Nr. 258,
MagtM Mgemtinm Zeitung.
Freitag, 15 September
1871.
Cerr„ponS«n»en sind an die Redaction, in*erat® an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franco zu richten. Dieselbe berechnet für die dreigespaltene Colonelseile oder deren Raum
im Hauptblatt IS kr.; In der Beilage, -welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, 9 kr. a. W. . _ . .
Tur Bequemlichkeit der verehrt. Inserenten wurde neben dieser auch eine -wort-weise Berechnung eingeführt: und zwar wird für jedes (wenn »uch abgekürzte) wort oder zjüii
I kr, aüdd., 3 Kkr, Baten-., «/, lTgr., 7 cent. (in der Beilage") in Ansatz gebracht, wobei die Expedition das Hauptsächlichste durch fettere Schrift auszeichnen wird. Der entfallende
Betrag ist der Bestellung beiiufugen, wobei Briefmarken aller Länder in Zahlung angenommen werden.
Verlag der I. G. Tolta'schm Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. I. v. Gosen.
Uebersicht.
Sommerfrischen und Wasserplätze in Südwestdeutschland. (I. St. Blasien.
Schluchsee.) — Holbein-Ausstellung in Dresden, (ll. Hie Dresden!
Hie Darmstadt!)
Neueste Bosten. München: Päpstlicher Nuntius. Handelsappella
iions gericyl. Senat. Berlin: Vorschreitender Kriegskostenzahlung und
derRäumung. Wiesbaden: DieCurhaus- und Theaterangelegenheit.
' Paris: Tödtung eines deutschen Soldaten. General v. Vlumenthal.
Verhaftung Paffedouets. Georges Sand.
Telegraphische Berichte.
S~ Baden-Baden, 14 Sept. Heut um 6% Uhr ist der Kaiser
in Begleitung des badischen Prinzen Wilhelm angekommen. Das diploma
tische Corps, die Behörden und der Gemeinderath empsiengen ihn, viele
Vereine und die Bürgerschaft bildeten Spalier bis zum Meßmer'schen
Haus, wo er abstieg. Glockengeläute, Böllerschüße, enthusiastischer Em
pfang. Abends findet Illumination, Fackelzug, Serenade und Beleuch
tung des alten Schlosies statt.
® Bern, 14 Sept. Der Eröffnung der Mont« Cenis-Bahn werden
die Bundesräthe Dubs, Challet-Venel und Ceresole beiwohnen; dieselben
treffen nächsten Samstag in Turin ein.
* London, 14 Sept. Die Correspondenz zwischen dem auswärtigen
Amt und dem Collegium der ausländischen Bonsbesitzer betreffend die
rumänische Eisenbahnfrage ist so eben veröffentlicht worden. Auf die Re
klamationen antwortend, betont Lord Ruffell: die Regierung halte den poli
tischen Standpunkt fest in Schuldangelegenheiten fremder Staaten nicht
zu interveniren.
* Paris, 14 Sept. Die Commission des Pariser Municipalraths
setzte in Uebereinstimmung mit dem Seine-Präfecten, den Emissionscurs
Lei der Repartition der gänzlich liberirten Obligationen auf 300, der nicht
liberirten auf 207 fest. Die Subscription auf die Pariser Stadtanleihe
wird am 26 Sept. eröffnet und am 27 Sept. geschloffen.
* Paris, 14 Sept. Die Entwaffnung der Nationalgarde in mehre
ren Departeinents hat begonnen. Die Ruhe wurde nirgends gestört. —
Die Verhandlungen mit dem Grafen Arnim wegen Verlängerung der
Frist der elsäßischen Producteneinfuhr dauern fort, und es besteht di-Hoff-
nung daß ein günstiges Resultat vor der Vertagung der Nationalver
sammlung werde erzielt werden.
Telegraphische Curs- und Handelsberichte siehe fünfte Seite.
Sommerfrischen und Wafferplätze in Südwest-entschland.
I. St. Blasien. Schluchsee.
f St. Blasien, 2 Sept. Die Ansichten der Aerzte über Lungen»
ghmnastik und Nervenleiden und, wir dürfen es Wohl sagen, die Theuerung
die in den bisher bekannten watering places von Baden, dem Renchthal
und jenseits des Knibis einzureißen beginnt, haben schon jetzt angefangen
dem Zuge der mehr oder weniger Hülfsbedürftigen neue Bahnen anzw
weisen. Da muffen wenigstens 2000 Fuß überstiegen sein bis Rast ge
nommen werden kann, sich zu erfrischen und den mehr und mehr das Leben
^bedrohenden Gehirn- und Lungenleiden im Entstehen entgegenzuarbeiten.
So hat denn seit einigen Jahren das einfach bescheidene St. Märgen
Äber Freiburg (ungefähr 2300 Fuß ü. M.) eine stets sich mehrende Gesell
schaft angezogen; das noch bescheidenere Waldau, einige Hundert Fuß
höher, das ebenso hohe Rößlewirthöhaus oberhalb der Höllensteig fand
schon vor einigen Jahren für nöthig eine „Dchendance" für Sommer
frischler zu bauen; um den Titi See mit seinem dunkeln Gewäffer, im ein
fachen Dorfe Hintergarten, siedelten sich hülfsbedürftige Gäste an. Noch
früher hatte in Schluchsee der alte Ganter seinen Gasthof zum Stern den
Curgästen geöffnet, die erst nur von Freiburg, bald aber von nah und fern
angezogen wurden, um über dem User des fischreichen Sees — es werden
Hechle bis zu 33 Pfund dort gefangen — umgeben von Wäldern, an
fahrbarer Straße nach allen Seiten, ein paar Wochen in gemüthlicher
Ruhe zuzubringen. Bald war der Gasthof zu eng; in benachbarten Häusern,
beim Pfarrer des Orts, in dem bäuerlich bescheidenen Gasthause zum Schiff
wurden Wohnungen gesucht und vergeben. Schluchsee nahm den Anlauf
zu einem Bad in größerm Maßstab; alle Vorbedingungen dazu waren vor
handen. Im See konnten Badanstalten zur Genüge aller errichtet werden;
Gondeln zu bauen zu Luftfahrten und für „Fishing Englishmen“ war eine
Sache von geringen Kosten. Aber es gieng langsam voran ; von letzter»
befanden sich kaum zwei auf dem See, die erster» find beim dürftigsten
Anfange geblieben. Auch kam bald nach dem Rücktritt des alten Ganter
eine gewisse Verminderung der Aufmerksamkeit gegen die Gäste zu Tage,
welche sich bis auf das Ausbleiben erwarteter Leckerbissen, namentlich der
,,frutti del lago, u der Hechte und Forellen, erstreckte und bei der Theuerung
der Lebensmittel natürlich war. So kam es daß Schluchsee zunächst nur
die Villeggiatur des Mittelstandes blieb, der sich freilich in diesem Jahr
bis zur Wohnungsnoth noch ansiedelte, obwohl das Schiffwirthshaus,
jetzt auch die Post für den Ort, in Speisen und Wohnstätten eine gewisse
Eleganz anstrebte.
Inzwischen war in nächster Nähe eine nicht zu verachtende Concurrenz
entstanden, die bei größerer Eleganz und mäßigen Preisen gerade jenen
Theil der Curgäste beanspruchte welche Schluchsee fern blieben. Ueber
Seebruck, durch eine von Abt Martin Gerbert geführte Straße, über Blasi
wald durch einen sonnigen erst nach einer Stunde in tiefen Waldesschatten
sich senkenden Karrenweg verbunden, liegt am Eingang des hochromanti
schen Albthales, eine Stunde von dem gleichfalls erst seit wenigen Jahren
fahrbar gemachten Werrathale, die ehemalige Abtei St. Blasien. Reiche
geschichtliche Erinnerungen haften an derselben, wenn gleich die imposante
Kuppel, angeblich eine Nachbildung des Pantheons, welche den überraschend-
M Anblick bietet, und der große Complex der Kloster- und Prälatur-
Gebäude den Zopfstyl des vorigen Jahrhunderts aufweisen. Schon durch
Otto II, 980, in seinem Besitze bestätigt, im elften Jahrhundert im Besitz
einer Klosterschule, an welcher der Chronist Bertholt von Konstanz lehrte,
in dessen Einsamkeit die hartnäckigsten Papisten, wie der Zäringer Geb
hard, Bischof von Konstanz, vor weltlicher Verfolgung ein willkommenes
Asyl fanden. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert war auch St.
Blasien den Weg der übrigen Benedictinerklöster gegangen: adelige Aebte,
adeliges Wesen, Versorgung armer Verwandten durch Chorstellen und
Lehensbesitz brachten dasselbe bald so herunter, daß im letztem Jahrhundert
eine Anzahl bürgerlicher Aebte nöthig war um dasselbe vor völligem Ruin
zu schützen. Dann kam der Bauemkrieg, in welchem das Kloster anfangs
vom Anführer Kunz Jehle von der nahen Niedermühle im Albthal geschützt-
ward, bis dieser als Opfer der Reaction gehängt wurde, und die Mönche
zu ihrem Entsetzen eines Morgens dessen blutige Hand an das Kloster
thor genagelt fanden, mit der Umschrift: „Diese Hand wird sich blutig
rächen." Und nach wenigen Tagen gieng dasselbe mit den meisten Neben
gebäuden in Flammen auf. Wieder ward ein Bürgerlicher zum Abte gewählt.
Kaspar Müller (Molitoris) von Schönau war des Klosters Wiedererbauer,
Ordner und Schriftsteller (um 1550); von ihm datiren blühende Zustände des
Klosters, welche erst der dreißigjährige Krieg unterbrach und später (1745,'
eine Feuersbrunst, die unter Abt Franz II das Kloster mit dessen Archiv
und den zur Renovation dort liegenden Urbarien der Unterthanen zusam
men zerstörte, und durch den Verdacht absichtlicher Brandstiftung unter
dem Salpeterfabricanten Fridolin Albiez den „Salpeterer Krieg" und mit
ihm eine noch nicht ganz erloschene religiös-politische Secte hervorrief. Der
Abt und seine Nachfolger wurden Reichsfürsten; ein Vermögen, welcheszur
Zeit der Aufhebung ohne die Besitzungen in der Schweiz auf 6 Mill. ge
schätzt wurde, und wohl das Doppelte bctmg, mochte diesen Schritt recht
fertigen. Sein Nachfolger Martin Gerbert stellte nicht nur im Aeußern das
Kloster oder den Tempel zu der Würdigkeit her, deren Spuren jetzt noch
nicht verwischt sind, sondern war auch der Repräsentant jenes Wissenschaft
lichen Lebens durch welches seine Mönche, mit ihm ein P. Herrgott, P. Heer,
Uffermann, Eichhorn und Naugart, „Typis St. Blasianis“ ihre Werke in
die Welt ausgehen ließen. Seine Grabstätte ist wohl als diejenige auch der
gelehrten Strebungen des Klosters zu betrachten: 1807 erlag es dem Schick-
salederSäcularisation, und ein Theilseiner Mönche flüchtete nach Oesterreich,