Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Sonstige Veröffentlichungen

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 41 
zur Besserung des Lebens vorzutragen. Demzufolge sprach denn 
unsern trefflichen Meister auch die „newe Fatzon" an, welche die „Re 
formatoren" der alten Religion zu geben trachteten, und übte deren 
seueriger reichbegabter Führer Martin Luther eine bedeutende An 
ziehung auf ihn, wie aus Willibald Pirkheimer, aus. Es bedurfte 
jedoch nur weniger Jahre, um Beide, wie noch gar manchen andern 
Humanisten, von den Consequenzen der neuen Lehre zurückschrecken 
zu machen, wie dies ebenwohl aus Pirkheimer's eigenen, n. a. in 
einem Briefe desselben an Tscheck enthaltenen Worten dargethan 
werden könnte, wenn solche Beweisführung nicht zu weit ab von 
dem hier in Frage stehenden Streitpunkte führte. Ich weise daher 
nur noch Herrn Grimm auf die von ihm selbst im Allgemeinen 
citirten Tagebuchnotizen Dürcr's zurück, welche ergeben, von welker 
irrigen thatsächlichen Voraussetzung insbesondere die „, t e- 
rige Anrede an Luther" ausging, die Herr Grimm H stark betont. 
Es heißt dort: „Am Freitag vor Pfingsten (17. Mai im 1521. 
Jahr bekamen wir Mähr gen Äntorff (Antwerpen), daß man Martin 
Luther so verrätherisch gefangen hätte. Denn da ihm des Kaisers Karl 
Herold mit dem kaiserlichen Geleit war zugegeben, dem ward ver- 
trartt. Aber sobald ihn der Herold bracht bei Eisenach an einen 
unfreundlichen Ort, sagte er, er bedürfe sein nicht mehr und ritt 
von ihm. Alsbald waren zehn Pferd da, die führten verrätherisch 
den verkauften frommen, mit dem h. Geist erleuchteten Mann hin 
weg. der da war ein Nachfolger des wahren christlichen Glaubens, 
und lebt er noch oder haben sie ihn gemordet, das ich nicht weiß, 
so hat er das gelitten uni der christlichen Wahrheit willen" u. s. w. 
Nichts natürlicher, als daß der so edel denkende Dürer, über solchen 
schmählichen „Verrath" empört, sich für den vermeintlichen Mär 
tyrer enthusiasmirte. Aber auch in Beziehung auf diesen „Verrath", 
welcher glücklicherweise nicht, wie so vieles andere gegen die „Pa- 
pisten" Ersonnene, zu einer stehenden Geschichtslüge geworden ist, 
fielen dem Meister die Schuppen von den Äuget», da es noch bei 
dessett Lebzeiten bekannt ward, daß nicht die Anhänger des „un 
christlichen Papstthums", sondern der Protector Luther's, Kurfürst 
Friedrich von Sachsen, die Entführung — nach der Wartburg — 
in's Werk hatte setzen lassen. Wenn Herr Grimm die nach der 
oben gedachten „feuerigen Anrede" Dürer's an Luther von Ersterem 
gefertigten Apostelbilder für das „Großartigste erklärt, was ein 
deutscher Künstler jemals geschaffen hat", so handelt es sich da um 
eine Geschmacksfrage, über welche ich nicht streiten will; so viel aber 
ist jedenfalls nicht bestreitbar, daß diese Bilder ganz denselben 
Geist athmen, welchen die frühern dem Religionsgebiete angehören 
den Dürer'schen Werke athmen. 
Zu einem Hauptanstoß gereicht dem Herrn Grimm meine Aeuße 
rung, daß der heutige Kunstverfall, wie solcher namentlich auf dem 
Gebiete der Architektur hervortritt, vorzugsweise daher rühre, weil 
die Deutschen mit den „guten alten Traditionen" gebrochen haben. 
Er stellt dagegen seinerseits ans, daß „nur dadurch^ daß das deut 
sche Volk am Schluffe des vorigen Jahrhunderts mit seinen 
alten Traditionen brach, die letzte Blüthe der deutsck' i, 
in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, möglich geworden sei". 
Wer sich nicht durch ein Spiel mit Worten täuschen läßt, wird sick- 
gewiß höchlichst darüber wundern, daß Herr Grimm das wirre 
Durcheinander von Stilen oder vielmehr Modelauncn, welches vort 
Italien und Frankreich her seit der „Renaissance" unser Vaterland 
heimgesucht hat, zu einer deutschen Tradition stempelt. Die 
„Wiedergeburt deutscher Kunst in der ersten Hälfte unseres Jahr 
hunderts" soll sich nach Hrn. Grimm in Italien vollzogert haben, 
„wenn ich die Namen Carstens, Cornelius, Overbeck, Rauch, Schinkel 
ansspreche," sagt Herr Grimm, „so brauche ich nichts weiter hinzuzu 
fügen". Allerdings haben diese Künstler mit der Roccoco-Tradition 
gebrochen; aber leider haben dieselben an unsere alten deutschen 
Traditionen nicht wieder angeknüpft, eben weil sie, statt in unserem 
deutschen Vaterlande, in Italien ihr Muster gesucht haben. Darum 
ist denn auch jene Morgenröthe gar bald wieder im Nebel ver 
schwunden, namentlich, was die Architektur, den Gradmesserches Kunst 
lebens im Volke, anbelangt. Welcher Architekt baut heutzutage noch 
in pseudoantikem Schinkel'schen Stile? Schinkel scheint auch selbst 
schon gefühlt zu haben, daß die von ihm gepflegte exotische 
Pflanze in unserem deutschen Boden auf die Dauer nicht gedeihen 
werde, und hat deswegen sich mehrfach in der Gothik versucht. 
Allein die Gothik läßt sich nicht nebenbei treiben; sie erfordert den 
ganzen Mann und sozusagen ein ganzes Leben, weshalb denn 
auch' unsere, über alles Mögliche durchexaminirten akademischen 
Architekten nur abgeschmackte Aftergothik zu produciren vermögen. 
Daß Herr Grimm es sich nicht versagen konnte, wenigstens neben 
her noch dem „Jesuitenstil" einen Stoß zu versetzen, ließ sich leicht 
vorhersehen. Ich werde mich auch nicht bemühen, dem Herrn Grimm 
klar zu machen, daß die Bauwerke der Jesuiten unter allen gleich 
zeitigen in Bezug auf Solidität und Technik hervorragen. Selbst 
abgesehen davon, daß Jedweder, der zu den Aufgeklärten zählen 
will, wie die Jesuiten, so auch alles, was von denselben herrührt, 
ohne rechtliches Gehör zu verurtheilen gehalten ist, steht hier den 
Jesuiten noch der besondere Umstand im Wege, daß sie sich, wie
	        

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