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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
aus : Sonntagsbeilage zur Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung, Nr. 28, 1871,Okt. 1,3. 2
Die Hobeln'Ausstellung in Dresden
Sett^oem 15. August ist im nordwestlichen
Theile/Hes Zwingers zu Dresden dem Publicum
eine/MuSstellung von Werken des allgefeierten
scheu Malers Hans Holbein des Jüngeren
eöffnet, welcher Künstler, Knnftgelehrte und das
kunstliebende Publicum bereits seit 1869, wo die
erste Anregung dazu gegeben wurde, mit dem größ
ten Interesse entgegensteht. Der große Zudrang
von allen Seiten, ganz besonders von Sachverstän
digen und Kunstautoritäten, gilt aber nicht allein
dieser immerhin bedeutenden Sammlung von Hol-
bein'schen Bildern, sondern ganz besonders der
Gegenüberstellung der zwei Exemplare eines und
desselben Gegenstandes: der sogenannten Madonna
des Bürgermeisters Meyer, eines Bildes, das einem
Jeden, der auch nur einmal das Dresdener Mn-
seum besucht, neben der Sixtinischen Madonna von
Rafael unvergeßlich in der Erinnerung fttn wird.
Nicht so allgemein bekannt, wie die Dresdener
Madonna, war das Darmstadter Duplikat, im Be
sitz der Prinzessin Karl von Hessen, früher in Ber
lin, Eigenthum ihres Vaters, des Prinzen Wilhelm
von Preußen, und bei der Grbschaftstheilm'g auf sie
übergegangen. Obwohl die hohe Besitzerin gern
jedem besuchenden Kuustfreunde den Zutritt zu dem
Bilde, welches in ihrem Wohnzimmer seinen Platz
hat, da es in ihrer Familie sich einer hohen Ver
ehrung erfreut, gewährt, so sit es dennoch eben nur
von speciellen Verehrern von Holdem besucht wor
den, die es freilich um so höher schätzten, als die
meisten dies für das erste und in letzter Zeit für
einzig wahre Original von Holbeins eigener Hand
hielten.
Nicht ohne Animosttät verficht dagegen eine
andere Gruppe, an deren Spitze die Repräsen
tanten des Dresdener Museums, die Originalität
und damit die höhere Vortrefflichkeit der Madonna
der Dresdener Galerie.
Die Documente über die Geschichte der beiden
Bilder reichen nicht bis zu ihrem Ursprung zurück,
doch läßt sich das Darmstädler Bild durch die For
schungen Woltmanns, der ein sehr verdienstvolles
und umfangreiches Werk über Holbein geschrieben,
verfolgen bis in die Familie Meyer, während die
authentischen Nachrichten über das Dresdener Bild
nicht weit über die Mitte des vorigen Jahrhunderts
zurückreichen.
Es bleibt uns somit nur übrig, vor die Bilder
selbst hinzutreten, die unmittelbar neben einander
aufgestellt find, in vortrefflichem Licht und in
Augenhöhe, so daß die unmittelbare Vergleichung,
die früher nur vor einem der Bilder, das andere
im Gedächtniß, möglich war, in voller Untrüglich,
keil geführt werden kann.
Der erste Eindruck, den man vor den Bildern
empfängt, ist so überraschend und die Originalität
des Darmstädter Bildes so in die Augen sprin
gend, der Unterschied und der Abstand zwischen bei
den Bildern so ungeheuer, wie man es sich, bei
aller Treue des Gedächtnisses für die frühere Ver-
gleichung par äistanee, im Entferntesten nicht vor-
gestellt hat. Ich gestehe, so sehr ich auch früher
schon für die Originalität des Darmstädter Bildes
war — daran, daß das Dresdener eine Wieder
holung von Holbeins Hand und somit auch ein!
Originalwerk Holbeins sei, — daran zu zweifeln, \
iit mir nicht in den Sinn gekommen. Seit ich diej
Bilder neben einander gesehen, in dem Moment,
wo ich davor hintrat, war eS für mich eine unum
stößliche Gewißheit, daß das Dresdener Bild eine
Copie, und zwar nicht von der Hand Holbeins, ist.!
Dasjenige, was zunächst auf uns einwirkt beim j
Beschauen eines Bildes, bevor wir erkennen, was
das Bild darstellt, ist die Farbe und der Ton des \
Bildes — die Farbe aufs Auge — der Ton auf ;
die Empfindung. Das Darmstädter ist flüssiges {
Gold — das Dresdener erstarrtes Blei.
Ich muß mich von vornherein dagegen ver-
wahren, daß ich dem Dresdener Bilde fein ihm;
stets gezolltes Verdienst absprechen will — das!
Werk Holbeins bleibt stets erhaben, wenn es auch ;
von anderer Hand durchgeführt worden — bleibt \
doch Mozart immer Mozart, selbst von einem Leier-1
kästen ausgeführt — ich will nur den Unterschied ’
zwischen beiden Bildern klar zu machen suchen und
bin genöthigt oft da, wo nur ein weicher Uebcrgang
in Wirklichkeit ist, eine harte Contour zu ziehen.
Irr diesem Sinne sei es mir gestattet, die Bilder
gegenüberzustellen.
Wir sprachen uns bereits aus über den ersten
Eindruck, de» das Darmstädter Bild neben dem
Dresdener hervorruft. Mag man immerhin ein
werfen, auf einen bloßen Eindruck hin, sollen wir
-uns nicht verleiten lassen ein Urtheil zu fällen.
Gewiß ist das recht und billig, und wir wollen die
sorgfältigste Prüfung im Einzelnen sogleich begiu-
uen, nur hüten wir uns, die Wichtigkeit des ersten
Eindrucks auf den Beschauer, — ich meine aber
den verständnißvollen Beschauer — und dessen Prü
fung, zu unterschätzen. Meiner Meinung nach ist
der erste „Eindruck eines Kunstwerks auf den Be
schauer eben so wichtig für die Würdigung des
selben als es die Conception eines Kunstwerks und
die daraus im Künstler entspringende Begeisterung
für die Schöpfung des Kunstwerks ist. Diese Be
geisterung, die lebensfrische Stimmung ist dasjenige
Element, welches dem Kunstwerk die Ursprünglich
keit. die Originalität verleiht und die ensprechende!
Stimmung im Beschauer hervorruft. Das Können, j
die Fähigkeit seinen Ideen in Form und Farbe!
Ausdruck zu geben, macht den bildenden Künstler!
zum Maler. Die Fähigkeit, dem Künstler i
beim Bilden überallhin folgen zu können, -
macht den Beschauer zum Kunstverständigen; \
an den bloßen Kunstliebhaber dürfen wir diese An- 1
spräche nicht machen. Wir dürfen die Composttion
der Holbein'schen Madonna mit ihren einzelnen
Figuren als bekannt voraussetzen und können!
nöthigenfalls eine der vielfachen Nachbildungen i
nach dem Dresdener Bilde zur Hand nehmen.
Irgend eine äußere Rücksicht, gleich viel welche, \
wird Holbein veranlaßt haben, das Maß des Bil- I
des anzunehmen, wie wir es im Darmstädter Bilde j
haben, eine gleiche Rückstcht hat ohne Zweifel auch '
das etwas höhere Format des Dresdener Bildes
gefordert. Daraus ergab sich von selbst eine Er-
Höhung der Architektur — die Nische, in, oder viel- >
mehr, vor der die Madonna steht. Die Rundung
des Bogens allein zu erhöhen, widerspräche jedem
architektonischen Gefühl; der Künstler erhöhte also
die beiden Pilaster, welche die Nische einschließen;
dadurch rage» in dem Dresdener Bilde die Köpfe
der zu beiden Seiten Knieenden nicht mehr in die
Kapitäle der Pilaster hinein. Wenn die Verthei
diger der Dresdener Madonna darin eine wesent-