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Noch einmal der Holbeinzwist.
Eiil Wort über den Urheber der Dresdener Madonna. 543
coloristische Vortrag in jenem den Eindruck einer gewissen eleganten Glätte
macht. Neben denselben Vorzügen des Colorits läßt das Darmstädter Bild, das
in einer früheren Periode, jedenfalls kurz vor Holbein's erster Reise nach
England (1526) entstanden ist, in der Zeichnung stellenweis noch eine ge
wisse Unsicherheit erkennen, namentlich in der perspectivischen Verkürzung ein
zelner Formen, man fühlt, daß hier der Künstler noch nicht mit ganz freier
Hand arbeitete. Zugleich aber gibt sich in dem Bilde mit der höchsten
Sorgfalt der künstlerischen Durchführung und einer bewunderungswürdigen
Kraft des charakteristischen Ausdrucks eine schöne Naivetät der Empfindung
kund, die auch in dem stark überarbeiteten Kopf der Madonna noch fühlbar,
von besonderem Reize ist. Neben diesem Werke, in dem uns mit ursprüng
licher Frische ein großes, die Mittel seiner Kunst aber noch nicht allseitig
und absolut beherrschendes Talent entgegentritt, erscheint das Dresdener
Bild als die Arbeit eines Künstlers, dessen Fertigkeit schon etwas vom
Charakter der Virtuosität an sich trägt; die Formen sind mehrfach correcter,
der Vortrag hat eine große Leichtigkeit und das räumliche Arrangement der
Gruppe, die Anordnung der umgebenden Architectur wird man geschmack
voller nennen müssen, als aus dem Darmstädter Bild; dagegen ist die Be
handlung des ganzen Details durchaus von geringerer künstlerischer Feinheit,
aus den Porträtköpfen ist das warme seelenhaste Leben geschwunden und in
dem Ausdruck des Madonnenantlitzes, dessen unmuthige Würde etwas Selbst
bewußtes hat, wie in der schlankeren Bildung der ganzen Madonnengestalt
läßt sich das Streben nach einer gewissen Eleganz nicht verkennen, mit der
die Art der coloristischen Behandlung übereinstimmt.
Vielleicht irren wir nun nicht, wenn wir eine ähnliche Geschmacksrich
tung bei jener Gruppe von Malern zu finden glauben, die um die Mitte
des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden auftraten, und, meist selbst in
Italien gebildet, die einheimische Malerei unter den unmittelbaren Einstuß
der italienischen stellten. Manche dieser Künstler, namentlich die der ersten
Generation Angehörenden wußten in der Nachahmung der italienischen Grazie
die volksthümliche Originalität glücklich festzuhalten, während bei Vielen der
späteren die Imitation der italienischen Vorbilder zu einem hohlen und
kalten Manierismus wurde. Jenen ersteren möchte man zutrauen, daß sie
sich auch der Holbein'schen Kunstweise bis zu dem Grade der Ähnlichkeit
zu nähern vermochten, den uns die Dresdener Madonna zeigt. Von
Bernhard von Orley und seinen Genossen sagt Schnaase in den niederlän
dischen Briefen: „Sie hatten das Gefühl für die Anmuth der älteren ein
heimischen Werke nicht verloren und behielten manche Eigenthümlichkeit der
Anordnung und Gruppirung bei. In Italien hatten sie vorzugsweise Ra
phael studirt und auch in ihm besonders die sanften graziösen Motive auf-
gefaßt. Jene einzelnen Härten und naiven Unregelmäßigkeiten, welche die
ältere Kunst sich erlaubt hatte, mußten daher verschwinden; die Gestalten
wurden größer, schöner und richtiger zugleich, die Gruppen mehr übersicht
lich und zierlich, und das Ganze nahm einen milden freundlichen Geist an,
der auch auf uns seine Wirkung nicht verfehlt. Allein wie die Vereinigung
zweier verschiedener Prinzipien immer nur die Verstachung beider zur Folge
hat, so war es auch in diesem Falle." Was hier Schnaase von dem Ver
hältniß jener Künstler zu ihren niederländischen Vorgängern sagt, ist selbst
verständlich nicht direct auf ihre muthmaßliche Beziehung zu der hochent
wickelten und von den Einflüssen der Renaissance lebendig berührten Kunst
Holbein's anzuwenden; aber es deuten diese Bemerkungen doch einen Gegen
satz der künstlerischen Behandlung an, der Verwandtschaft zeigt mit den
zwischen dem Darmstädter und dein Dresdener Bild bestehenden Unterschieden.
In den Werken Bernhard's von Orley, von denen sich die früheren durch
energische Charakteristik und ein saftiges Colorit auszeichnen, tritt später nach
dem Aufenthalte des Künstlers in Italien sehr entschieden die Neigung zu
einer gewissen verallgemeinernden Noblesse der Formen hervor, während die
Färbung in's Trockene fällt und einen kühleren, aber meist sehr fein und
zart gestimmten Ton annimmt; dasselbe zeigt sich in den Werken seiner
Schüler und Nachfolger. Von den eigentlichen Manieristen dieser italianisiren-
den Niederländer, an deren Spitze der seiner Zeit hochberühmte Franz Flo-
ris, der „belgische Raphael" steht, ist hier natürlich gänzlich abzusehen, sie
kommen bei unserer Frage nicht in Betracht; denn jedenfalls ist zur Benen
nung des namenlosen Bildes nach dem Namen eines der Besten im Kreise
dieser Künstler zu suchen. Ihre Richtung dauerte bis an das Ende des
16. Jahrhunderts und die Einflüsse derselben erstreckten sich sporadisch auch
noch weiter in die Anfänge der folgenden Kunstperiode.
Leicht können wir uns vorstellen, wie ein talentvoller und feingebil
deter Künstler um diese Zeit aus Italien in seine niederländische Heimat
zurückkehrend, von dem Holbein'schen Madonnenbild wie von einem alter-
thümlichen Werk berührt wurde, das nach seinem Gefühl der Modernisirung
bedurfte, wie er die Gruppe vom Druck der umgebenden Architectur befreite
und alle Verhältnisse schlanker gestaltete, wie er das kräftige Colorit des
Originals zu verfeinern strebte, und wie zuletzt, der Welt zu Unfriede und
Freude, die Dresdener Madonna aus seinen Händen hervorging. —
v.