essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
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Berichte aus dem Reich und dem Auslande.
Naiv forderte er sogar von einem der Führer der Verfassungspartei ein
Namensverzeichniß parlamentarischer Minister, und noch naiver wirkte Graf
Beust mit allem Apparate des Dispositionsfonds für die „Regierungsfähigen"
der Zukunft. Hatte doch auch ihm der Kaiser jenen Plan als einzig mög
lichen bezeichnet und in seiner Berücksichtigung empfohlen, den czechischen
Führern einen „derben" Absagebrief zu schreiben. „Die starke Hand", die in
Zukunft die Regierungszügel lenken sollte, blickte selbst aus den Zeilen
unseres sonst so schweigsamen Canzlers. Aber welche Täuschung! Die Namen
des Verwaltungsministeriums waren gefunden, vereint, als plötzlich die
Aeolusse unserer Geheimregierung eine neue Windrichtung anzufachen wußten.
Mit einem namenlosen Ministerium wurde wider Erwarten ein Ueberfall
der öffentlichen Meinung vollzogen in der „Wiener Zeitung". Hohenwart
war Minister! Giskra hat ihn kurz zuvor als Protectionskind der Hofkreise
zum oberöstreichischen Statthalter gemacht. Er erkannte heute in ihm das
Werkzeug der zweiten Regierung, deren Haupt in der kaiserlichen Cabinets-
canzlei als wohlbestallter Staatsrath sitzt. Und das Schlagwort dieser
Staatsmannschaft, die bisher im Hinterhalte jeder Regierungsform gelauert
oder als Todtenwurm an ihrem Busen hauste, ehe sie zu leben begann —
das Schlagwort „Ausgleich", „Versöhnung" der Unzufriedenen — plötzlich r
war es Regierungsprogramm geworden. Ein Zögling der Jesuiten sollt' es
vollziehen, unfähige, geistig ohnmächtige Marionetten zur Seite. Wozu auch
Männer für das Geschäft zu reden und zu handeln, wie die bisherige zweite
Regierung es wollte, im Interesse alten Adels-Vorurtheils, alter kirchlicher
Sympathieen? Es scheint nicht ganz leicht gewesen zu sein, den Monarchen, i
so sehr er auch mit den Ausgleichsgedanken liebäugelt, für . die neuen Männer
zu gewinnen. Ein breites Gewebe der Intrigue hat mitgeholfen, und ist ge
wiß mitgeweiht worden von frommen Händen. Weiß man doch, wie an
einem Tage, an welchem dem Kaiser die Gefahr einer „starken" deutschen
Regierung in einem Promemoria geschildert worden, plötzlich Briefe Anto-
neüi's und des Papstes an Kaiser und Kaiserin gelangten. Nicht gegen
einen Programmspunkt der Verwaltungsmänner, die unter Lasser für stramme
Regierungsform gesorgt uitb hiefür durch kirchliche Gesetzreform den liberalen
Volkssinn getröstet hätten, wendeten sie sich. Nein. Sie tobten vielmehr
gegen die Zusagen, die in ähnlicher Richtung der Kaiser in seiner letzten
Thronrede gemacht, sie drohten mit den höchsten kirchlichen Strafen. Ein
mal nur, als im Herrenhause das Schicksal der interconfessionellen Gesetze
entschieden wurde, war der Kaiser energisch genug, solche Drohung zu igno-
riren. Ja mehr noch. Als, wohl im Einklänge mit dem zweiten Regime,
Erzherzöge in die Sitzung kommen wollten um nach langer Zeit ihr Stimm
recht gegen das Bürgerministerium und für einen Vertagungsantrag Mens-