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M. 301.
Leilage M AllgemiiUN Zeitung.
Freitag, 28 Otto-er
187V.
I
Uebersicht.
Aus dem Reich des Khedive. Von H. Frhrn. v. Maltzan. — Ueber Hans
Holbeins Jugend Arbeiten. — Deutschland. München: Aus Ha!-
bigs Atelier. Mannheim: Abreise der niederländischen Krankenpfleger.
Der rheinische Kunstverein. Eine Wahlschlacht. Vom Rhein: Hr.
Pietsch und seine Kriegsbilder. Bremen: Für Siraßburg.
Neueste Posten. München: Die k. sächsische Gesandtschaft. Herzog
Max Emanuel. Die Festungen Germersheim und Landau. Augs
burg: Die Proclamation des Generals v. d. Tann. Berlin: Die
Friedensbestrebungen der neutralen Mächte. Eine Feier zu Ehren der
Bayern in Posen. Pest: Reichstag. Hirtenbrief. Katholiken-Congreß.
Sympathien für Frankreich. London: Aus China.
Telegraphischer Bericht.
* Berlin, 27 Oct. (Officiell.) Der Königin Augusta
in Homburg. Diesen Morgen hat die Armee Bazaine's und
die Festung Metz capitulirt. 150,000 Gefangene, einschließ
lich von 20,000 Blesflrten und Kranken. Heute Nachmit
tag wird die Armee und die Garnison das Gewehr strecken.
Dieß ist eines der wichtigsten Ereignisse in diesem Monat,
Dank der Vorsehung. Wilhelm.
Oörsenbertchr.
m Frankfurt g 4 M., 25 Oct. Die Norddeutsche BundeS-An-
Leiihe scheint in der letzten Zeit auch in Güddeutschland ein größeres Terrain ge
wönnen zu haben, wenigstens schreibt man die belangreichen Umsätze, die in ver
flossener Woche auf unserem Markt darin stattgefunden haben, aus Rechnung des
s ogenannten süddeutschen TopitalS. Bekanntlich hat ein Cousortmm, an besten
Spitze die Generaldirection deL Sechaudlnng in Berlin, das Bankhaus M. A.
v. Rothschild und Söhne hier, sowie die Berliner DiSroniogesellfchaft stehen, 20
Millionen Thaler von dieser Anleihe übernommen. Nach einem Regierungs-Erlaß
ist der für den Norddeutschen Bund eröffnete Lredit für KriegSanSgabett von 100
auf 80 Millionen Thaler ermäßigt worden, mithin der an das genannte Consor«
tium abgegebene Betrag der Rest der ganzen Anleihe. Zwischen dem CurS dieser
KNtgSavlrihc und den «Leufalls öproceuligm preußischen StaaiSobligatisuen Le-
steht gegenwärtig noch eine ziemlich bedeutende Differenz, da erstere gegenwärtig
97%, letztere 102 notiern. Es dürste daher der Fall eintreten daß sich der
Cms der norddeutschen Buvdesobligationen dem Preise der üprocent. preußischen
sehr bald nähern wird, um so m-hr als den ersteren ein weit größeres Absatz
gebiet eröffnet ist, das noch bedeutend vergrößert wird wenn sich die in Aussicht
stehende Verschmelzung von Nord- und Güodeutschland in ein einiges Deutschland
vollzieht. Aber auch außerdem hat die norddeutsche BuudeSanleihr große An-
sprüche auf die Beachtung der Lapitalisteu. iudem fie in erster Linie als eine
schwebeude Schuld zu betrachten ist, zu deren baldigen Tilgung durch die von
Frankreich zu zahlende Kriegsentschädigung die gegründetsten Aussichten vorhanden
sind. Da dir Rückzahlung zum Nenuwerth erfolgen muß, so steht neben dem
Zinsgenuß auch noch ein ansehnlicher Cursgewinn in fester Aussicht. Bekanntlich
wlleu für etwaige weitere KriegsauSgabcu Z^/zProcentlgr norddeutsche Bundes-
Schatzanweisungen ausgegeben werden. Diese Thatsache unterstützt unsere An
sicht daß die preußische Regierung die norddeutsche Kriegsanleihe als eine schwe
bende Schuld betrachtet, die nach Beendigung des Kriegs sofort getilgt werden
soll. Alle diese Modalitäten, und namentlich die Hoffnung daß nach Beendigung
des Kriegs die norddentsche BnndeSauleihe zu einer allgemein deutschen sich um
wandeln wird, sind geeignet diesem Papier jetzt schon in Güddeutschland die volle
Beachtung drS Capitals zuzuwenden, um so mehr als beim Eintritt der SLb-
Gtaaten in einen allgemeinen deutschen Bund alle deutschen Staatscaffen die
Ziuseoupons als vollgültiges Zahlungsmittel annehmen werden.
ArrS dem Sketch deS Khedive.
Von Heinrich Frhrn. v. Maltz an.
* Kairo, im Oct. Ein seltsames Gemisch heterogener Elemente
ivar es das sich am 1 Oct. d. I. auf dem österreichischen Llohddampfer
„Apollo" eingefunden hatte um die Reise nach Alexandria zu machen. Da
befand sich neben allerhöchsten und hohen Personen, worunter der Sohn
des Khedive als Stern erster Größe glänzte, u. a. auch eine schwäbische
Bauerncolonie, die ihr Hei! in dem gelobten Lande versuchen will, wie es
schon so viele ehrliche Schwaben vor ihnen gethan haben. Diese Colom«
sten waren, 40 Köpfe stark, mit Kind und Kegel auf dem Vorderdeck unterge
bracht, und trieben dort ihr gemüthlich schwärmerisches Wesen mit obliga«
ten Predigten, Psalmenabfingen und andern ähnlichen Beschäftigungen,
denen sich Leute hingeben die an den baldigen Anfang des „tausendjähri
gen Reichs" oder „die Heimbrmgung der Juden" und dergleichen erbau«
üche Offenbarungsauslegungen mehr glauben. Vor 14 Tagen soll eine
noch zahlreichere Gesellschaft abgegangen sein, und eine andere in ein paar
Wochen erwartet werden. Alle diese guten Schwaben gehören zu einer
Seele d:e sich den „Tempel" nennt, deren Mitglieder auch wohl „die Temp
ler" heißen. Besonders auffallende Dogmen scheint die Secte nicht zu
haben. Es sind einfach biblische Protestanten, die aber jedes engere kirch
liche Band verschmähen, und statt Geistlicher sogenannte „Aelteste" haben,
d. h. jeder einigermaßen bibelfeste Bauer kann ihnen etwas vorpredigen.
Der Glaube an die baldige Erfüllung der Offenbarung Johannis scheint
das einzige Excentrische an ihnen, da sie aber dwse Erfüllung für eine
buchstäbliche halten, z. B. ein wirkliches weltliches Reich Christi als sehr
bald bevorstehend annehmen, so erzeugt jener Glaube allerdings der Selt
samkeiten nicht wenige. Darum gründen sie Colonien im heiligen Lande,
um gleich bereit zu sein, sowie das tausendjährige Reich in Jerusalem pro*
clamirt werde, als Bürger desselben einzutreten.
Die sogenannte „Heimbringung der Juden" soll dem Anbeginn die
ses Reiches unmittelbar vorhergehen, d. h. die Juden sollen sämmtlich
nach Palästina zurückkehren, und zwar noch als Juden, dort aber
plötzlich zur Erkenntniß Christi gebracht werden, worauf dann ihr himm
lischer König wieder erscheinen werde. Zwei Colonien, die eine in Jafa,
die andere in Kaifa, hat die Secte bereits gegründet, und sie sollen wirk
lich floriren, denn die Leute sind arbeitsam und bedürfnißlos, auch meist
von Haus aus schon etwas bemittelt.
Bei der „Heimbringung der Juden" hatten die Vorsteher der Secte
dem Kaiser Napoleon III eine wichtige Rolle zugedacht. Dieser sollte nämlich
Palästina erobern oder friedlich erwerben, und dann Israel dort versam
meln. Diesen Plan haben nun freilich die Ereignisse zu Waffer gemacht.
Vielleicht wird man jetzt dem König von Preußen eine ähnliche Rolle zu-
muthen. Diese chiliastischen Theorien sind jedoch auch außerhalb der
Serie verbreitet, und den Beweis davon liefert ein eigenthümlicher Mann
der mit uns in der ersten Cajüte reiste, ein Patriarch seiner Erscheinung
nach, seinem Titel gemäß aber ein Doctor der Philosophie, nebenbei ho
möopathischer Arzt, Herausgeber religiöser Broschüren und, wie ihn ein
mitreisender Engländer treffend bezeichnete, „MissiockkttzaM Liebhaberei."
Dieser Mann soll bemittelt sein und beabsichtigen sich m Jerusalem nie-
derzulaffen, um dort für das bald beginnende „Reich" zu wirken. Mit
der Secte steht er nicht in unmittelbarer Verbindung, sondern er „macht
Religion aus eigene Faust." Uebrigws benutzt er seine Mußestunden auk
dem Schiff um „den Templern" täglich mehreremale vorzupredigen, was
sich die allzu demüthigen Schwaben auch gern gefallen ließen.
Die Buntheit der Gesellschaft mit der ich die fünf Tage der Ueber-
fahrt zubrachte war in der That unerreicht, und so wie man sie nur in
levantinischen Seestädten findet. Reiche Griechsnsamilien aus Alexandria
die den Sommer in Europa zugebracht hatten, das buntscheckige Gefolge
des ägyptischen Prinzen, meist aus französischen Abenteurern bestehend,
wie sie in Aegypten wimmeln, ein österreichischer Generalconsul mit Fa
milie, Holländer aus Batavia, Engländer aus Ostindien, deutsche Diako-
niffen und französische Nonnen, eine Missionarsbraut, die ihrem künfti
gen Eheherrn, den sie noch nie gesehen haben soll, nach Hinterindien nach
geschickt wird, bewegten sich da neben Türken, Arabern, Maroniten, polni
schen Juden und Judenmissionären, letztere gleichfalls polnisch-jüdischen
Ursprungs und von einer englischen Gesellschaft bekehrt und ausgesandt.
Was in diesem Babel während der fünf Tage an Unsinn zusammenge
schwatzt wurde, überstieg alle meine bisherigen Erfahrungen in dieser Art,
und dieselben sind doch nicht gering. Auch eine böhmische Musikanten
bande, Wiener Bierhaussüngerinnen und der erste Tenor eines Caf« Chan
tant in Alexandria hatten sich eingefunden, und sorgten, vom Prinzen
aufgefordert und bezahlt, für die musikalische Unterhaltung der Gesellschaft.
Der Anwesenheit des Prinzen hatten wir es zu danken daß wir
schon am Abend des fünften Tage- trotz der einbrechenden Dunkelheit in
den bei Nacht unzugänglichen Hafen von Alexandria einlaufen konnten,
denn die Dunkelheit war auf Befehl des Bicekönigs durch glänzende ben
galische Flammen verscheucht worden, die vom Lande, von den Fregatten
im Hafen und von den uns entgegenfahrenden Schiffen aus nicht nur den
Hafen selbst, sondern fast die ganze Rhede magisch beleuchteten, und dem
Piloten das Einfahren möglich machten. Nach vielen Jahren sah ich zum
erstenmal Alexandria wieder als eine zwar vergrößerte und, wie es heißt,
verschönerte Stadt, aber in Wirklichkeit doch eher zu seinem Nachtheil alS
zu seinem Vortheil verändert. Die sogenannten CivilffationSbestrebnngea
bt’S jetzigen Bicekönigs und seines Vorgängers, Said Pascha, dieser beiden
größten Civilisationskomödianten des modernen Orients, haben natürlich
nicht vermocht aus den unglücklichen Fellahs Cultmmenschm zu Aachen;
einige wenige derselben haben fie freilich zu Crricaturen von Europäern
herangebildet, aber im ganzen ist doch der Einfluß dieser Bestrebungen