© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
Und es ist nicht etwa bloß der gelb gewordene
Firniß, der die goldige Harmonie des ganzen Darm-
städter Bildes ansmacht — das grüne Gewand der
Dresdener Madonna wäre durch keinen Firniß der
Welt leuchtend und warm herzustellen — es ist eben
die Transparenz der Ursprünglichkeit der Farben
gebung, die das Schaffen nothwendig begleitende
Begeisterung, die den FarbenZanber über die ganze
Schöpfung zieht — und diese Begeisterung fehlt
der Dresdener Copie, muß jeder Copie jeden Bil
des fehlen.
Jede Copie, die ich noch gesehen habe, ist
dunkler und weniger transparent als das Original
— leuchtender in der Färbe niemals. Wer jemals
das Bild eines Anderen oder gar sein eigenes
copirt hat, wird sich erinnern, wie schwer es ge
worden, in der nachgeahmten Modeüirung trans
parent im Ton zu bleiben, während beim Original
oder beim Arbeiten nach der Natur die Trans
parenz von selbst kommt.
Vergleichen wir auch noch das weiße Gewand
des Mädchens auf dem Darmstädter Bilde mit
seiner feinen schwarzen Stickerei auf den Aermeln
— wie reizend ist das Muster darauf gezeichnet,
mit wie sicherer Hand in seiner Kleinheit hinge
schrieben — wie unsicher, holperig und ungleich
wiederholen sich die kleinen Muster auf dem Dres
dener Exemplar. Holbein selbst würde bei einer
Wiederholung sicherlich das Muster nicht so treu
nachgeahmt haben, wie es der Copist augenschein
lich sich bemüht hat, — er hätte vielleicht ein ähn-
ttches gemacht, aber mit derselben Sicherheit wie
das frühere. In solchen kleinen Nebensachen suchen
Wiederholungen von ein und demselben Meister
niemals genau nachzuahmen; die Nachahmungen
darin verrathen mehr als alles Andere, die Copie
von anderer Hand.
Erwähnen muffen wir noch, daß der knieende
Jüngling auf dem Darmstädter Bilde eine grüne
Tasche trägt, während dieselbe auf dem Dresdener
Bilds schwarz ist und ein recht störendes Loch in
der Lichtmasse macht.
Diejenigen, welche die Originalität des Dres-
dener Bildes vertreten, werden uns vorwerfen, wir
lassen auch kein gutes Haar an ihrem Bilde; doch
wir sind der festen Ueberzeugung: von den Be'-
suchcrn der Ausstellung, welche unbefangen ver-
gleichen, werden Wenige heimkehren, die nicht un
serer Ansicht wären; — freilich ist es empfindlich
für das Dresdener Museum, einen seiner schönen
Edelsteine von allen Seiten als unächt verschreien
zu hören und unheimlich muß dem Bilde allerdings
sein, wenn cs nun zurückkehrt auf seinen alten
Ehrenthron, den man ihm nicht ohne eine gewisse
Prätenfion in einem Separatzimmer mit wenigen
Gefährten errichtet hat.
Mögen sich die Dresdener damit trösten, daß
von allen herrlichen Portraits des Meisters Hol-
dein das ihrige, der Goldschmied Heinrich VIII.,
Morett. unangefochten das schönste bleibt, das er-
habenste Wunderwerk deutscher Portraitmalerei
was so lange von den Dresdener Kunstkennern
verkannt und unter einem ftemden Namen, freilich
vom besten Klang, im Katalog aufgeführt wurde
— man schrieb es bekanntlich früher dem Leonardo
da Vinci zu — bis es actenmäßig mit unwider-
leglichen Beweisen unserm gefeierten HanS Holbein
dem Jüngeren zurückgegeben wurde.
Außer diesen Hauptbildern enthält die Aus-
stellung aber noch eine ganze Reihe schöner Werke
unseres Holdem, besonders Portraitbilder, die im
Allgemeinen zu unbekannt fein dürften, als daß
wir sie einzeln aufführten oder gar beschrieben.
Die Museen von Berlin, Braunschweig, Karlsruhe,
Darmstadt, Gotha und andere Sammlungen haben
hergegeben, was ste an Originalgemälden und be-
sonders an Handzeichnungen besaßen. Andere
größere Museen haben, eingedenk der sich so oft
wiederholenden Eisenbahnunfälle, es nicht gewagt,
ihre Schätze von Holbein'scheu Bildern den Wechsel-
fällen einer größeren Reise preiszugeben — einen
Vorwurf kann man ihnen daraus eben nicht
machen.
Sie haben dafür, »m einen möglichst weiten
Ueberblick zu geben derjenigen Werke, die von Hol-
Lein noch in der Welt vorbanden sind, die Photo-
graphien nach den Originalbildern geschickt, wie es
Wien und München, Basel und andere gethan.
Um so dankbarer ist es anzuerkennen, daß viele
Privatsammlungen ihre kostbaren Werke von Hol-
bein eingesendet haben. Vor Allen hat die Königin
von England ihre prachtvollen Holbcin - Portraits
hergegeben, und der Katalog nennt uns eine ganze
Reihe von Privatpersonen, welche schätzbare Bei
träge geliefert haben.
Ebenso führt uns der Catalog einzeln die
Handzeichnungen und Holzschnitte auf, so daß die
Anzahl der Werke Holbein's stch ans 440 beläuft,
darunter die allerintereffantesten Sachen, sowohl als
Handzeichnung, wie auch durch die Persönlichkeiten,
welche sie darstellen. '
Endlich ist auch noch ejn von einer Dame dem
Muster des Teppichs auf dem Darmstädter Bilde
nachgestickter Teppich ausgestellt, ändere Damen
waren eifrig beschäftigt, sich Muster und Farbe des
Teppichs in genauester Richtigkeit aufzuzeichnen, um
ein Gleiches zu thun. Welch einen Beleg für die
gewiffenhafie Durchführung beö Details aus Hol-
bein'schen Bildern haben wir in der Möglichkeit,
daß das Muster eines in der Verkürzung gemalten
Teppichs nach einzelnen Stichen abgezählt werden
kann! und daß dennoch die Gesammtwirkung des
Bildes bei solcher Durchführung eine durchaus colo-
ristiscke und breite bleibt. Ein Tizian kann nicht
schöner sein in der Farbenwirkung, als das Bild
der Darmstädter Madonna von Hans Holbein, dem
leuchtenden Vorbild uns deutschen Malern für alle
Zeit. Kein deutscher Künstler wird diese Ausstellung
besuchen, ohne die erhabensten Eindrücke zu empfan
gen, — aber auch keiner ste verlaffen, ohne stch vor
die Brust schlagen zu muffen, ohne in seines Her
zens Tiefe auszurufen: Herr, sei mir armem Sün
der gnädig! —
Für diejenigen unserer Leser, denen es ferner
liegt, die Geschichte des Künstlers eingehend in
ihrer Entwickelung zu verfolgen, sei folgende bio
graphische Skizze gegeben:
Holbein wurde 1495 zu Basel geboren und
starb 1543 zu London an der Pest. Er war der
Schüler seines Vaters, Johann Holbein des Nette
ren, dessen Bilder häufig für die seines Sohnes
gelten konnten. Bald jedoch überflügelte er seinen
! Vater. Er lebte in Basel und Augsburg, hat
zahllose Portraits gemalt; Zeichnungen und Holz
schnitte sind ebenfalls in großer Menge aus uns
gekommen.
Leider sind uns die meisten seiner großen Wand
bilder verloren gegangen, wie dir de- Rathhaus-
saales zu Basel, die Hausfayade zu Luzern, da«
große Familienbild Heinrich VIII. von England zu
Schloß Whitchall, welches 1688 verbrannte; ebenso
der Triumph des Reichthums und der Armuth und
andere. Die Zeichnungen und Theile von Cartons
sind unS davon erhalten und geben uns eine Idee
von der Großartigkeit dieser Schöpfungen.
Holbein's Freund, Erasmus, den er vielfach
gemalt, sah, daß des Künstler- großartiges Genie
im Schweizerland doch keine rechte Nahrung fand,
und veranlaßte ihn, nach England zu gehen, wo an
dem prachtlicbenden Hofe Heinrich Vffi. sein Talent
die größte Anerkennung fand. Thomas Morus, der
große Gelehrte und Staatsmann, sein und seiner
Familie Portraits sind in Handzeichnungen auf der
Ausstellung — war durch Erasmus Empfehlung
sein eifrigster Befürworter, und Holbein stand beim
König in hohen Gnaden; der König nahm ihn in
seinen Schutz, als Holbein einen hohen Lord, der,
als er gerade eifrig bei der Arbeit war, in seine
Werkstatt gewaltsamer Weise eindrang, die Treppe
hinunter geworfen.
Seine Heimath zu verlaffen, entschlöß er stch
um so leichter, als er. mit einer älteren Wittwe
verheirathet, von diesem bösen Weibe entsetzlich
gequält wurde. Zwar kehrte er noch einmal zurück
und der Baseler Rath that sein Möglichstes, ihn
dort zu fesseln, allein er ging wieder nach Eng
land, wo er als Hofmaler Heinrich VIII. schon im
48. Lebensjahre an der Pest starb. O. Heyden.