Full text: Zeitungsausschnitte über Holbein

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Rückblick aus die Holbein-Ausstellung in Dresden. 
Rückbück auf die Holbein-Ausstellung in Dresden. 743 
hauptsächlich durch den Contur, dessen leises Anschwellen und Abnehmen das 
Auge für die zartesten Andeutungen der Modellirung empfänglich und es 
dem Maler möglich macht, die Rundung der Gestalt ohne eigentliche Schat- 
tirung zu versinnlichen. Allerdings sieht Holbein die Natur mit schärferem 
Blicke und feinerem Gefühl für Form und Farbe an; die Köpfe seiner Vor 
gänger sind im Vergleich mit den seinigen flach, den Händen giebt er eine 
Vollendung und Naturwahrheit, wie sie kaum übertröffen worden. Aber er 
erreicht dies ohne graue Schatten, indem er mit wunderbarer Genauigkeit 
den Localton auf jeder Stelle so zu steigern oder zu mildern versteht, wie 
es der körperlichen Form entspricht. Er verfährt fast wie ein Mosaikarbeiter, 
aber die einzelnen Töne gehen, wie in der Natur selbst, durch ihre innere 
Verwandtschaft in ein Ganzes zusammen. Sein Augenmerk ist zunächst fast 
immer nur auf das Einzelne, und nur mittelbarerweise auf die Gesammt- 
wirkung gerichtet. Gewöhnt an miniaturartige Zeichnung für den Holzschnitt 
oder für Goldarbeiter giebt er auch auf den Gemälden Schmucksachen und 
ähnliche Details in miniaturartiger Ausführung mit einer Präcision und 
Sauberkeit, die bei genauer Betrachtung sehr reizend ist, aber bei größerer 
Entfernung kaum eine der Mühe entsprechende Wirkung machen und daher 
dem modernen Maler Zeitverschwendung scheinen würde. Dagegen nimmt 
er es mit anderen Anforderungen sehr lercht. So mit der Zeichnung des 
menschlichen Körpers und mit der Luftperspective. Es kommt wiederholt vor, 
daß an der meisterhaft gezeichneten Hand ein zu kurzer Arm, unter dem aus 
drucksvollen Kopfe ein zu kleiner Körper sitzt. Auf Bildnissen giebt er die 
Gegenstände an der Wand des Zimmers eben so bestimmt und in eben so 
kräftiger Farbe wie die im Vorgrunde stehende Figur. Er bestrebt sich, die 
Außenseite der Dinge zu schildern wie er sie sieht, aber er macht nicht den 
Anspruch, die plastische Erscheinung, den Abstand der Dinge von einander 
genau fühlbar zu machen. 
Treten wir mit dieser Kenntniß des Holbeinischen Stils vor die 
Dresdner Madonna, so macht sie uns, ungeachtet der darin enthaltenen Hol 
beinischen Porträtköpse und Motive, einen fremdartigen Eindruck. Der Ur 
heber dieses Bildes hat nach Vorzügen gestrebt, um die sich Holbein nicht 
bemühte, und dagegen das vernachlässigt, worauf dieser Werth legte. Den 
Schmuck der weiblichen Figuren, den Teppich, die aus dem Darmstädter 
Bilde so vorzüglich ausgeführt sind, hat er einem Gehilfen überlassen und 
nicht einmal dessen grobe Mißverständnisse verhütet. Dagegen ist das Räum 
liche und Plastische, die räumlich mögliche und bequeme Anordnung des 
Ganzen und dann auch die organische Totalität der einzelnen Gestalten ein 
Gegenstand seiner Sorgfalt. Er begnügt sich auch nicht, durch Localtöne zu 
modelliren, sondern rundet seine Gestalten durch eine sehr ausgeführte Schat- 
tirung ab. Besonders die Verschiedenheit des knieenden Knaben auf beiden 
Exemplaren ist sehr charakteristisch. Auch in Beziehung auf die Harmonie 
der Farben unterscheiden sich beide Meister; Holbein geht auch hier vom 
Einzelnen aus, bringt die Töne nur mit den benachbarten in Einklang. Der 
Urheber des Dresdner Bildes erstrebt auch hier unmittelbar eine Einheit des 
Ganzen, die er durch den kräftigen schwarzgrünen Ton im Gewände der 
Madonna und durch das stärkere Roth ihrer Schärpe erreicht. 
Ich habe diese Verschiedenheit der Malweise vielleicht sehr unvollkommen 
geschildert; aber daß sie vorhanden ist, wird nicht bezweifelt und selbst von 
denen, welche Holbein's eigene Thätigkeit an dem Dresdner Bilde am 
Eifrigsten behaupten, nicht in Abrede gestellt. Sie glauben nur, daß sie 
ihrer Annahme nicht entgegen stehe, da es eine ganz gewöhnliche Erschei 
nung sei, daß strebende Künstler sich in verschiedenen Manieren versuchten. 
Allein die Veränderung ist hier viel stärker als die, welche man sonst als 
Aenderung der Manier bezeichnet. Es handelt sich nicht um äußerliche Ver 
änderungen, welche unmittelbar auf den Beschauer wirken, sondern um eine 
andere Schule, eine andere Auffassung der Natur und der Kunst. Es be 
deutete für Holbein ein Aufgeben aller seiner künstlerischen Gewohnheiten, 
selbst derjenigen, in welchen seine Stärke bestand. Ohne Zweifel ist auch 
eine solche Aenderung möglich, aber sie erfordert längere Zeit und müßte 
auch aus seinen anderen Bildern erkennbar sein. Wenn Holbein diese Wieder 
holung', wie man voraussetzt, aus Bestellung der Familie des Stifters ge 
malt hätte, so müßte dies bei seinem letzteren, längeren Aufenthalt in Basel 
vom August 1528 bis zum Herbst 1531 geschehen sein. Jene durchgreifende 
Aenderung müßte also wenigstens an den auf der Ausstellung befindlichen 
datirten Bildnissen von 1528 und von 1531 sichtbar sein, aber sowohl diese 
als alle späteren Porträts sind sämmtlich in der früheren Malweise ausge 
führt und zeigen keine Hinneigung zu der, die wir auf dem Dresdner Bilde 
wahrnehmen. 
Ein auffallender Umstand ist, daß auf diesem einige der Porträtköpse 
den in Basel bewahrten Naturstudien mehr gleichen als die auf dem Darm- 
städter Bilde. Wenn man annehmen dürste, daß dies die Folge einer neuen 
Benutzung dieser Studienköpfe wäre, so würde dies für die Entstehung in 
Basel und durch Holbein sprechen. Allein diese Annahme läßt sich nicht 
durchführen. An dem einen Kopfe, an dem des knieenden Mädchens, läßt 
sich nämlich sehr deutlich erkennen, daß die etwas unschöne Profillinie, welche 
sie in der Studie und auf dem Dresdner Bilde hat, auch aus dem Darm 
städter Exemplare vorhanden gewesen, und nur bei der Restauration, welche 
auch die meisten anderen Köpfe entstellt hat, durch Uebermalung zu Gunsten 
eines anderen Profils vertilgt ist. Dies aber berechtigt zu der Vermuthung,
	        

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