© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 41
beispielsweise die Jesuitenkirchen in Köln, Koblenz und Luxemburg
darthun, bemüht haben, die von der „modernen Cultur" perhorres-
cirte Gothik der Spätrenaissance einzuimpfen, allerdings ein eben so
undankbares wie erfolgloses Bemühen.
Das bisher Dargelegte wird wohl schon genügen, um Unbefangenen
zu zeigen, daß der Ausfall des Herrn Grimm gegen meine Rede
kein glücklicher war, sondern „umgekehrt". Anzuerkennen ist übri
gens, daß er insofern wenigstens sich von der Mehrzahl seiner Ge
sinnungsgenossen unterscheidet, als er hinsichtlich unserer ästhetischen
Zustände keine Schönfärberei treibt, vielmehr ausdrücklich „die
heutige Verwirrung in Sachen des künstlerischen Geschmackes" constatirt.
Er tröstet sich durch einen'„Hinblick auf die Natur" so wie even
tuell damit, daß uns „immer noch die Muster der griechischen
Kunst als die Denkmale von der Thätigkeit eines dem Deutschen
nahe verwandten Volkes bleiben". Ich bin nicht grausam
genug, um auch nur den Versuch machen zu wollen, dem Hrn.
Grimm diesen Doppeltrost zu rauben. Dagegen muß ich mich aber
noch verwahren, daß ich die heutige Verwirrung in Sachen des
künstlerischen Geschmackes als „ein erschreckendes Phänomen mit
rathlosem Erstaunen betrachtete". Wie meine von Hrn. Grimm an
gefochtene Rede zeigt, verzweifele ich keineswegs und weiß ich auch
Rath. Mein Rath ging und geht einfach dahin, dem Beispiele der
Engländer zu folgen, welche unter möglichster Beiseitesetzung der
Renaissance- und der Zopfperiode „wieder an das 14., 15. und 16.
Jahrhundert, mit anderen Worten, an die guten alten christ
lich-germanisch en Traditionen anknüpfen". Daß die
alten Griechen ein uns Deutschen nahe verwandtes Volk seien,
wie Hr. Grimm sagt, mag in Prosessorenkreisen für eine ausge
machte Wahrheit gelten. Ich gestehe aufrichtig, den bezüglichen
Stammbaum noch nicht geprüft zu haben; indeß glaube ich doch
wenigstens mit ziemlicher Sicherheit annehmen zu können, daß die
großen mittelalterlichen Meister und das Volk, aus welchem die
selben hervorgegangen sind, uns noch etwas näher verwandt sind,
als die — alten Griechen.
Berlin, Februar 1876.
Dr. A. Reich en sperg er.