© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
506 Noch einmal der Holbeinzwist.
das Dresdener aus E-dur. Nicht übel — ohne Ironie — denn die Diffe--
renz eines saftigeren, sanfteren, geheimnisvolleren, ernsteren Colorits neben
einem trockeneren, härteren, helleren, grellheiteren ist damit nicht uneben be
zeichnet. Wenn man aber fragt, was mit einer solchen, immer mißlichen
Uebertragung von Terminis der einen Kunst in die andere hier ausgerichtet
sei, so ergiebt sich das Gegentheil von dem, worauf es der Erfinder jenes
Vergleiches absah, nämlich die Unechtheit des Dresdener Bildes. Oder wie:
es wäre auch nur denkbar, daß ein Componist von Bedeutung ein ganzes
Tonstück, das er in B-dur concipirt, selber in eine so fremde Tonart wie
L-dur hinübersetzte? Zwingt ihn Rücksicht aus die etwa um eine Quinte
höhere oder tiefere Stimmlage des Sängers oder des Instrumentes, für das
zuletzt, abweichend vom ursprünglichen Wunsche, das Stück bestimmt wird,
zur Transposition, so wird er auch das schon ungern — zur Tonart
der Ober- oder Unterdominante greifen. Ein Stück aber von B nach E
versetzen, heißt es in einem Theile seines Wesens zerstören; das thäte nie der
schaffende Künstler selbst, wohl aber ohne Bedenken der umschreibende Arran
geur, der ausübende Dilettant, der falschraffinirende Virtuos, mit einem
Worte der Copist. Und so würden unsere großen Tondichter, wenn sie wie
der aufstünden, mit tiefem Leidwesen ihre Werke durch die überhöhte Stim
mung der Instrumente so gut wie durch die moderne Ueberhastung der
Tempi und Pointirung der Accente verwandelt, entstellt, verfälscht sehen; nicht
anders, als Holbein die Autorschaft des Dresdener Bildes schönstens dankend
ablehnen müßte.
Wir haben soeben den Virtuosen ohne weiteres unter die Copisten ver
setzt, und es lohnt sich in der That einmal die Stellung der ausübenden
Künste von unserem Gesichtspunkte aus zu betrachten. Die für die Perception
xn der Zeit arbeitenden schaffenden Künstler, Dichter und Componist, können
ihre Originalwerke nur symbolisch andeutend durch Wort- oder Notenschrift
fipiren, und diese Werke leben daher nur durch und in beständiger Wieder
gabe durch Copisten, nämlich Recitatoren, Schauspieler und Virtuosen. Diese
vollführen dabei allerdings zum Theil auch eine künstlerische Thättgkeit, die
darstellende, der sich der bildende Künstler gemeinhin selbst unterziehen muß,
die jedoch auch bei ihm als Technik, als geistdurchhauchtes Handwerk weit
unter seiner eigentlich ersinnenden, idealen Wirksamkeit steht. In ihren Dar
stellungen sind aber die ausübenden Künstler in Wahrheit nur Copisten des
tiefen Inhalts, welchen der Poet oder Tondichter denkend in seinen Werken
niedergelegt hat. Sowie sie darüber hinausgehen, raffiniren sie gleichfalls
und verpfuschen ihre Aufgabe. Die beliebte Phrase heutiger Recensenten, daß
der Schauspieler oder Geiger seine Rolle oder Partie „erst wahrhaft geschaf
fen" habe, besagt daher entweder gar nichts weiter, als daß er sie zur Dar
Der Schönheitsverlust der Dresdener Madonna.
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stellung gebracht, oder drückt das wollüstige Behagen eines modern verlotter
ten Geschmacks an pointirt koketter, d. h. unkeuscher Verunstaltung des naiven
poetischen oder musikalischen Textes aus. Uebrigens kann freilich der Virtuos
oder Schauspieler auch noch die einzige Selbständigkeit, die ihm erlaubt ist,
die des unmittelbaren künstlerischen Gehorsams gegen den Ton- oder Dicht
schöpfer aufgeben, indem er das Vorbild eines berühmten Collegen nachäfft;
alsdann ist er potenzirter Copist und seine Leistung kann nur das humane,
aber unästhetische Wohlgefallen erregen, welches aus der Wahrnehmung
menschlicher — unter Umständen auch thierischer — Gelehrigkeit entspringt.
Die darstellenden Künstler sind nun freilich in der üblen Lage, daß, je treuer
sie ihrer Pflicht bleiben, um so mehr ihre Person zur durchsichtigen Glorie
wird, in der das Bild des schaffenden Künstlers erscheint. Dafür ernten sie
aber auch den lebendigen Beifall, den jener verdient hat, in Wirklichkeit ein;
wie man dem Ueberbringer eines Geschenkes den Dank sagt, den man dem
fernen Geber weiß. Jener genießt das Lächeln oder die Thränen des Be
glückten, zu diesem steigt die Erinnerung des Herzens auf; der Mime hat
Gold und Kränze der Mitwelt, Nachruhm der Genius, dessen schaffende Kunst
allein freie Schönheit an sich trägt.
Die bildenden Künste, in welchen der Künstler selbst auch die darstel
lende Ausgestaltung seiner Idee übernimmt, erzeugen dem Auge sich selber
dauernd producirende Werke im Raume, aber freilich nur isolirt an einer
einzigen Stelle desselben. Um ihnen daher eine gewisse Allgegenwart zu
verleihen, treten die sogenannten reproducirenden Künste hinzu, ebenso wie
die executiven Künste den Dicht- und Tonwerken eine Art Unsterblichkeit in
der Zeit gewähren. In dieser Hinsicht mag man denn wohl Kupferstecherei,
Holzschneidekunst u. s. w. dem Geschäfte des Schauspielers oder Concertanten
an die Seite setzen; wobei nicht erst gesagt zu werden braucht, daß jene Ver
vielfältigungskünste auch nur den Rang von copistischen einnehmen. Dabei
haben sie aber noch ihre Rangordnung unter sich, so daß die am höchsten
steht, welche den innerlich vollständigsten, daher treusten Abriß des Originals
auf geistigem Wege herstellt, was zugleich auch die größte Arbeitssumme er
fordert und so die Vervielfältigung bis zu einer bestimmten Zahl von Exem
plaren am schwierigsten macht. Ganz untenan steht dabei die reinmechanische
Copirung durch Lichtbildnerei, deren Reproducte so absolut unkünstlerisch sind
als das Geklimper einer Spieluhr oder das geistlose Herleiern eines ver
drossenen Schülers, dem durch Androhung von Strafen ein Religionslied
eingezwängt worden. Natürlich soll damit die Photographie nicht gescholten
werden, denn sie hat, wie die Atmosphäre die Sonnenstrahlen zerstreut und
Licht und Wärme selbst in den Schatten hineinspielen läßt, ein Medium der
Kunstanschauung geschaffen auch für Bildungskreise, in die vielleicht niemals