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Literarische Rundschau.
Herrn an Grimm's „Homers
sNachdruck untersagt.)
Homer. Ilias, erster bis neunter Gesang 1890; zehnter bis letzter Gesang 1895. Von
Her man Grimm. Berlin, Wilhelm Hertz.
Man liest bisweilen auf modernen Büchertiteln das Wörtchen „unzeitgemäß".
Es liegt eine unschuldige Koketterie darin, die Jeder leicht durchschaut. Die
Arbeiten, denen die Bezeichnung vielleicht wirklich zukommt, Pflegen nicht an solche
Spielerei zu denken, denn sie sind zu ernst. Das Buch, dem diese Zeilen gelten,
wird dem Schicksal nicht entgehen, daß man ihm von vielen Seiten die Existenz
frage stellt, ehe man mehr als ein paar Seiten darin gelesen hat. Es wird auch
nicht an solchen fehlen, die ihm die Existenzberechtigung absprechen eben im Sinne
des Wortes „unzeitgemäß". Durch die siebenhundert Seiten des Werkes selbst
aber geht auch nicht der leiseste Klang, der dem vorbauend entgegen käme: in jeder
Zeile ist es ein tapferes, im besten Sinne selbstbewußtes Buch, das auf den Plan
tritt, um seinen Mann zu stehen, auch wenn es allein steht.
Ein Werk der Dankbarkeit nennt Grimm seine Arbeit. Dankbarkeit gegen die
Dichtung, die ein Menschenleben lang als einheitliches Kunstwerk vor ihm gestanden
hat. „Mit der Homer-Forschung stehen diese Aufzeichnungen außer Zusammenhang."
So wird der Skeptiker glauben, es handle sich bloß um eines jener Werke, wo ein
reifer Mann sich noch einmal zu seinen Jugendidealen zurückträumt — mit einem
wehmüthigen „trotzalledem" den Knoten noch einmal trennt. Aber das Buch ist
in Wahrheit unvergleichlich viel mehr als eine solche subjective Elegie, als ein
biographisches Erinnerungsblatt, das uns lieb und theuer ist, weil es ein Erinnerungs
blatt aus dem Leben von Herman Grimm ist. Es ist ein Bekenntniß, dem man
ansieht, wie es die Jahre gereist haben — lange, arbeitsreiche Jahre. Das aber
jetzt hervorbricht mit der ganzen Kraft, wie man sie eher in einem Jugendwerke
selbst suchen würde.
Ich möchte es tiefer fassen, als im Sinne einer Anklage, wenn ich sage: in
der „Homer-Forschung" (um Grimm's Wort zu gebrauchen) stecke etwas Greisen
haftes. Es ist das Greisenhafte, das nach einem unabänderlichen Gesetz der strengen
Forschung anhaftet, wenn man sie mit der Dichtung vergleicht. Dem Historiker
und Philologen gegenüber ist der Dichter ein Jüngling, auch wenn er graue Haare
hat. In dem Buche Grimm's spricht der Dichter über eine Dichtung. Die
Dichtung ist uralt, und der Dichter keiner von den jungen. Aber in seiner
Sprache, seiner Auffassung steckt der ganze Zauber der Jugend, ihr Muth, ihre
Farben, ihre Freudigkeit der Bewunderung — und auch ihre Kraft, Dinge un
mittelbar und intuitiv sicher zu erschauen, denen das Alter nur auf weiten Umwegen
und inmitten aller Jrrthuinsmöglichkeiten unsicher tastender Mühe nahe kommt.
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