© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 44
Rußland in Jnnerasieri.
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deutschen Zeitschrift nicht unterlassen, die Nutzanwendung aus Deutschland zu
machen.
Die Sache steht kurz und bündig so: Sind Rußland und England
einst durch ihre asiatischen Verhältnisse zum Frieden genöthigt, so hat
Deutschland, sobald es mit einer der beiden Mächte in Streit geräth, von
der anderen nur — Neutralität zu erwarten. Sollte also z. B. der am
fernen Horizonte drohende Krieg Deutschlands mit Rußland zum Ausbruch
kommen, so wird England bei diesem voraussichtlich gerade so Zuschauer
bleiben, wie so eben bei unserem Kampfe mit Frankreich. Noch vor zehn
Jahren durfte man mit einigem Grunde die entgegengesetzte Hoffnung hegen.
Heut und noch mehr in der Folgezeit wird man dieselbe als Illusion auf
geben müssen. Für Deutschland bleibt, um Front zu machen gegen Ost
und West, nur ein Bundesgenosse übrig, Oestreich-Ungarn, dessen politische
Erstarkung und dauernde Verbindung mit uns wir Deutsche nur aufrichtig
wünschen können. Das ist nach unmaßgeblicher Meinung die deutsche
Moral der hier erzählten asiatischen Dinge: Ob freilich je wieder der
interprovinciale und internationale Krieg in Oestreich aufhören, und das
Kaiserwort: viribis unitis zur Thatsache sich gestalten wird, wer kann es
wissen? Begrüßen wir deshalb um so freudiger die herrliche. Wiederauf
erstehung der deutschen Staatskraft!
Hier liegt offenbar eine der größten Coincidenzen weltgeschichtlicher Ent
wickelung, welche das Jahrzehnt von 1860—1870 — erweitert um den
Vorschlag ■ und den Nachhall der beiden angrenzenden Jahre — zu einem
überaus bedeutungsvollen in der Geschichte der Menschheit erhebt. Es ist
der gewaltige Befreiungs- und Einigungskampf, aus welchem Nordamerika
sich zu einer neuen socialen und wirtschaftlichen Grundlage seiner dereinstigen
Weltmacht emporarbeitet; es ist in Europa das mächtige Ringen Deutsch
lands nach Innen und nach Außen, aus welchem, begleitet von dem matten
Abglanz ähnlicher Vorgänge in Italien, das neue deutsche Kaiserthum her
vorwächst; es sind endlich die großen Umwälzungen in Asien, die sich uns,
wenn wir den Blick auch nur auf die nördliche Halbkugel unseres Globus
richten, innerhalb des genannten Zeitraums zu einem großen Zusammen-
hange verschlingen. Für Asien beginnt im Jahre 1860, eingeleitet aller
dings durch kurz vorangegangene Ereignisse, mit dem Einrücken einer euro
päischen Armee in Peking eine Reihe von Entwickelungen, deren Ziel, wie
es scheint, nur die Zertrümmerung der Macht Chinas in ihrem jetzigen,
durch die Mandschu-Dynastie vertretenen Bestände sein kann. Zu beiden
Seiten der asiatischen Coloffalmacht erheben sich andere, an seiner Seeseite
Japan, das in demselben nun abgelaufenen Jahrzehnt seine Einheit und Zu
kunftsmacht durch Blut und Eisen neu zu begründen sucht, auf der Land-