© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 43
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Allgemeine
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Auslandes nehmen Gestellung
auf dieses Glatt an, für Gerlin
die Expedition der Allg. Preusi.
Leitung:
Friedrichsstrasie Kr. 72.
Æ 331.
Berlin, Sonnabend den 29^" November
1845
Inhalt.
Amtlicher Tb eil.
Inland. Berlin. Zur Berichtigung.
Deutsche Bundesstaaten. Königreich Bayern. Urlaubs-Ver
weigerungen. — UebungS-Lager bei Augsburg. — Königreich Sach
sen. Landtags-Verhandlungen. — Die Aufregung. — Adresse aus
Marbach.
Frankreich. Paris. Hofnachricht. — Truppen-Commandeur von La
Plata. — Bewegung in der Provinz Konstantine. — Börse.
Großbritanien und Irland. London. Die Resultate der dies
jährigen Aerndte in Europa und Amerika.
Belgien. Brüssel. Fürst von Ligne und Herr de Praedt. — Die
Abstimmung über die Adresse. — Schreiben aus Brüssel. (Rückblick
auf die jüngsten Adreß-Verhandlungen; Stellung dcS Herrn Vandeweper;
Verhandlungen mit Frankreich.)
Schweiz. Kanton Luzern. Kasimir Pfyffer freigelassen. — Kanton
St. Gallen. Das BiSthums-Konkordat angenommen.
Spanien. Briefe aus Madrid. (Verurtheilungen in Valencia; Mu
nizipal- und Deputirten-Wahlen; die Unterhandlungen mit Rom; Sen
dung nach der Westküste Afrika's; Vermischtes.) — und Paris. (Der
Jnfant Don Francisco de Assis; Räuberbanden in Catalonirn; Gränz-
Strcitigkciten; die Rekrutirung.)
Handels- und Börsen-Nachrichteu. Berlin. Börsen-und Markt
bericht.
Zum Leben Raphael's von Urbino. (Erster Artikel.)
Amtlicher Theil.
Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht:
Dem Remonte-Depot-Administrator, Amtsrath Bogenschneider
zu Jnrgaitschen, den Rothen Adler-Orden vierter Klasse; dem Förster
Junger vom Forstschutzbezirk Poppe in der Oberförsterei Rosenthal,
Regierungs-Bezirks Posen, dem Küster und Schullehrer Rietz in
Münchehofe, Regierungs-Bezirks Potsdam, so wie dem Nachtwächter
Philipp Hübsch zu Pyritz, das Allgemeine Ehrenzeichen zu ver
leihen ;
Die Wirklichen Legations- und vortragenden Räthe im Ministe
rium der auswärtigen Angelegenheiten, de la Croix und Graf von
Schliessen, zu Geheimen Legations-Räthen, den Kammerherrn und
bisherigenLegations-Secretair Grafen Albert Pourtaleö und den
seitherigen Regierungs-Rath, Grafen von Bülow, zu Wirklichen
Légations- und vortragenden Räthen in der politischen Abtheilung
des Ministeriums, und den Kammerherrn und zeitigen GeschäftSträ-
J ger am päpstlichen Hofe, Freiherrn von Canitz, jo wie den Kam
merherrn und Légations - Secrêlair Stach von Goltz heim, zu Lé
gations -Räthen{ ferner
Den Land - und Stadtgerichts-Rath Fraentzel zum Ober-
Landesgerichts-Rath beim Ober-Landesgericht in Posen; und
Den Ober-Landesgerichts-Assessor von Kraewel zum Ober-
LandeSgerichts-Rath bei dem Ober-LandeSgericht zu Naumburg zu
ernennen.
Heute erfolgte in der Kapelle des Königlichen Schlosses zu
Charlottenburg, in Gegenwart Sr. Majestät des Königs und Ihrer
Majestät der Königin, der Durchlauchtigsten Aeltern und des Durch
lauchtigsten Großvaters, des Großherzoges von Sachsen-Weimar
Königs. Hoheit, der Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hau
ses, der Hofstaaten, der hohen Militair- und Civil-Behörden, so wie
mehrerer der hiesigen angesehenen Geistlichen, die Confirmation Ihrer
König!. Hoheit der Prinzessin Marie Luise Anne, Tochter Sr.
König!. Hoheit des Prinzen Karl.
Die heilige Handlung wurde durch den Ober-Hofprediqer Ehren
berg verrichtet, welcher Ihrer König!. Hoheit den Confirmations-
Unterricht ertheilt hat, nachdem Höchstdieselbe von dem Feldprobst
Bollert in der Religion war unterrichtet worden.
Ihre König!. Hoheit legten das von Ihnen Selbst aufgesetzte
Bekenntniß Ihres Glaubens ab, beantworteten die darüber vorge
legten Fragen und wurden durch die Einsegnung als Mitglied der
evangelischen Kirche aufgenommen.
Berlin, den 28. November 1846.
Angekommen: Der Fürst Felix von Lichnowsky, von
Krzyzanowitz.
Se. Excellenz der Geheime Staats-Minister, Graf von Ar
nim, von Boitzenburg.
Abgereist: Se. Excellenz der General-Lieutenant und Com
mandeur der 2ten Division, von Grabow, nach Danzig.
Nichtamtlicher Theil.
Inland.
Berlin, 28. Nov. Die von dem posener Korrespondenten
der Breslauer Zeitung aufgestellte Behauptung: in dem Arti
kel der Allg. Preuß. Ztg. über die neuerdings zu Posen entdeckte
Verschwörung sei gesagt, daß nur Dienstmädchen und Handwerks
gesellen verhaftet seien, ist eine Unwahrheit, da Dienstmädchen in je
nem Artikel gar nicht genannt sind.
Deutsche Bundesstaaten.
Königreich Bayern. Die aus der Klaffe der adeligen
Gutsbesitzer im Kreise Oberpfalz und Regensburg zu Abgeordneten
erwählten Herren Regierungs-Rath Freiherr von Podewils und Bür
germeister Freiherr von Thön-Dittmer, so wie der erste Ersatzmann,
Herr Regierungs-Assessor Freiherr von Bechtolsheim, haben, wie die
R e g e n S b u r g e r Z t g. aus sicherer Quelle in Erfahrung gebracht haben
will, den Urlaub zum Eintritt in die Kammer nicht erhalten. — In
sofern nicht andere Bestimmungen erfolgen, wird nächstes Jahr ein
Uebungslager des Königlichen Heeres bei Augsburg stattfinden, ähnlich
dem von 1838. Cs werden dazu r^ie Truppen der Isten und 2ten,
Armee-Division nebst mehreren technischen Abtheilungen herbeigezogen.'
Königreich Sachsen. Die erste Kammer setzte in ihrer
Sitzung vom 26. November die Berathung über den Gesetz-Entwurf,
die Gewerbe- und Personalsteuer betreffend, fort. Zu §. 28 trat die
Kammer dem Beschlusse der jenseitigen Kammer, bei Schlächtern in
Mittelstädten nur den zwanzigsten Theil der Schlachtsteuer als Ge
werbesteuer zu erheben, nicht bei, sondern ließ es bei dem im Ent
würfe vorgeschlagenen fünfzehnten Theile bewenden. Herr Staats-
Minister von Zeschau bemerkte hierzu, daß der im Entwürfe ste
hende Satz auf sorgfältiger Abwägung der bisherigen Erfahrungen
beruhe und die vorgeschlagene Abänderung nicht;» einer Ausgleichung, son
dern zu einer Belastung Andererund zu einer unverhältnißmäßig niedrigen
Besteuerung nicht blos der Fleischer, sondern auch derBäcker führen werde,
deren Steuer sich nach der jener richte. Zu §. 32 war von der
zweiten Kammer die Ermächtigung ausgesprochen worden, nach wei
terer Erörterung die Gewerbesteuer der Frachtschiffer auf der Elbe
von 4 Ngr. für die Schiffölaß auf 3 Ngr. herabzusetzen. Die De
putation war beigetreten. Der Königl. Kommissarius von Ehren
stein bemerkte: „Sorgfältige Erörterungen über den Umfang des
Schiffergewerbes hätten in Folge jenes Antrages bereits stattgefun
den, und es seien dabei allgemeine Beschwerden über zu hohe Besteue
rung zwar nicht vorgekommen, theils weil die Steuer an sich mäßig,
theils weil größere Schiffergewerbe mit Holz- und Steinhandel und
anderen Nebengewerben verbunden seien, die man wegen der Steuer
des Hauptgewerbes nur billig vernommen. Dessenungeachtet erachte
die Regierung den Satz von 4 Ngr. für die Schiffslast für beschwer
lich, weil wegen der natürlichen Schwierigkeiten der Schifffahrt ein
Schiff in der Regel nur zu höchstens h seiner Tragfähigkeit
beladen werden könne, weil Konkurrenz auf anderen Strömen und
auf Eisenbahnen den Ertrag der Elbschifffahrt schmälere, und die
wesentlichen Ermäßigungen, welche beide Kammern bei anderen Ge
werben beantragt, auch eine Berücksichtigung der Schiffer nöthig
machten. Die Negierung könne daher schon jetzt die Herabsetzung
jenes Satzes auf 3 Ngr. als bestimmt aussprechen."
Die zweite Kammer beschäftigte sich auch in ihrer Sitzung vom 25.
November mit dem die Bestellung von SchiedSmännern betreffenden Gesetz-
Entwürfe. Zuerst entspann sich eine mehr als zweistündige Debatte über
die Bemerkungen der Deputation zur Ueberschrift und dem Eingänge deö
Gesetzes. Die Deputation hatte nämlich, wie bereits erwähnt, statt deö
Wortes „SchiedSniann" Friedensrichter zu setzen beantragt, auch ge
wünscht, daß die Wahl und Bestellung der Friedensrichter nicht von dem
Antrage der einzelnen Gemeinden abhängig, sondern allen Gemeinden zur
Pflicht gemacht werde. Herr Staats-Minister von Könneritz erklärte
zuerst: „Rücksichtlich der Bezeichnung müsse das Ministerium zuge
stehen, daß in Meiningen Männer mit gleichem Berufe Friedens
richter heißen, in Preußen aber, und zwar ebenfalls mit demsel
ben Berufe, SchiedSmänner. Die Gründe, aus denen man sich für den
Ausdruck SchiedSmann entschieden habe, seien folgende: DaS Ministerium
habe geglaubt, einen Ausdruck wählen zu müssen, der genau den Beruf
dieser Beamten bezeichne; daS Wort Friedensrichter habe deswegen nicht
angemessen geschienen, weil sic gar nicht eigentliche Richter sein sollten.
Die Stände selbst hätten ferner auf dem letzten Landtage daS Institut als
SchiedsmannS- Institut bezeichnet. Vielleicht werde den meisten der Abge
ordneten noch erinnerlich sein, daß am vorigen Landtage selbst ein großes
Mißverständniß sich gezeigt habe, was eigentlich FriedcnSgerichte seien, und
man habe im Wesentlichen als Norm eine der preußischen ähnliche Einrich
tung angegeben; auch wolle er nur erinnern, daß erst gestern in der Kam
mer ein Mißvcrständniß über den Ausdruck Friedensgericht wahrzunehmen
gewesen. Endlich sei der Ausdruck gewählt worden, in Berücksichtigung,
daß vielleicht künftig unter dem Namen Friedensrichter ein ganz anderes
Institut in Sachsen eingeführt werden dürfte." Der Königliche Kommissar,
Geheime Justizrath Hänel, bemerkte: „Unter den Gründen, welche die
Regierung bestimmt hätten, sich für den Ausdruck SchiedSmann zu ent
scheiden, sei einer der bedentendsten gewesen, daß mit dem Namen Frie
densrichter im Auslande, namentlich in England und Frankreich, etwas
ganz Anderes bezeichnet werde, als was hier in Frage stehe, und cs habe,
da hierdurch leicht Verwechselungen entstehen könnten, besonders auch bei
Ausländern, welche in Sachsen Recht suchen, die Wahl des Ausdrucks
plttktisch nicht unerheblich geschienen.' Anlangend die Nöthigung der Ge
meinden zu Bestellung von SchiedSmännern, habe die Negierung geglaubt,
bei diesem Institut in jeder Beziehung auf möglichste Freiheit und
Entfernung alle- Zwanges achten zu müssen. Man wolle keinen Zwang
für den Gewählten, daS Schieds-Amt anzunehmen, keinen Zwang für die
Parteien, sich an den SchiedSmann zu wenden, keinen Zwang für die Ge
meinden, ihn eher zu wählen, als sie für nöthig halten, da man sich nicht
bergen konnte, daß es Anfangs an manchen Orten vielleicht doch an passen
den Männern fehlen weide. Dafern sich ein wirkliches Bedürfniß zeigen
sollte, werde das Institut viel wirksamer sein, wenn die Gemeinde auS
freiem Entschluß darauf antrage, als wenn sie vorher dazu genöthigt würde."
Vor dem Schluß der Debatte bemerkte Herr Staats-Minister von
Könneritz ferner: „Ueber die Frage, wie das Institut zu nennen sei, wolle
er nichts weiter hinzufügen, sondern nur eine frühere Aeußerung modifiziern:
er habe gesagt, in Meiningen würden die Beamten mit ganz gleicher Wirk
samkeit Friedensrichter genannt; daraus könnte entnommen werden, daß sie
dort nicht zu entscheiden hätten; sic konnten aber, wenn die Parteien eö
wünschen, allerdings auch entscheiden, und zwar so, daß den Parteien nicht
einmal Appellation gegen daS Urtheil gestattet sei. Da übrigens das In
stitut nicht ein für den StaatS-OrganismuS nothwendiges, sondern nur ein
nützliches sei, habe man auch keinen Zwang zu dessen Einführung anwenden
wollen. Dagegen habe es im Sinne der Regierung gelegen, die Gemein
den zur Ernennung von SchiedSmännern aufzufordern, sie zu fragen, zu
welchem Bezirk sic sich zu wenden beabsichtigen, und die anderen
Bezirke aufzufordern, ob sie einzelne Gemeinden bei sich aufnehmen
wollten. Allein die Regierung habe nicht Zwang üben, sondern
den Gemeinden überlassen wollen, von dieser Wohlthat Gebrauch zu
machen. Man möge nur an Gemeinden denken, die wenig Bewohner,
V
Zum Leben Raphael's von Urbino.
Erster Artikel.
In Florenz in der Via delle ruotc Nr. 5817 und 18 steht ein Haus
auS dem Ende deS fünfzehnten Jahrhunderts, jetzt wenig beachtet und nur
von armen Leuten bewohnt, aber anziehend und bedeutend durch den Er
bauer und die Menschen, die darin verkehrt haben. Die unscheinbare, je
doch in guten Linien gezeichnete Außenseite verdeckt ein wohnllch, gemüthlich
künstlerisches Inneres. Ein kleiner Hof mit einer von Säulen getragenen
Loggia, deren Wände und Gewölbe mit verblichene» Fresken geziert sind,
zierliche Brunnen und kleine Fontaine« von Marmor, stattliche Kamine in
einem großen Saale, der zwischen zwei Fenstern etwas höher in der Mitte
ein sogenanntes Studienfenster hat, deuten die Wohnung eines Künstlers
und zwar die eines Baumeisters an, der, große Paläste ausführend, seine
eigene Werkstätte mit beschränkten Mitteln den Regeln der Kunst anzu
nähern sucht.
Dieses Haus und die Bottega, wie die alten, dem Handwerke im besten
Sinne nahestehenden Künstler bescheidener Weise ihre Werkstatt nannten,
gehörte dem florentischcn Zimmermann und Baumeister Baccio d'Agnolo,
und Giorgio Vasari hat uns über diese durch hohe Kunstgeister geweihte
Stätte goldene Worte hinterlassen, die sie beurkunden und durch die ich sie
aufgefunden: „ma per tuttoeeib non lasciando mai la Bottega, vi di-
moravano assai con esso lui, oltre molti cittadini, i migliori e prirnJ
artefici dell’arte nostro, onde vi si faeevano, massirrmmente la vernata,
bellissimi discorsi e dispute d’importanza. II prirao di costoro
era Ralfacllo da Urbino allora giovane, e dapo Andrea Sansovini,
Uillippino, H, Majano, il Cronaca, Antonio c Giulio Sangalli, il Gran-
naccig ed alcuna volta, ma per" di raro Michelagn olo e raolti
giovani siorentini c sorestieri.”
Wir sehen also in dieser Behausung, besonders am traulichen Kamine
im hohen Saale, die beiden jungen Männer, Raphael und den um zehn
Jahre älteren Michael, später die Häupter der Kunst in Rom, mit älteren
und jüngeren Mitstrebendett vereinigt, im Charakter der Zeit und ihres
Volkes eifrig das Studium und den Verkehr ihrer Kunst besprechen. In
den wenigen Worten deS trefflichen Mannes von Arezzo sehen wir die bei
den Hauptfiguren deutlich umrissen. „Der Erste von diesen war Raphael
von Urbino, der damals noch jung war" — also der Erste, der gewöhnlich
von der Gesellschaft war, und der, wie die rmsige Biene, nach vollbrach
tem Tagewerke noch hier unter den tüchtigsten Gesellen den Honig
ihrer „bellissimi discorsi e dispute d’iroportanza” von kunsterfahrencn
Lippen sog. Die meisten der hier Versammelten waren Baumeister und
Bildhauer, so wie der Wirth des Hauses ganz der ersteren Kunst, welche
die anderen bedingt, zugethan war, und so mögen die damals in Florenz
und anderen Städten entstehende» prachtvollen und kunstreichen Bauten
häufig der Borwurf ihrer Gespräche g. vesen sein. Raphael war schon da
mals durch feine Studien in der Perspektive und den noch zu seiner Zeit
fortdauernden Bau des Herzoglichen Pa, alles in Urbino (damals und noch
jetzt dem schönsten seiner Art in der Welt) mit der Baukunst, und wie
sie in jener Zeit betrieben wurde bekannt und sammelte so im Stillen jene
Kenntnisse, die ihm später bei seinen großen und größten Bauten, vom
einfachen Hause und Palast bis zur PeterS-Kirche, so trefflich zu Statten
kamen.
Der ältere und ernstere Michelagnolo zeigt schon die Grundzüge
eines Charakters, der eine gewisse Größe andeutet. Sich selbst genug, geht
er einsame Wege und beehrt die Gesellschaft nur — alcuna volta ma perö
di raro. Sich nur in seiner eigenen Kunst fühlend, zeigt er schon früh
eine gewisse Gleichgültigkeit, ja eine Verachtung gegen die Leistungen An-
derer, die ihn später selbst gegen die Werke Raphael's in Rom ungerecht
machte. Diese Eigenschaften wirkten und entwickelten sich auch in seiner
Kunst, und jene gewisse wilde Großartigkeit, die sich in der Uebertreibung
der Formen und Bewegungen gefällt, welche die'Italiener mit dem „il
terribik“ bezeichnen, mußte später bei geistlosen Nachahmern den Verfall
der herrlichsten Kunstrichtung zur Folge haben.
Raphael in der größten Unbefangenheit eines reinen Sinnes für das
Schöne und Gute,-wo er cs auch fand, benutzte daS Trefflichste und die
Trefflichsten des Alterthums und seiner Zeit. Die ersten Elemente der Kunst
lernte er mit kindlicher Liebe und Gehorsam von einem Vater, der, mit
vorzüglichen Eigenschaften begabt, Maler einer guten Schule und auch
Dichter war. Dieser wollte, wie der Vater unseres einzigen Mozart (der
in seiner künstlerischen Erziehung,'in seiner Empfindung, in seinem frühen
und produktiven Talente bis zu der in gleichem Alter erfolgten schnellen
Auslösung mehr als Eine Aehnlichkeit und Uebereinstimmung mit Raphael
bietet), dasjenige in seinem Sohne ausbilden und verwirklichen, was er
selbst, mit den besten Intentionen und Throrieen begabt, durch den Man-
/
A
gel einer guten Kunst - Erziehung nicht erreichen konnte. Beiden Vätern ist
es wie wenig anderen gelungen, in dem Glanze solcher von ihnen ausge
gangenen Sterne unsterblich mit fortzuleben, da ihre Söhne noch immer
mit der Palme des Höchsten und Erreichbaren in beiden Künsten geschmückt
sind. Nach dem Hinscheiden deS als trefflichen Maler nicht genug erkann
ten Giovanni Santi wurde der damals 11jährige Raphael von seinen
Vormündern in die Schule des Pietro Vannucchi aus Citta delle Pieve,
aber in Perugia ansässig (daher sein Beiname Perugino), geführt, und
so ist die schöne und poetische Erzählung Vasari's, wie der alte Santi
seinen Sohn zu Pietro Perugino bringt, durch-die mit Original-Doku
menten beurkundeten Forschungen dcS verewigten Pater Pungilioni jetzt
nur eine schöne Erfindung des im seinen Traditionen nicht immer ganz zu
verlässigen Aretiners geblieben. Wie Raphael in Urbino geboren und un
ter dem Einflüsse deS gelehrten und kunstsinnigen Hofes und unter der ver
ständigen Leitung eines liebevollen Vaters erzogen werden mußte, so mußte
er auch in die strenge und tüchtige Lehre Pietro's kommen, um der erste
Maler aller Zeiten zlk' werden.
In dieser Schule machte der Jüngling von Urbino Werke, welche
man, wie Vasari sagt, für die dcS Meisters halten würde, wenn nicht eine
gewisse Anmuth, Geist und Schönheitssinn einen heimlichen Genius ver
riethe, der sich einem tüchtigen Meister unbedingt und treu ergehen hatte.
Als er die Leitung deS Meisters verließ, machte er für Citta di Castello
und andere Orte seine ersten selbstständigen Arbeiten und ging dann von
Perugia nach Florenz, wo ihm die schöne Stadt und die freundlichen Be
wohner sehr gefielen/ hier wirkte der ganze Chor der alten und neuen
Schule und Meister aus ihn und seine Kunstbildung. Vor allen mußte ihn
der geistverwandte Masaceio, dessen höhere Potenz Raphael wurde, anziehen,
und er setzte sich mit Anderen in die berühmte Kapelle bei carmine, um
nach seinen bewegten Gestalten zu zeichnen. Adam und Eva in den Log
gien treu wiederholt, sind ein Denkmal seiner Verehrung für diesen Genius,
der die Kunst und den naturgemäßen Ausdruck um ein Jahrhundert weiter
brachte und in der Blüthe seiner Jahre starb, wie er. Von der lebendigsten
Einwirkung war ihm die Freundschaft eines Mönchs, des kunstreichen Fra
Bartolomeo della Porta im Dominikaner-Kloster San Marco, wo auch
Fra Savanorola und Fra Leato Anaelico da Fiesole gewohnt, Beide von
ihm verehrt. Von diesem lernte er die Kunst deS Helldunkels, der größeren
Schattcnmaffen, breiteren Styl in Formen und Gewändern, letztere nach