© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
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kennen welches ihr vornehmster Gebrauch ist: die gefalteten Hände, ja die
Stirn darauf ruhen zu lassen. Rückt man aber eine solche mit untadeligem
Feingefühl gezeichnete Figur mechanisch vom Boden in die Höhe, so löst
fich der natürliche und wünschenswerthe Zusammenhang mit der Stütze
auf: wir haben das Dresdener Bild, das in diesem Punkt ebenso
hinter der originalen Feinheit des Darmstädter zurückbleibt, wie im Aus«
druck des Bürgermeisterkopfes.
Man sagt weiter auf Seite der Gegner: „So lange nicht der Maler
des Dresdener Bildes in einem andern als Holbein sicher nachgewiesen ist,
kann nur Holbein selbst der Urheber dieser Trefflichkeit sein." Nun wäre
eS allerdings, zum Theil um den Streit gänzlich abzuschneiden, zum Theil
auch an sich ganz intereffant, denjenigen kennen zu lernen deffen mäßige
Arbeit sich des unverdienten Glückes zu erfreuen gehabt hat sich über ein
Jahrhundert im Glanze des Holbein'schen Namens zu sonnen. Aber nöthig
ist ein solcher Nachweis nicht, um dem negativen Resultat des Madonnen«
Vergleichs die Sicherheit einer wiffenschaftlich feststehenden Thatsache zu
geben: die Dresdener Madonna rührt tu keinem Theil von Holbein her.
Unendlich viele und zum Theil sehr vorzügliche Originalwerke schmücken
die Räume unserer Gallerten als „unbekannt." Sollte sich nicht noch viel
leichter ein Copist dem forschenden Auge entziehen, um so mehr, als beim
Copiren immer etwas von der eigenen Manier aufgegeben und also selbst
der bekannte Meister leicht unkenntlich wird?
Ferneristes viel leichter mit vollkommenster Sicherheit zu sagen: „Der
Und der ist nicht der Meister dieses Werkes," als weiter mit derselben Zu
verlässigkeit zu bestimmen: „Dieser andere ist der Meister." 4
Wer will da die Möglichkeit behaupten daß der Copist überhaupt je
mals zu finden sei? Das ist aber auch nur eine intereffante, keine wichtige
Sache. So viel steht fest: daß in den ersten hundert Jahren nach Holbeins
Tode duzendweise holländische und andere, namentlich durch die italienische
Schule gelaufene,Künstler existirt haben die eine solcheCopie sehr vielbeffer
hätten machen können als das Dresdener Bild mit seinen tausend effec-
tiven Stümpereien gemacht ist. So eine Copie wie die nach Raphaels
dellc jaröiniörc von Kare! van Mander in Dresden—um ein ganz nahe
liegendes Beispiel zu nennen — ist,waS treue Wiedergabe der eigenthüm
lichen Schönheiten des Originals und tüchtige sichere Maltechnik betrifft,
der Dresdener Madonnen-Copie, die sich Holbeins Namen angemaßt hat,
unendlich überlegen. W. Bode's Vermuthung daß Franz Francken der
dielgesuchte Künstler sei, kann fich ja möglicherweise bestätigen, und hat^
jedenfalls den Werth daß wieder einmal eine competente kundige Hand
nach derselben Richtung weist, nach der auch alle übrigen ausgespäht
haben.
Vergleicht man die beiden Madonnen-Exemplare besonders mit Rück
sicht auf das Verhältniß ihrer Abweichungen und ihrer Uebereinstimmungen
Miteinander, so befremdet es daß derselbe Künstler welcher fich Ln den all
gemeinen Verhältniffen der Composition große Freiheiten herausgenommen,
sich in den allerpenibelsten Details auf das strengste an sein Vorbild an
geschloffen hat. Dieß scheint doch wohl nur für einen Copisten wahrschein
lich zu sein, der sich aus eigenem oder fremdem Antriebe zu einigen mecha«
Nischen Veränderungen der Composition verstieg, darüber hinaus aber nichts
zu ändern wagte. Stellte sich Holbein, wie die Vertreter des Dresdener
Bildes sagen, frei über sich selbst, und corrigirte seine ursprüngliche Com
position, so mußte er einer solchen Verbesserung so hohen Werth beilegen,
daß er sie in einer seiner Kunst überhaupt würdigen Weise durchführte.
Holbein, der sich mit ein paar mechanischen Aenderungen selber corrigirt
und in allen wesentlichen Theilen seiner Technik hinter sich selbst zurück
bleibt, ist ein Unding.
Und wenn eS sich noch nur um Flüchtigkeiten und nicht gleichzeitig
auch um die entschiedensten Styllosigkeiten handelte! In dieser Beziehung
muß immer wieder auf die dekorativen Details, und zwar vor allem auf
die verschlechterten ornamentalen Motive in der Architektur zurückgegriffen
werden. Solche Dinge sind wichtig für die Zeitbestimmung, und wenn sie
auch nicht immer die genaue Datirung geben, namentlich in Copien nach
älterem, wo der nachgebildete Styl-Charakter immer einen etwas binden
den Einfluß ausübt, so steht doch leicht der terminuo ante quem non, das
früheste mögliche Datum, fest. Das ist auch hier der Fall, und das ist auch
von der Gegenseite im Streite gefühlt; daher die Bemühungen diese tekto-
ttischen Bedenken zu beseitigen.
Holbeins Architektur ist, wie die aller Maler, häufig nicht vorwurfs
frei, wenn man sie als wirklich gebaute oder zu bauende bettachtet. Hin
gegen zeigt sie immer feinen Sinn für Verhältnisse und besonders für
tektonische Folgerichtigkeit. Unter allen Holbein'schen Zeichnungen konnte
man nur ein einziges Beispiel zeigen wo die statische Function nicht in
der Form des Bautheiles zum leicht verständlichen Ausdruck kam, und die
ses Beispiel war nur ein scheinbares, mußte nach genauer Untersuchung
aufgegeben werde».
Wie überhaupt, so auch im Darmstädter Bilde, bewsBt Halbem?
Architektur tektonischen Sinn: ein zweigliedriger Architrav über der Nischen
wand wächst in zwei über einander vorkragende Console aus. Ueber
Architrav und Console läuft ein beendigendes Leiftchen hin, und über der
ganzen Oberfläche dieses Unterbaues — die Console mit eingeschloffen —
wölbt sich die Nischenhalbkuppel. Im Dresdener Bild ein einfacher Archi
ttav, vorn rechtwinkelig abgeschnitten. Vor die Stirn der Nischenward
ein schwacher Pilaster gesetzt, der so in ein zweitheiliges Capital — ohne
tektonischen Zusammenhang mit dem Architrav — endigt, daß das untere
Glied aus einer volutenförmigen Aufrollung des Pilasters selber besteht.
Das schützende Glied wird also von oben her angewickelt und — für das
Gefühl — allmählich aufgewickelt. Eine Beendigungsform (Leistchen)
fehlt, und die Kuppe! wölbt sich nur über dem Architrav, nicht auch über
der Fläche des Pilaster-Capitäls. Das ist ein tektonischer Widersinn, den
man dem Urheber des Darmstädter Bildes nicht unterschieben darf.
Mit den Veränderungen des Teppich-Musters ist es dieselbe Sache.
Man sagt: Holbein könne nicht Lust gehabt haben ein zweitesmal auf einen
Teppich große Sorgfalt zu verwenden. Das Porträt des Gyze im Berliner
Museum mit seiner prächtigen Tischdecke, die dem Darmstädter Teppich
nichts nachgibt, könnte beweisen daß Holbein sich nicht scheut bei wieder
kehrender Gelegenheit dieselben Nebendinge mit demselben Fleiße zu ge
stalten; selbst bei Wiederholung derselben Bilder zeigt sich keine Wider
willigkeit und Ungeduld alles wieder mit Liebe und Verständniß zu ge
stalten. Jedenfalls konnte und durfte Holbein nicht den Charakter ver
ändern. Es verschlägt nicht so viel daß die Farbenskala in der Wieder
holung ärmer, daß die Harmonie der Töne greller und trockener, daß das
Muster in unwesentlichen Partien etwas anders geworden ist; das könnte
man allenfalls der Unlust des sich wiederholenden Künstlers zu gute halten,
der durch Vereinfachung über die Sache hinwegzukommen und durch Neue
rungen sie sich intereffant zu machen suchen mochte. Aber in dem Einsatz
zwischen den quadratischen Hauptfeldern des Musters ist der Styl-Charak
ter des persischen Teppichs verlaffen: an Stelle des geometrischen Musters
im Darmstädter Bild ist ein breit und schwer geschwungener Renaiffance-
Schnörkel getreten, von einer Form die vor dem Ende de- löten Jahr
hunderts vorkommen zu sehen jeden Kenner der Entwicklung des Orna
ments befremden muß. Zeugt die Gleichgültigkeit gegen den Styl des
Teppich-Musters schon gegen Holbeins Urheberschaft, so verräth sich in dem
Charakter der eingeschmuggelten Form vollends der spätere Nachahmer.
Wer sich weiter für die Sache interessirt, den verweisen wir auf die
meisterhafte vergleichende Beurtheilung der Technik beider Bilder von
I. A. Crowe (im „Neuen Reich," Nr. 37); was dort ausgeführt ist, darf
daher als bekannt vorausgesetzt werden. Niemand der unbefangen sieht,
wird anstehen Crowe beizupflichten wenn er, nach dem Hinweis auf die zu
Dresden vereinigten Hauptbilder Holbeins, sagt: „Kein einziges dieser
Meisterstücke das nicht in der Technik an die Darmstädter Madonna er
innerte, kein einziges das nur dazu führen könnte das Dresdener Bild als
Original anzuerkennen." Ganz ähnlich urtheilt Schnaase (anderselben
Stelle Nr. 43), und A. v. Zahn hat im „Dresd. Journal" (und daraus
in der „Zeitschr. f. bild. Kunst") noch so viele und treffende Bemerkungen
hinzugefügt, daß kaum noch etwas in dieser Richtung zu wünschen übrig
bleibt.
Traurig sieht es dagegen im Heerlager der Dresdener aus. Ganz
verunglückt ist der Versuch von Albert Jansen („Die Echtheit der Hol
bein'schen Madonna in Dresden, bewiesen von Albert Jansen). Der Ver-
faffer geht von einer unbewiesenen Voraussetzung aus, verwendet das vor
liegende Material mit Willkür, und untergräbt schließlich seine eigene Vor
aussetzung, nämlich die Echtheit des Darmstädter Bildes, indem er Ver
dacht gegen diese erhebt durch Raisonnements die nur beweisen daß er die
sehr speciellen und unbedingt zuverlässigen archivalischen Erhebungen über
die Schicksale der Holbein'schen und der Meyer'schen Familie kaum vom
Hörensagen kennt. Die „Erklärung der Dresdener Künstler," welche sie
der Erklärung des größeren Theils der deutschen Kunstgelehrten entgegen
gesetzt haben, zeigt nur wie der Sinn dieser letzteren Erklärung von ihnen
mißverstanden worden ist. Man durfte wohl den Unterzeichnern dieser
letzteren Erklärung, die ja doch Männer sind, zutrauen daß sie nicht die
j kindische Vorstellung haben konnten mit einem „sic volo, sie jubeo u eine
I Frage zu beseitigen die vielleicht gar nicht vor ihr Forum gehörte, und viel«
leicht nicht spruchreif war. Sie haben nur, wozu sie wohl berechtigt waren»
Zeugniß ablegen wollen von der Ueberzeugung die sich ihnen gemeinsam»
in dem Moment der für die möglichst endgültige Entscheidung gegeben
war, als die richtige aufgedrängt hatte; sie haben zu dem Zwecke nur die
großen Hauptsachen, auf die es für die Wissenschaft ankommt und über die
sie in gleichmäßiger Richtung klar geworden zu sein glaubten, in scharfer
i Fassung formulirt, eS jedem Einzelnen überlaffend 'sich die speciellen Ge»
! sichtöpunkte, die hiemit noch nicht erledigt sind, und die neuen Fragen.