, blieben ruhige Zu
schauer. — Der pariser Gcmeinderath beschloß in seiner
gestrigen Sitzung, das in Zukunft ein kurzer Bericht über
iece Sitzung gleich nach Schluß derselben den Journalen
zugestellt werde.
Versailles, 30. August. sNational-Versammlung.)
Unter den Anwesenden bemerkt man den Cardinal Bonnechose,
den italienischen Gesandten, Jvrome David, Mac Mahon, den
Admiral Saiffet, Lord mit Lady Lyons, den päpstlichen NunciuS,
zu dessen Sette sich Madame Rattazzi befindet.
Die Sitzung wird etwas vor 3 Uhr eröffnet. Nachdem einige
Antrage, darunter einer, welcher die Aufhebung des Belagerungs
zustandes von Paris verlangt, niedergelegt worden, schreitet man
zur Dtscuisiou über den Antrag wegen der Gewalten des Herrn
Thiers. Hr. de Lavergne erhielt zuerst das Wort, um zu erklä
ren, weshalb die Minorität gegen den Entwurf gestimmt hat.
Sie hätte gefunden, daß der Antrag Angesichts des Feindes im
Innern und im Aeußern vollständig unpassend gewesen sei.
(Widerspruch aus der Linken; Beifall auf der Rechten.) Unter
dem Vorwände, vorläufig festen Boden zu gewinnen, habe man
den Pact von Bordeaux in einem Augenblicke zerrissen, wo man
so sehr der Ruhe bedurft habe. Neun Commissare von fünfzehn
hätten den Auftrag erhalten, den Antrag zurückzuweisen. Da die
Nothwendigkeit vorlag, von den gerechtesten Beschwerden abzu
sehen (auf der Linken: oh, oh! auf der Rechten: sehr gut!), so
babeu wir die versöhnlichsten Gesinnungen gehabt. (Nein, nein!)
Wir haben also mit unseren Collegen ein gemeinschaftliches Ter
rain gesucht und erklärt, daß wir Constiruireude seien, und mit
Stimmeneiuhett, die meinige ausgenommen, die Erhebung
des Herrn Thiers zur Würde eines Präfideuten der Re
publik angenommen. Indem wir aber diese Würde be
willigte», wollten wir, die Minorität, daß keine Dauer der Prasi-
^ntschaft hinzugefügt werde und daß Herr Thiers nur durch Bot-
Sonntag, den 3. September
1871»
schäften mit der Versammlung in Verbindung trete. Sein Mi
nisterium sollte verantwortlich sein wie er. Hier endete das Ein-
verständniß. Im ersten Punkte behielten wir Recht, im zweiten
ist die Absetzung des Präsidenten immer ein gewaltsames und
äußerstes Mittel, während die Aenderung eines Ministers und
selbst eines Ministeriums ohne Krisis vor sich geht. Man hat
uns geantwortet, daß Hr. Thiers nie etc Tribüne aufgeben werde.
Die Majorität der Commission will nur, daß Hr. Thiers es
durch ein einfaches Schreiben kundgiebt, wenn er die Absicht hat,
sich vernehmen zu lassen. Dies war die große Streitfrage, die
zwischen der Majorität und uns bestand. ~ Man schlug uns eine
verkappte Diktatur vor, und dies ins einem Augenblicke, wo
in allen Fragen zwischen Hru. Thiers. und der Majorität der
Versammlung ein großer Mangel an Uebereinstimmung sich kund
gegeben (Tumult) und Hr. Thterö diese Zwistigkeiten in einer der
letzten Sitzungen offen dargelegt und Erschwert har (neuer Tu
mult): bei dem Departemeulal-Gesetze, der Reorganisation der
Armee und der Nationalgarden. Ein neuer Streit wird wegen
des Navinel'scheu Antrages (Verlegung der Ministerien nach
Versailles) entstehen. Eine conseroative und liberale Majorität
von mehr als 500 Stimmen (auf der Linken: oh oh! auf der
Rechten: ja, ja!) findet sich immer hier. Ibu«» Alle« steht das
Recht zu, zu befehlen; alles, was daraus abzielt, Sie zu spalten
oder zu schwächen, ist ein öffentliches Unglück. Wir schlagen
Ihnen daher zwei Amendements vor. Das erste besteht m der
Unterdrückung der Worte: „So lauge sie nicht ihre Arbeiten be
endet hat", die sich im ersten Artikel befinden. Das zweite be
steht darin, an Stelle der Worte: „er (ThierS) wird jedes Mal,
wenn er es für nothwendig erachtet und nachdem er dem Präsi
denten seine Absicht kundgegeben, anaehört werden", folgende zu
setzen: „Er wird von der Versammlung jedes Mal angehört wer
den, wenn er «S durch eine Botschaft verlangt; in der Tagesord
nung wird dies mitgetheilt." (Auf der Rechten: Bravo!).
Vitet (Berichterstatter der Commission): Der Siegelbewahrer
hat ein Amendement eingereicht, welches an die Commission ver
wiesen wurde. Die Commission hat sich gefragt, ob die Lücke
wirklich bestehe und ob sie absichtlich gemacht worden sei. Nein,
sie wurde nicht absichtlich gemacht. Ich würde sonst nicht die bc-
dauernswerthe Verantwortlichkeit breser Auslassung übernehmen.
Man kaun sein Vertrauen durch Worte und durch Thaten dar-
thun. Wir haben das Letztere gewählt. Ihm dte Belohnung
gewähren, will sagen, daß er sie verdient hat. Ein Commentar
würde ein Pleonasmus gewesen sein. (Ironisches Gelächter auf
der Linken.) Wir stellen den Antrag, daß Grund vorliegt, das
Amendement des Hrn. Dufaure anzunehmen. (Bewegung in ver
schiedenem Sinne.)
Dufaure: Wrr waren zwilchen die beiden Gewalten als Dc-
putirte und Minister gestellt. Wir mußten also den Gefühlen
der Kammer und denen deö Hrn. Thiers Rechnung trage». Wir
fürchtete» beim Vortrag des Berichts, daß einige Empfindlichkei
ten gegen die Absicht der Commission sich erheben könnten. Die-
seö war der einzige Grund, weshalb wir auf der Tribune erschie
nen- Wir waren sicher, daß die Commission mit uns complotti-
ren würde, um jene heut so nothwendige Eintracht aufrecht zu
erhatten. Sie nimmt unter Amendement an; eö lagen andere
vor, denen wir uns hätten anschließen können (aus der Linken:
oh! oh!), aber Angesichts dieser Uebereinstimmung der Commis
sion schließen wir uns ihrem Projekte an. (Zeichen lebhafter Be
friedigung auf der Rechten.)
Präs.: Es liegen mehrereGegenprojecte vor. Einige derselben
werden von den betreffenden Dcputirren zurückgezogen. Unter
denselben befindet sich auch de Cho.seu!. , Die Regierung hatte
sich zuerst für seinen Entwurf ertlart; da dieselbe aber später sich
de»n Projekte der Commission anschloß, >o fällt die Nützlichkeit
desselben weg.
Pascal Duprat hat für den ersten Paragraphen des Em-
gaugs zum Dccrel, welches die constitutrenden Gewalten der Ver
sammlung festsetzt, ein Amendement gestellt. Er verlangt, daß
derselbe durch folgende Worte ersetzt werde: „Die Natwnal-Ver-
sammluug, in Erwägung, daß eie dringlichen Pflichten, welche für
sie zu erfüllen bleiben, noch nicht gestatten, einer, anderen Ver
sammlung, welche die definittve Coustitulrung Frankreichs als
Mission hat, den Platz abzutreten re." Was, fragt Pascal Du
prat, ist die Natur und die Tragweite Ihres Mandats? Zwei
extreme Meinungen sind in dlcier Bezlehung vorhanden. Der
einen zufolge ist Ihr Mandat erloschen. Sie haben sogar die
Grenze desselben überschritten. Sw hätten sich also nur vor
dem wahren Souverän zurückzuziehen, von dem man hier nicht
sprich»! (Erregung). Nach der anderen sollen Sie kaum bcuu
Beginne Ihrer Arbeiten sein, und Sie sollen Frankreich eine
Verfassung geben. Ich billige weder die eine noch dw andere.
Ja! Sie haben dringliche Pflichten zu erfüllen: daö Budget zu
votiren, die Armee-Reorgantsation und das Wahlgesetz zu er
neuern. Aber Sie wollen alsdann Frankreich eine Versassung
geben, dieses Recht haben Sie nicht. Sw sind nicht so souverän,
wie Sie behaupten. Herr Thiers sagte es Ihnen eines Tages,
daß Sie es vollständig seien, aber er schmeichelte Ihnen au diesem
Tage. (Heiterkeit). Und übrigens fügte er hinzu: „Souverän,
aber nicht coustttulrend." Sie wurden in Folge der Friedens-
Präliminarien gewühlt, am 28. Januar wurde dieses Ueberein-
kommeu uuterzerchnet. Erinnern Sie sich des Artikels 2.?
(Wahl einer Versammlung, um zu wissen, ob der Krieg
fortgesetzt werden und unter welche» Bedinguugen der Frieden
gemacht werden soll.^ Bel ca siel: Ich frage Sw, ob Sie Ihr
Mandat von den Preußen erhalten haben? Pascal Duprat:
In acht Tagen gemachte Wähle», damals war noch jeder Ver
kehr unmöglich: kein Wort von Verfassung! Nichts als die
Kriegs- und Friedensfrage! Erinnern Sie sich der Wahlen vorn
2. Juli? In dcuselbeu hat eine Idee, dw der Republik, vorge
herrscht. Sogar die Pariser Depulirieu, welche am 2. Juli hier
eingelreten sind, sagten, daß Sie keine Eonstituirende seien. Neh
men Sie sich in Acht! Niem Amendement kann Sie gegen
zwn Excesse sicher stellen. Ich möchte nicht das Recht haben,
Ihnen zu sagen: Sie machen Emgrisse in die nationale Souve-
raintläk, Sie sind Usurpatoren! (Lärm. — Aus der Liuken:
Sehr gut!)
General Ducrot: Bei einer feierlichen Gelegenheit haben Sie
einstimmig Ihr constlluirendes Recht bekräftigt. Es war am 21.
Mürz: Sw richteten an diesem Tage ein Manifest an das Volk
und die Armee. Sie sagten: Wir werden unverletzt den Schatz
bewachen, welchen Sie uns anvertraut haben, um daö Land zu
reorganisircn und zu covstitutren. (Bravo auf der Rechte«.) Ist
dieses ein Wort ohne Tragweite? Nein! es wurde während
voller zwei Stunden mit Herrn Thiers in der Commission, den
15., besprochen. Tolain: Wir sind nicht dafür verantwortlich,
waö in derselben vorging. Duc rot: Eme emzige Stimme er
hob sich, um dagegen zu proteslireu, Die des Herrn Milieu.
(War später bei der Commune! Verschiedene Ausrufe.) Ja)
sagte Herrn Thiers: Wir sind aufrtchug, wenn wir sagen, wir
wollen constilurreu.
Lancy: Seit der Eröffnung der Debatte warte ich und bin
erstaunt. Sie sagen nichts von der Execullvgewait, die Sie er
richten wollen. Das Unke Centrum macht einen Vorschlag und
es schweigt; ich bm erstaunt, daß die Rechte bereit ist, daö zu
votiren, was nicht nach ihrem Geschmacke zu sein scheint; wenn
eine Zweideutigkeit vorliegt, so muß sie cö sagen. (Auf der Rech-
tcu: Und das Amevdement!) Der Antrag Rivet, der Antrag
Vitet rühren von Mäuuern her, denen die Sicherheit mehr als
die Freiheit am Herzen liegt. Daö Land verlangt eine neue
Lage. Wir und genöthigt, alle Fragen zu vertagen. Diese Re
gierung, die ohne alle Lebenskraft ist, steht nicht auf festen Füßen.
Das Verdienst des linken Cenlrums und der Commission ist, die
se« erkannt zu haben. (Auf der Rechten: Bltlbcu Sie beim
Amendement.) Man mutz die beiden Gewalten verbessern, durch
deren Mängel die Maschine nicht vorwärts kommt. Die Unpo-
pularität, deren Gegenstand die Versammlung ist, wird von einem
Manne in Schranken gehalteu. Weun Sie glaube». in der
Reorganisation der ExecuttvgetMt ein Heilmittel zu finden, so
täuschen Sie sich. Wenn die Versammlung die nämliche bleibt,
wie wollen Sie, daß das Land befriedigt ist? Steigender Lärm.)
Die gesetzgebende Gewalt muß modificirt werden. Unterdrücken
Sie den Pact von Bordeaux, um etwas Definitives.... (Von
da ab versteht man wegen des furchtbaren Lärme kein Wort mehr.
Mehrere Mitglieder verlassen den Saal. Endlich wird es stiller.
Man versteht dann wieder, wie Redner sagt, daß man eine
Verfassung haben müsse, daß die jetzige Versammlung dieselbe
nicht machen könne und daß man auf die von 1848 zurück
kommen müsse, wie es Redner in seinem Amendement verlange,
daß außer ihm Warmer und Turquet unterschrieben hätten.) Pa-
geS-Duport verliest das Dccrel, welches die Wähler zusammen-
beruft und worin gesagt wird, daß es sich um die Zusammenbe-
rusung einer constiluirenden Versammlung handle.
Louiö Blanc: ES ist nothwendig, aus der Lage herauszutre
ten, in der wir uns befinden. Und wie soll man aus dem Pro
visorium ohne klares, genaues, regelmäßiges Verfahreu in eine
definitivere Lage übergehen? ES kann keine zwei Souveräne ge
ben. Der Souverän ist das Land. (Langer Beifall auf der
Linken.)
Baragnon (Fusionist) will die Frage vom Gesichtspunkte der
Versöhnung aus betrachten. Er beginnt auf sehr verletzende Weise
von der Regierung des 4. September zu sprechen. Eine Stimme
(Testeltn'ö) unterbricht ihn mit den Worten, daß er die Stiefel
der Bonaparte geküßt habe! Man verlangt den Ordnungsruf;
Tumult. (Nach der Independance beJge hätte Testelin gerufen:
Ohne den 4. September würden Sie noch die Stiefeln des Kai
sers wichsen.) Viele Deputirte von der Rechten und der Linken
stürzen nach dem Hinteren Theile des Saales, wo sich der Unter
brecher befindet. Der Lärm steigt. Nachdem derselbe ungefähr
10 Minuten gedauert hat, bedeckt sich der Präsident, denn man
steht auf dem Punkte, handgemein zu werden. Nach und nach
stellt sich die Ruhe wieder her, und die Devutirtrn kehren aus ihre
Plätze zurück. Der Präsident nimint seinen Hut wieder ab. Ba^
ragnon hat die Tribune verlassen.
Präs.: Wenn diese Unordnung fortdauert, so können wir die
Sitzung nicht fortsetzen. (Zu dem Deputirten Testelin:) Sie
haben die Ruhe durch Ihre beleidigende Unterbrechung gesidrt;
ich rufe Sie förmlich zur Ordnung. Testelin: Ich habe einen
ernsten Fehler begangen; ich bitte die mildernden Umstände zu
berücksichtigen. (Nein, nein!) Grövy: Hr. Testelin beauftragt
mich, der Versammlung sein Bedauern auszudrücken. Ich halte
den Ordnungsruf nicht aufrecht. Baragnon (wieder auf der
Tribune): Ich sagte also, daß mau die Decrete der September-
Negierung nicht zu Rath zu ziehen braucht, um zu wissen, daß
wir constituiren können. Wir können eö kraft der Gewalt der
Dinge. Man hat gewagt, Ihnen zu sagen, daß wir in Folge
ei.'^eö Vertrages zwischen Frankreich und Preußen nicht constt-
tuirend sind. (Bravos auf der Rechten.) Preuße« war ein Sie
ger, die Regierung vom 4. September war ein Schuldner, der
nun seine Schuld bezahlt hat, indem er uns zusammenrief. (Bei
fall auf der Rechten.) Naquet: Um die constituirende Gewalt
zu haben, muß daö Volk, daö für Sie gestimmt hat, die Absicht
gehabt haben, Ihnen dieselbe zu ertheilen. (Unterbrechungen auf
der Rechten.) Mein zweites Argument gegen die constitui
rende Gewalt ist der Sinn, welchen die Wahlen vom 2. Jul»
haben. (Lärm)
Das Amendement von Pascal Duprat wird verworfen. Die
Linke erhebt sich allein für dasselbe.
Präsident liest den ersten Paragraphen des Eingangs zutu
Decrci vor, in welchem die constituirende Gewalt für die Ver
sammlung in Ansprüche "Miauen wird- t
Gamben«: Das Land hatte geglaubt, daß man yker nichts
Definitives gründen könne. Wrr haben alle Macht provisvrt,ch
zu verwalten. Warum wurde dieser Modus vivendi gestört? Oer
Ursprung dieses ersten Bruches des Pacteö von Bordeaux beruht
ans Illusionen; man glaubte, man tonne die Beseitigung und
Vertrauen dadurch begründen, daß man Benennungen decretirl.
Diese Vermittelungsversuche sind nur eine Verlängerung der
Zweideutigkeit. Es giebt in der Versammlung keine Partei, die
stark genug wäre, um die Gewalt »tu Erfolg und Ansehen aus
üben zu können. Wir werden uns morgen mit der nämlichen
Kammer zusammenfinden. Weshalb? Weil wtr uns in einer
komischen Lage befinden, da wir nur hierher gesandt wurden, um
zu sehen, ob wir den Krieg fortsetzen sollten oder nicht. Die
Thatsache allein, daß wir über diese constituirende Gewalt diö-
cultren, beweist, daß man sie uns nicht übertragen hat! Die
constituirende Versammlung von 1848 bestand aus 000 Mitglte-
dcr», die gesetzgebende Versammlung von 1840 aus 750 Mit
gliedern, wie die heutige Nattonat- Versammlung. Aber die
Frage der Republik oder Monarchie wurde damals ute aufgewor
fen. Wenn Sie (sich an die Rechte wendend) genöthtg sind, die
Republik anzunehmen, so wird auch dies in Folge einer großer»
Berufung an daö Land geschehe», um zu missen, waö eü »vill. (Bei-
fall auf der Linken. Lärmende Reclamationen auf der Rechten.)
Präs.: Es ist nicht nöthig, daß Sie Den Redner unterbrecheu,
um darzuthun, daß Sie feine Anficht nicht theilen. Gam
betta: Unser Mandat muß in der nämlicheu Reinheit zurückge
geben werden, wte wir es empfangen haben. Seit 7 Monaten
haben Sie es so gewollt. Und heut nehmen Sie dle consutui-
rende Gewalt in Anspruch; es geschieht, sagen Sie, weil man
es Ihnen bestreitet, ohne fönst irgend eine» guten Grund anzu
geben. Hr. Pagos-Duport (Legitimist) überreichte mir die
22. Nummer des Bulletin des Lois de 1* Republique frangais,
und sagt mir mit triumphireudcr Miene: vertheidigen Sie sich.
Dieö ist ei» Leichtes für mich. Er fügt tu einem commerciellen
Styl (Pages-Duport war früher Börsenmann) hinzu: „Lasse«
Sie Ihre Unterschrift protentten." (Pages-Duport spielt hler
auf bas Deficit vom 8. September an, wo man zuerst eine con-
stttutrende Versammlung zusammenberufen wollte.) Am 8. Sep
tember hatten wir die Wähler in voller Freiheit zusammenberu
fe« (Ausruf auf der Rechten). Keiner von Ihnen, meine Her
ren, ist gekommen, um uns Gewalt anzuthun. (Beifall auf der
Linken. Furchtbarer Lärm und Interpellationen auf der Rech
ten.) Wenn die Zeit uns nicht von den Fremden zugemessen
worden wäre, fo hätten wir in der That eine constituirende Ver
sammlung zusammeuberufen. Da die Eommunicationen aber
unmöglich wurden, fo wurtze es auch unmöglich, eine constttuirende
Versammlung ^ zusammenzubringen. Gehen wir zum 8. Fe
bruar über! Man sah damals zuweilen auf den nämlichen Listen
Republikaner und Monarchisten, was andeutete, daß das Land die
Republik und die Monarchie zugleich wollte. Die Gemeinderathö-
wahlen haben Ihnen auch die constitmrende Gewalt versagt. Sie
stellen Sich, als wenn Sie glaubten, daß die constuuirende Ge
walt Ihnen gebore, aber Sie »vürdcn keinen Gebrauch von ihr
machen; Sie stellen sich, ats wenn Sie Ihnen angehöre, »veit
Str Frankreich verhindexn wollen, sich derseiben zu bedienen (Pro-
ieflanonen). Ja! Vermeiden Ste, etwas gegen das zu utuerneh-
men, was die Autorität der Station selbst ist. (Heftige Einrede«
von Setten der Rechten). Wenn Sie die conftuuireude Gewalt
ausüben, um die Republtk oder die Monarchie zu organisiren, so
sind Sie, erlauben Sie es, Ihnen zu sagen, Waghälse! Um
keinen Preis möchte ich die Republik, weiche von einer Versamm
lung gegründet »vürde, die nicht competent ist. (Neuer Sturm.
Man versteht kein Wort mehr von dem, was der Redner sagt.
Schließlich wird es wieder ruhiger.) Da meine Unterbrecher mich
nicht »veiler reden lassen wollen, so fasse ich mich kurz und sage
Ihne»: die Auflösung wird dennoch an Sie herantreten, wenn
Sie nicht den Patriotismus und den Muth haben, diesen Ent
schluß selbst zu fassen. (Gambella verläßt die Tribüne unter
furchtbarem Lärm. Dte Aufregung int Saale ist unbeschreiblich.)
Benot st d'Azy ergreift daö Wort, um darzuthun, daß die
Kammer eine dringliche Pflicht erfüllt, indem sie sich als conflt-
tuirende Versammlung erklärt.
Man verlangt die Abstimmung. 433 Mitglieder sprechen sich
für den 1. Paragraphen, also für die conflitutrende Gewalt, hud
227 gegen dieselbe auö.
Edgard Quin et überreicht einen Antrag, daß am nächsten
3. Januar eine neue Versammlung gewählt werde und daß die-