Full text: Zeitungsausschnitte über Raphael

essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 43 
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kann die Zeit so wenig von seiner Stärke etwas nehmen, 
daß er vielmehr von Tage zu Tage zunimmt. Es giebt 
keine Zeit, keinen Ort für mich, wo mein sehnsüchtiges 
Verlangen nicht nach meinem trefflichen Ziegler gerichtet 
wäre. Als ich aber nach Italien kam, nahmen mich das 
Vaterland und persönliche Angelegenheiten sogleich in 
Anspruch. Denn ganz unglaublich verkehrt ist in meiner 
Abwesenheit Alles gegangen und so verwickelt geworden, 
daß ich wohl sehe, es ist kein leichtes Stück Arbeit, es 
wieder zurecht zu bringen. In den Versuchen damit 
habe ich etwa anderthalb Monate zugebracht; aber da die 
Sache sich schwieriger zeigte, als daß mau sie in weni 
gen Tagen hatte abthun können, und mich meine Ge 
schäfte in Nom nicht bloß riefen, sondern auch drängten, 
so langte ich etwa den 1. Oktober in Rom an. Die 
Gunst vieler Freunde und ausgezeichneter Männer em 
pfing mich, und so glaubte ich allem Streit und den 
Processen, die mich hieher getrieben hatten, ein Ziel 
setzen zu können. Aber die Sache nahm eine andere 
Wendung; denn als die, welche mich in meiner Abwe 
senheit angegriffen hatten, meine Gegenwart merkten, 
so standen sie zwar von ihren Angriffen ab, aber sie 
versteckten sich, wie die wilden Thiere im Walde, wenn 
sie ihren Kräften nicht trauen. Jetzt habe ich also weder 
Befehdung noch Vertrag mit ihnen, und ich befinde 
mich in der seltsamen Lage, nicht im Kriege zu sseyn, 
und doch, keines Friedens zu genießen, und sehe Wich 
genöthigt, entweder die Sache fallen zu lassen, oder 
meinen Gegner, der Ausflüchte sucht, zu bitten und 
mich auf unbillige, weil erbetene Bedingungen einzu 
lassen, oder ich muß abwarten, daß sich der Kampf er 
neuert, sobald ich die Wache verlassen habe, d. h. nicht 
mehr gegenwärtig bin. Sieh, liebster Freund, so steht 
es mit mir; ich darf weder Frieden halten noch streiken. 
Indessen habe ich einen Lohn für alle meine Mühen 
daran, daß mir in dem Licht des hiesigen Aufenthalts 
auf dieser Warte der Welt und im Umgänge mit den 
ausgezeichnetsten Menschen zu leben vergönnt ist. Denn 
glaube ja nicht, daß irgend wo in der Welt sich ein sol 
cher Reichthum von Geist und Talent und eine so er 
giebige Frucht geistiger Bestrebungen findet, als eben in 
Rom. Viele aber giebt es hier, deren Umgang mich in 
dem Grade erfreut, daß ich mir für mein ganzes Leben 
kein größeres Glück wünschen oder hoffen mag. Unter 
Allen ist mir Hieronymus Oleander der liebste; er ist 
der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache 
kundig, und kurz vor meiner Ankunft hat ihn der Papst 
aus eigenem Antriebe zum Bibliothekar gemacht, nach 
dem Ableben des frommen und gelehrten Zenobius 
Azaiolus. Der nun fördert mir täglich große Schätze 
aus der palatinischen Bibliothek zu Tage. Ferner nenne 
jch Dir den Kardinal Aegidius, einen Mann von sel 
tener Redlichkeit und ausgezeichneter Berühmtheit; er 
hat die Geheimnisse des Porphyrius und die Theologie 
des Proklus in's Lateinische übersetzt. Welch eine Ge 
lehrsamkeit hat dieser Mann, o ihr guten Götter! und 
welch einen scharfsinnigen Geist, die verborgenen Dinge 
des Alterthums an's Licht zu bringen! Dann lebt hier 
Fabius aus Ravenna, ein Greis von stoischer Bieder 
keit; ob er mehr Humanität oder Gelehrsamkeit besitze, 
möchte schwer zu entscheiden seyn. Ihm verdankt man 
es, daß nun der vollständige Hippokrates reines Latein 
redet und seine alten Sprachfehler abgelegt hat. Und 
die in aller Welt seltene Eigenschaft besitzt dieser ehr 
würdige Mann, daß er sich so wenig aus dem Gelde 
macht, daß er Angebotenes ablehnt, wenn ihn nicht die 
höchste Noth zwingt, etwas anzunehmen. Er hat übri 
gens ein monatliches Einkommen von Papst Leo, aber 
dies pflegt er seinen Freunden und Verwandten zu geben. 
Er selbst lebt von Kohl und Lattig, ein pythagoreisches 
Leben, in seiner engen Behausung, die man mit Recht 
das Faß des Diogenes nennen könnte, mit wissenschaft 
lichen Studien nicht blos fortwährend beschäftigt, son 
dern in ihnen ersterbend, und recht eigentlich ersterbend, 
indem er sich, schon achtzig Jahre alt, eine sehr schwere 
und gefährliche Krankheit zugezogen hat. Diesen ernährt 
und erzieht gleichsam (alit et quasi educat) Raphael von 
Urbino, der sehr reich ist und beim Papst in großem 
Ansehen steht, ein junger Mann von seltener Herzens-- 
güte und zugleich von bewunderungswürdigen Geistes 
gaben. Er hat ganz ausgezeichnete Eigenschaften; unter 
den Malern muß man ihn ganz unbedenklich den Für 
sten nennen, mag man auf die Theorie oder auf die 
Praris sehen. Architekt vollends ist er mit einer solchen 
Meisterschaft, daß er Dinge erfindet und vollendet, an 
deren Möglichkeit die geschicktesten Köpfe verzweifelt 
hatten. Vom Vitruv will ich gar nicht reden; er er 
klärt ihn nicht allein, sondern er vertheidigt oder wi 
derlegt ihn mit unbestreitbaren Gründen und zugleich 
mit so heiterm Humor, daß in seiner Widerlegung keine 
Spur von hämischer Kritik sichtbar ist. Jetzt nun ist er 
mit einer bewunderungswürdigen Arbeit beschäftigt, die 
der Nachwelt unglaublich vorkommen wird (von der va 
tikanischen Basilika, deren Bau er leitet, brauche ich 
bei dieser Gelegenheit kein Wort zu sagen), nein, er 
giebt von dem ganzen Rom selbst eine Darstellung, 
welche die Stadt in der Gestalt, die sie im Alterthum 
hatte, in ihrem damaligen Umfange und den gegensei 
tigen Verhältnissen der Theile großentheils wieder her 
gestellt zeigt. Dazu hat er in den hohen Bergen und 
an tiefgelegten Fundamenten Ausgrabungen anstellen 
lassen , und die Resultate immer mit den Beschreibungen 
und Berechnungen, die sich in den alten Autoren fin 
den, verglichen. Durch diese Arbeit hat er den Papst 
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Leo und alle Römer mit einer solchen Bewunderung er 
füllt, daß sie Alle zu ihm aufschauen, wie mit der Ver 
ehrung vor einem höher» Wesen, das vom Himmel ge 
sandt ist, die ewige Stadt zu ihrer ehemaligen Majestät 
wieder herzustellen. Und dabei ist er so weit entfernt, 
hierauf stolz zu seyn, daß er noch viel mehr sich entge 
genkommend und freundlich gegen Alle beweist, von 
Jedem Erinnerungen annimmt und sich gerne in Ge 
spräche einläßt; kein Mensch kann so große Freude dar 
über haben, seine Gedanken bezweifelt oder zum Gegen 
stände von Erörterungen gemacht zu sehen. Zn lernen 
und zu lehren hält er für den Lohn des Lebens. Den 
Fabius ehrt und hegt er gleichsam wie seinen Vater 
und Lehrer; ihm legt er Alles vor, in seinem Rath 
findet er die höchste Befriedigung. 
Doch damit auch die Geschichte unserer eigenen Zeit 
nicht leer ausgehe, schreibt sie Paul Iovius, der, was 
die Bewunderung erhöht, zugleich ein Arzt vom ersten 
Range ist, mit so viel Klarheit, Gelehrsamkeit und 
Schönheit (zehn Bücher hat er davon schon herausgege 
ben), daß ich mich schäme, über einen Mann von solcher 
Kunst der Rede so kunstlos zu schreiben rc. rc. 1 
1 Nach dem lateinischen Original in Caelii Calcagnini 
Ferrariensis, Protonatarii apostolici, Opera aliquot. Basi- 
Icac 1544. Folio. 
(Schluß folgt.) 
Die Königshalle in Dergen. 
Kopenhagen. 
Professor Dahl hat schon vor mehreren Jahren auf 
die norwegische Königshalle aufmerksam gemacht und das 
hohe Interesse nachgewiesen, das die edle Architektur 
dieses alten Bauwerks in Jedem erwecken muß, der in 
einem architektonischen Werke mehr gewahrt, als eine 
bloße Zusammenfügung von Steinen. Für die Kunstge 
schichte ist aber dieses Gebäude von ganz besonderer Be 
deutsamkeit, weil hier die romantische Kunst, die in 
Norwegen sonst nur den Spuren des Christenthums 
folgte, zum ersten Male bei einem öffentlichen Bau 
von weltlichem Charakter in Anwendung gekommen ist. 
Ueberdies hat Norwegen eben dadurch vor den andern 
skandinavischen Reichen etwas voraus; denn in Schwe 
den sowohl wie in Dänemark sucht man vergebens nach 
einem architektonischen Werke solcher Art und solches 
Alters, wenn auch die bisherige Schätzung des Alters 
der Königshalle übertrieben war. In dieser Beziehung 
bringt der in Christiania erscheinende „Constitutionelle" 
einige Data, die ohne Zweifel auch außerhalb Norwegen 
von Interesse sind. Bisher ward, nach einer Conjektur 
in Absalon Pederscns Geschichte von Norwegen, als Zeit 
der Erbauung gewöhnlich der Anfang des 12. Jahrhun 
derts angenommen (1107—1110). Diese Annahme ist 
aber schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil damit 
dieses Bauwerk zu einer ganz isolirten, dem übrigen 
Culturzustande Norwegens durchaus widerstreitenden Er 
scheinung gestempelt würde. Bleibt man aber nicht bei 
Abs. Pedersen stehen, geht man weiter zurück in den 
nordischen Geschichtsquellen, zu Sturla Thordssön,* 
so wird man finden, daß die Königshalle um die Mitte 
des 13. Jahrhunderts von Hakon Hakonsön erbaut, und 
daß sie namentlich bei dem Hochzeitfeste, das» dieser 
König seinem Sohne Magnus Lagabäter zu Ehren gab, 
am 11. September 1261 als königliches Festlokal einge 
weiht worden ist. Vielleicht ward sie damals schon als 
Versammlungsort der Volksvertreter oder des Lagthings 
benutzt. Von Magnus Lagabäters Zeit an (1263) diente 
dies Lokal nicht allein zum Lagthing, sondern auch zu 
andern öffentlichen Versammlungen. In den bergen- 
schen Stadtgefetzen wird es im I. 1274 „Mariä Gilde 
haus" genannt, woraus man schließen kann, daß es 
noch vorzugsweise seine ursprüngliche Bestimmung hatte; 
in den Urkunden des 14. Jahrhunderts heißt es „breida 
siofa“ (breite, geräumige Stube, Saal), und noch später 
„Rathhaus." Hier war es auch, wo Christian II. im 
1.1507 den großen Ball gab, auf dem er mit der „Dy- 
veke" (dem Täubchen von Amsterdam) tanzte, und wo 
er, wie Holberg sagt, in einer Nacht die Kronen der 
Reiche Norwegen und Schweden v er ranzte. Als Ge 
richtsaal ward das Gebäude nach 1556 nicht mehr be 
nutzt; doch ob später vielleicht noch andere öffentliche 
Versammlungen dort gehalten wurden, läßt sich nicht 
mit Bestimmtheit ermitteln. Vermuthlich war es aber 
um 1570, da Abs. Pedersen sein Buch schrieb, noch nicht 
so entweiht, als später, da man es zu einem Kornma 
gazin einrichtete. Jetzt aber ächzet die schöne Königs 
halle, die Hakon Hakonsön mit Stolz als ein feiner 
würdiges Denkmal für die Nachwelt betrachtete, unter 
einem spießbürgerlichen rothen Ziegelsteindach, und in 
dem Saale, wo einst des Wortes Macht für Norwegens 
Wohl und Freiheit kämpfte, da piepen jetzt die Mäuse 
und Ratten in den Kornhaufen. — „Das ist die Ge 
schichte eines der schönsten Werke norwegischer Baukunst, 
— wer erblickt nicht darin dieselbe Ironie des Schick 
sals, die wir neulich in dem Bericht über den norwegi 
schen Bildhauer Mich elfe n beklagten?" 
1 Hakon Hakonsdns Saga, Cap. 308 f., in Aalls Ues 
berscyung des Snorro, Cap. 3 3 5. 
B. 
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