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Die Ho'lbem-Ansstelluug zu Dresden.
städter Madonna erinnerte, kein einziges, das uns dazu führen könnte, das
Dresdener Bild als Original anzuerkennen. Betrachten wir näher den
Harry Guildeford aus Windsor, den Reskemeer aus Hampton Court, wir
begegnen derselben Modellirung, derselben Färbung der Fleischtheile wie im
Darmstädter Exemplar. Dasselbe gilt von dem goldgemusterten Kleide des
ersteren Bildes und den Troddeln auf der Mütze des Millaisschen Porträts.
Abgesehen aber von weiteren Vergleichen möchten wir aufmerksam machen
aus das vollendete Leben in Blick und Ausdruck des Millaisschen Bildes.
Es stellt einen älteren Mann in reicher Kleidung dar. Sein dunkles Auge
leuchtet, Bart und Schnurrbart, mit grauen Haaren dünn durchsäet, kräuseln
sich seidenartig hervor. Das gesunde Fleisch ist glatt an den Wangen, zieht
sich aber in ausdrucksvollen Runzeln um die Augen. Nie hat Holbein die
Subtilitäten der Natur so köstlich wahr nachgeahmt, wie er es hier gethan
hat. Nur in den vollendetsten Stücken Antonello's findet man die Finessen
der Oefsnungen und anderen Theile des Auges, die crystallene Feuchtigkeit,
die Holbein hier realisirt hat. Die schwarze, gewässerte Seide des Kragens,
die verschiedenen Schattirungen des schwarzen Oberärmels, den braunen
Sammt am Unterärmel hat der Meister mit unnachahmlicher Virtuosität
vollendet. Besonderen Studiums würdig ist auch der Herzog von Norfolk
aus Windsor, der in Gala dasteht, mit den Stäben des Großmarschalls und
Lordkammerherrn in den Händen. Die linke Hand — die Hand eines
Greises — ist modellirt wie nur Holbein es thun konnte. Nicht ganz so
schön, da er von altem Firnisse verunstaltet wird, ist der Hans von Ant
werpen, bewunderungswürdig dagegen die Reihenfolge von Zeichnungen aus
Windsor, theils Notabilitäten darstellend, die am Hofe Heinrich's VHL sich
bewegten, theils Mitglieder aus der Familie des Kanzlers More. Originell
und schön ist das männliche Bildniß von 1532 aus der Schönborn'schen
Sammlung zu Wien, unschön dagegen das Brustbild mit sehr retouchirtem
Gesicht von 1533 aus dem Museum zu Braunschweig. Daß manche Stücke,
die hier ausgestellt sind, nicht von Holbein herrühren können, fällt wohl
Jedem auf. Hier werden wir an Penz erinnert (No. 213), dort an
de Bles (No. 214), weiter an Moro (No. 271) und Franz Hals
(No. 289).
Nicht unwichtig, wo es gilt, Holbein's Jugendjahre und frühe Thätig
keit von Neuem zu studiren, sind diejenigen Bilder der Dresdener Ausstel
lung, die unter dem Flamen von Hans dem Aelteren und Sigmund Holbein
stehen. Erinnern die ältesten Schöpfungen Hans des Aelteren in Augsburg,
z. B. die Marienbasilika von 1499, die Passionsscenen von 1502 und die
Paulusbasilika an rheinische und niederländische Vorbilder, so finden wir doch
in der Jungfrau mit dem Kinde und zwei Engeln in der Moritzkapelle zu
Die Holbcin-Ausstellung zu Dresden.
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Nürnberg fast unmittelbar den Einfluß Memlings. Hier, d. h. in der
Dresdener Ausstellung, begegnet uns dieselbe Verschiedenheit der Richtungen.
In der unangenehmen Kreuztragung des Regierungsraths Ahoruer in Mün
chen, wie in den grau in grau gemalten Flügeln eines Altarbildes aus Prag
ist mehr des entschieden Deutschen zu finden, während in der Jungfrau mit
dem Kinde aus der Burgsammlung zu Nürnberg das Niederländische hervor-
- ragt und wir dabei an die milden Madonnen der Van der Weydenschen
Schule zurückdenken. Vorausschicken muß man allerdings, daß die letzt
genannte Composition nicht unter dem Namen von Hans, sondern unter
dem von Sigmund Holbein steht. Die Gründe aber, weshalb man dieses
Tafelwerk Sigmund zuwies, sind nicht stichhaltig. Aus einem Buche, das
auf einer Brüstung liegt, hängt ein weißer Streifen, worauf man liest-.
8. HOLBAINI. Daß das 8. Ende von „Hans" und nicht Anfang von
„Sigmund" sei, wäre wohl anzunehmen; denn das Bild stimmt mit anderen
von Hans Holbein dem Aelteren überein und kann nur dann von Sigmund
sein, wenn wir voraussetzen, daß Hans und Sigmund gemeinschaftliche Werk
statt hatten und an denselben Bildern arbeiteten.
Ist es nun nicht möglich, daß Hans, der den verschiedensten Strömun
gen sich hingab und den wir mit Hilfe von Kunstwerken genau bis Anfang
des 16. Jahrhunderts verfolgen können, auch später noch größere Wandlun
gen in seinem Stil durchmachte, ist nicht zu vermuthen, daß er dahin gelan
gen konnte, Werke zu vollenden, die wir bisher der Jugendzeit des jüngeren
Holbein's zuschrieben? Vor der Hand möchten wir diese Idee nicht zurück
weisen, besonders in Anbetracht dessen, was neulich in der Augsburger Gal-
lerie vorgegangen ist. Dort sind, wie wir wissen, zwei Bilder ausgestellt,
die seit längerer Zeit dem Urtheil über die Jugendarbeiten Holbein's des
Jüngeren die Richtung gegeben haben. Es sind zwei Altarflügel, aus dem
einen der Tod der heiligen Katharina mit dem Datum 1512 und — auf
dem alten Rahmen — dem Namen „Hans Holba."; auf dem anderen das
Christkind zwischen der Jungfrau und der heiligen Anna. Das Buch in
Anna's Hand trägt die Inschrift:
Ivssv Vener.
PIENTQVE MA
TRIS VER
OKI
W... E...
H. HOLBA
IN AVG
A3TSVA3
XVII.
Daß sich letztere Inschrift als Fälschung erwiesen hat, ist seit kurzer
Zeit allgemein bekannt geworden. Das Datum jedoch wie der Name bleiben
bestehen. Man ist daher geneigt anzunehmen, daß wir hier wohl mit einem
Im neuen Reich. 1371, II.
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