Kunst- und Literaturgeschichte.
147
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 43
Aber noch mehr. „Wir erkennen," sagt der Verfasser, „bei Beschauung des
Gemäldes allerdings, wie vortrefflich Raphael berathen war von Seiten philosophisch
gebildeter Männer, sehen aber auch, in welch genialer Weise er das ihm zur Ver
fügung stehende Material bewältigte, es künstlerisch gestaltend.
„Hätte Raphael als Abschluß seiner Studien über die griechische Philosophie einen
Aufsatz geschrieben, um jene historischen Kenntnisse und Anschauungen zusammenzustellen,
über welchen sein Geist bei der Componirung des Gemäldes wirksam schwebte, und
wären wir im Besitze solcher Ausschreibungen, dann hätten wir einen überaus werth
vollen Beitrag zur Erklärung seines Bildes und zugleich den urkundlichen Beleg
wirklichen Besitzes der in Rede stehenden Kenntnisse.
„Wir haben jedoch einen anderen, diesem wenigstens ebenbürtigen Beweis. Der
noch nicht dreißigjährige Künstler beantwortet dieFrage endgültig
durch sein Gemälde. Denn wer es versteht, Pythagoras, Sokrates, Plato und
Aristoteles mit so treffender Charakterisirung ihrer Philosophie zu zeichnen, wie Raphael
gethan, besitzt die erforderliche Kenntniß, gleichviel ob wir die Personen und
Bücher nennen können oder nicht nennen können, die er in seinen Vorstudien zu Rathe
gezogen. Haben wir die Wirklichkeit vor Augen, so fällt der Zweifel an der
Möglichkeit von selbst weg."
Diesen Aufsatz aber hat Raphael nicht geschrieben! Und was die Wirklichkeit
anlangt, so beruht sie doch nur auf den Namen, welche von einer Anzahl von Leuten,
die wie Bole denken, den Gestalten der Schule von Athen erst-verliehen worden sind.
Man kann daran glauben, man braucht es aber nicht'.
Bole geht noch weiter. Er glaubt einen gewissen Zusammenhang der Anschauungen
Raphaells mit der in unserer Gegenwart herrschenden Auffassung der Entwicklung der
griechischen Philosophie annehmen zu dürfen.
Diese Betrachtungsweise hat etwas historisch Schönes, Anziehendes, Fruchtbares, etwas
mit persönlicher Theilnahme Erfüllendes, das man gern gelten läßt. Wer möchte
dagegen sein, daß die Dinge sich so verhielten? Den Kunstwerken großer Meister
gegenüber ist Jeder in seinem Rechte, der die Verkörperung des Bedeutendsten in
ihnen erblickt. Und schließlich, Vafari ist für Bole's und seiner Genossen Deutung der
Figuren eingetreten. Wenn wir unserestheils für die des gleichzeitigen Kupferstiches
sind, so stände gutes Recht gegen gutes Recht.
Dies jedoch will Bole nicht anerkennen. Ja einer Anmerkung zu Seite 2
weist er den Gedanken, „der im Areopag Christum verkündende Paulus" könne
hier dargestellt worden sein. zurück, weil die über dem Gemälde thronende Figur der
„Philosophie" dies nicht erlaube. Paulus Rede im Areopag hat das Eigenthümliche
aber, daß der Apostel den Athenern klar machen will, seine Lehre sei nichts Andres, als was
ihre eigenen Dichter längst gesagt hätten. Einen schöneren Abschluß der griechischen
Philosophie aber, als daß sie zu einem Theile der christlichen Lehre gemacht wurde,
gab es nicht, und dies gerade war die Ansicht der Jahrhunderte von Dante bis
Raphael.
9. Bayerische Bibliothek. Begründet und Hera lsgezeben von Karl von Reinhard -
stoettner und Karl Trantmann. Dritter Band.
Franz Graf Pocci, ein Dichter- und Künstlecleben, von Hyacinth Holland. Mit
sechsundzwanzig Bildern von Franz Graf Pocci und dessen Bildniß. Bamberg,
Buchner'sche Verlagsbuchhandlung. 1890.
Der Schluß des Buches lautet:
„Sehr wahr und schön sind die Zeilen der „Herbstblätter", welche wir vollständig
aus Franz Pocci in Anwendung bringen können, ein tröstendes Motto für alles edle
Streben und Wollen:
Und hast Du eins nur auf der Welt gelassen,
Für das ein einz'ger Mensch Dir bleibend dankt,
So fürchte nicht, daß Du umsonst gelebt."
10*