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Roch einmal der Holbeinzwist.
Der Schönheitsverlust der Dresdener Madonna.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
unmittelbar das himmlische Feuer ursprünglichen Künstlergeistes lebenschaffend
und herzerfreuend hineinleuchtet. So ist die Photographie, ja mehr oder
weniger alle Reproduction für die bildende Kunst, was der Handel gegenüber
der wirthschaftlichen Production: sie erzeugt absolut keine geistigen Werths
aber sie verbreitet dieselben und macht sich aus diese Weise nützlich und, wie
billig, auch bezahlt.
Daß nun die nach Identität der Erscheinung strebende Farbencopie
eines Gemäldes den obersten Platz unter den Reproductionsarten einnehme,
noch weit über dem Kupferstiche, versteht sich von selbst, und zwar wird sie
diesen Platz um so mehr verdienen, je selbstloser sie sich darstellt. Wäre
absolute Identität denkbar, so würde sie allerdings aus einem bloßen Sur
rogat zum Ersätze werden; diese ist aber eben unmöglich und deshalb geht
unser subjectives Geschmacksurtheil, indem es sofort bei Entdeckung der Nicht
originalität einen Schönheitsverlust registrirt, auch objectiv nicht irre. Sogar
eine Wiederholung durch den schaffenden Künstler selbst ist entweder, wenn
sie bloße Replik ist, eine an Schönheit verminderte Copie, oder aber sie ist
ein neues und selbständiges Kunstwerk, zu dem dann das erste nur — je
nachdem — als Modell, Skizze, Carton u. dgl. m. gelten kann. Hier
bietet sich denn sogleich von selbst der Einwand dar, ob nicht auch ein an
derer größerer Künstler auf Grundlage eines älteren Werkes eine neue,,
selbständige Leistung auferbauen könne. Sicherlich ist diese Frage zu bejahen
und die ganze Kunstübung gewisser Epochen hat sich auf diese Weise bewegt.
Doch ist dadurch für die Sache der Dresdener Maria nichts gewonnen.
Denn der wirkliche Meister wird bei der Nachfolge gegebener Gedanken doch
immer als Künstler, d. h. von innen, vom Ganzen ausgehen; die Verände
rungen, die sein Werk gegen das niedriger stehende Vorbild zeigt, werden
solche der Idee sein, centrale Veränderungen sozusagen und mit den bloß
peripherischen der „freien Copie" nie zu verwechseln sein. Die Anwendung
davon kann jeder machen, der im Zwinger zu Dresden gestanden. Die be
zeichnete Weise der Kunstentwicklung, wo die einzelnen Meister Forffchritte
machen gleichsam in den Schuhen ihrer Vorgänger, gehört Zeiten an, wo
die Kunst einerseits irgendwie durch geistige, meist religiöse Fesseln gebunden
ist und andererseits die menschliche Individualität innerhalb der Völker noch
nicht auf's feinste zugespitzt erscheint; ferner aber wird diese Art desto häufi
ger begegnen, je weniger die freie Aeußerung des künstlerischen Subjectes
durch die Darstellungsmittel der betreffenden Kunst selber begünstigt wird,
z. B. häufiger in der Sculptur als in der Malerei, mehr im Epos als im
Drama. Hierher gehört die Erscheinung des, zum Theil mythologisch fixir-
ten, typischen Elements in der antiken Plastik, so daß selbst die ergreifend
originellen Schöpfungen eines Phidias in äußerlichem Sinne oft nur Um-
schöpfungen gewesen sein mögen; hierher gehört ferner die ganze mittelalter
liche Kunstübung in Sculptur, Malerei und vor allem in der Architectur,
welche letztere überhaupt nie und nirgend eine andere Art der Fortbildung
gekannt hat, als die durch Umbildung vorhandener Formen, hierin der echten
epischen Volksdichtung verwandt. Das Beispiel des Epos ist gerade für die
Unterscheidung, auf die es ankommt, lehrreich, denn heut sondern wir in den
homerischen Gesängen so gut wie im Nibelungenliede bequem die echt künst
lerischen Abtheilungen, welche auch der Rhapsode, der ihnen die letzte Gestalt
gegeben, noch einmal in seinem Geiste wiedergeboren und so neugeschaffen
hat, von den künstlichen, gemachten Einschiebseln der Homerocopisten und
fahrenden Bänkelsänger. Im Alterthum wie im Mittelalter, wo verglichen
mit unseren Tagen die Individualität noch wie unter'm Schleier der Natio
nalität, der Glaubens-, Standes- oder sonstiger Gemeinschaft verhüllt lag,
waren auch in den subjectiveren Künsten, so im antiken Drama, im Kunst
epos und selbst in der Lyrik des Mittelalters schöpferische Umdichtungen
neben eigentlichen Neuschöpsungen durchaus an der Tagesordnung. In der
so innerlichen Musik kann man dergleichen nur aus dem kirchlichen Gebiete
wahrnehmen, in der Malerei bringen erst die Meister des Cinquecento ganz
individuelle Manifestationen hervor. Nach Holbein's Tagen aber hat jeder
Maler — uno der von germanischer Rasse zumal — der Eigenes zu brin
gen hatte, es auch in eigener Form gebracht. Hat der Meister des Dres
dener Bildes eine Umschöpfung vorgehabt, was übrigens schon durch die
peinliche Treue in den Einzelheiten ausgeschlossen ist, so ist ihm das nicht
gelungen; was ihm eigen ist, ist ihm äußerlich eigen, nicht eigener Gehalt;
als rasfinirender Copist hat er das Typische neu aufpolirt, ohne die Idee
von neuem denken zu können.
Der Copisten nun freilich ist allerdinge die Welt voll, und zwar
meistens der unbewußten, der Nachahmer im weiteren Sinne, der Eklektiker
und der Manieristen, welche letztere, nachdem sie einmal ihre Manier gesun
den, genügsam als Copisten ihrer selbst sortarbeiten. Eben weil im ganzen
Verlaufe der Kunstentwicklung so selten Epochen wahrer Originalität ein
treten, weil sogleich nach dem Erscheinen eines Meisters, der in irgend wel
cher Richtung vollendete Werke hervorbringt, nicht Stillstand sondern Rück
gang eintritt, und alsdann das Heer der Schüler und Nachstreber in seinem
mittelmäßigen Wüchse ganze Zeiträume einförmig bedeckt, wie angepflanzte
Nutzgewächse — eben deshalb verarge man uns nicht nach dem Elemetlte
der Originalität in der stets historisch zusammengesetzten Erscheinung der
Schönheit zu suchen, um zur Erkenntniß des wahrhaft Meister- und Muster
haften zu gelangen. Auch das Geschmacksurtheil ist fähig und darum auch
verpflichtet zu lernen, und wenn dies zuletzt natürlich nur — wie übrigens