Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Homer

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Inaug. - Diss. vom Jahre 1895. Tübingen, 1895. 
30 S. 8°. 
Der Vf. bietet vier unter einander nicht zu 
sammenhängende Kapitel einer grösseren Arbeit, 
die er später ganz zu veröffentlichen gedenkt. 
Im i, Kap. sucht er zu erweisen, dass die durch 
Relative eingeleiteten Ausrufungssätze nicht an 
ders entstanden sind als die Relativsätze über 
haupt, d. h. dass das einleitende Pronomen ur 
sprünglich ein Demonstrativum war und dass der 
durch dieses Demonstrativpronomen eingeleitete 
Satz dazu diente, eine vorhergehende Interjektion 
oder einen Ausruf zu erläutern; dass aber die 
so entstandenen Ausrufungssätze erst nach Homer 
selbständig und ohne Bezug auf einen vorausge 
gangenen Ausdruck des Affekts verwandt werden. 
— Kap. 2 bringt die Beobachtung, dass bei 
Aeschylus Temporalsätze mit tue; dem Hauptsatze 
vorangehen, (Kausalsätze ihm folgen; ebenso bei 
Thukydides Temporal- bezw. Causalsätze, die 
durch STtsl eingeleitet sind. - Das 3. Kap. gilt 
den conjunctivischen Relativsätzen mit oder ohne 
dv; der Vf. statuirt zuerst zweimal auf Grund 
apriorischer Betrachtung einen Bedeutungsunter 
schied, der sich eigentlich finden müsste, um 
jedesmal gleich nachher zuzugestehen, dass er 
sich nicht überall nachweisen lasse; dann endlich 
kommt er auf den richtigeren Gedanken, dass die 
Gründe für die Hinzufügung von äv innerhalb 
der uns bekannten Sprachstufen »in formis et 
numeris« liegen, —- Das letzte Kap. handelt 
über das Vorkommen der mit t beginnenden 
Formen des Relativums und das von oaxs; es ist 
offenbar ausgewählt, weil der Vf. hier eine Text 
besserung vorbringen zu können glaubt: Aesch. 
Suppl. 64 will er dt’ als d xs quaeque fassen, 
was freilich einen Sinn giebt, aber schwerlich 
einen, der der Stelle angemessen wäre. »Diu 
mehercle in ... . sententiis virorum doctorum 
legendis, intellegendis, examinandis desudavi«, sagt 
der Vf. 8. 19; ich kann dasselbe von seiner 
Arbeit sagen, die in einem selbst für unsere Zeit 
ungewöhnlich schlechten Latein geschrieben ist. 
Kiel. Ewald Brühn. 
Theodor Birt, Eine römische Litteraturgeschichte 
gesprochen in fünf Stunden. Marburg, Eiwert, 1894. 
210 S. kl. 8°. M. 2,40. 
Die Anzeige dieses Büchleins hätte nicht ein 
Fachgenosse schreiben sollen, sondern ein Laie. 
Denn für ein Laienpublikum waren die Vor 
träge bestimmt, die hier unerweitert veröffent 
licht werden. Ihr Werth bemisst sich im 
Wesentlichen nach der Wirkung, die sie auf 
Laien ausüben. Können sie deren Interesse er 
wecken, sie etwa gar veranlassen, sich näher 
mit römischer Litteratur zu beschäftigen, so hat 
der Vf. einen Lohn dahin, der ihm überreichlich 
aufwiegen darf, was etwa die Fachgenossen an 
seinem Werkehen zu mäkeln hätten. Und dass 
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wenigstens humanistisch Gebildete die lebhafte, 
warme und erwärmende Darstellung mit Ver 
gnügen lesen, habe ich erfahren. 
Freilich, hie und da mag wohl auch der 
gebildete Laie sich an Dem und Jenem stossen, 
was den Philologen unangenehm berührt. Manche 
Burschikosität, manches nicht ganz geschmack 
volle Bild fällt jetzt gedruckt unangenehmer auf, 
als es beim Hören der Fall gewesen sein mag. 
Wer seinem Publikum einen so hohen Begriff 
von der römischen Klsssizität geben will, wie 
der Vf. — ich komme darauf noch zurück —, 
der sollte nicht den Horaz schildern: »bescheiden 
und doch ganz seine Selbstständigkeit wahrend, 
übrigens ein kleines Kerlchen, später stark 
untersetzt«. Ja selbst die Charakteristik des 
Plautus »ein kleiner fideler Plebejer, — diese 
muntere Seifensiedernatur« wirkt auf mich ver 
letzend, der ich allerdings auch dem grossen 
Publikum nicht die Meinung beibringen würde, 
des Plautus Versbau sei »holpricht, wie Waldes 
grund«. Der Leser wird freilich in dieser 
Meinung bestärkt werden durch die Uebersetzung 
aus Plautus S. 32 ff., in der dem viertletzten 
Verse sogar ein ganzer Fuss fehlt. Wie in die 
sen Charakteristiken von Dichtern, so scheint mir 
in manchem Bilde der Vf. nicht glücklich, 
bald nicht gewählt genug, bald gesucht. 
»Der Zeitgeist lief an ihm herunter, wie das 
Wasser an der Otter«. Livius’ Geschichte 
»war ein Riesenwerk in 142 Büchrollen, gleich 
sam ein Riesenbau auf 142 Säulen«. Aehnliches 
findet sich öfter. 
Und da ich nun einmal ins Beanstanden ge 
kommen bin, so seien noch ein paar leichte In 
korrektheiten herausgehoben. Nach S. 9 sollen 
den saturnischen Vers auch die Osker gebraucht, 
vielleicht sogar die Römer von den Oskern ge 
lernt haben. Ich dächte, wie es um die einzigen 
Saturnier steht, die man bei den Oskern hat 
finden wollen, die der Censorinschrift vonBovianum, 
musste seit Pauli’s Altitalischen Studien II Jeder 
mann klar sein. »Die Fama sagte schon, als 
Terenz seine Stücke inszenirte, Scipio und Lälius, 
die grossen Herren hätten an ihnen mitge 
schrieben« (S. 39). Aber dass von den beiden 
im Jahre 160 nicht gesagt werden konnte: 
Quorum opera in bello, in otio, in negotio Suo 
quisque tempore usust sine superbia, das ist eine 
recht alte Weisheit. Am verblüffendsten aber 
ist S. 95 zu lesen: »Die ganze Masse der 
augusteischen Poesie ist weniger, als was der 
eine Goethe in Versen zusammen geschrieben 
[hat]. Der Verdacht liegt nahe, dass hier doch 
ein Qualitätsunterschied zwischen antiker und 
moderner Klassizität vorliegen muss«. Es soll 
hiermit ja gewiss kein Gradunterschied, sondern 
ein Artunterschied zwischen antiker und moderner 
Klassizität hervorgehoben werden. Aber ich 
fasse nicht, worin dieser Artunterschied bestehen 
4. April. DEUTSCHE LITTERATURZEITUNG 1896. Nr. 14.
	        

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