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4. April. ‘ DEUTSCHE LITTERATURZEITUNG 1896. Nr. 14.
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Einzelnen verständig und maassvoll ausgeführt.
Daher wird man die Schrift als Ganzes be
trachtet auch ausserhalb der Herbartschen Kreise
gerne und mit Nutzen lesen.
Berlin. Rudolf Lehmann.
Philologie, Alterthumskunde u. Litteratur
geschichte,
Heinrich Lewy, Die semitischen Fremdwörter
im Griechischen. Berlin, R. Gaertner, (H. Hey
felder), 1895. 268 S. 8°. M. 7.
Zusammenhängende Untersuchungen über
semitisches Gut im griechischen Sprachschatze
sind erst in neuerer Zeit angestellt worden. Die
Abhandlung von A. Müller über semitische Lehn
worte im älteren Griechisch (Bezzenbergers Bei
träge zur Kunde der Indogermanischen Sprachen
I, 273 — 301 1877) wie E. Ries’ Dissertation
Quae res et vocabula a gentibus Semiticis in
Graeciam pervenerint, quaestiones selectae (Bres
lau 1890) behandelten das Thema noch mit aus
gesprochenen Einschränkungen. Erst die um
fassende Studie von W. Muss-Arnolt On Semitic
words in Greek and Latin (Transactions of the
American Philological Association XXIII, 35 —
156, 1892) zeigte das Bestreben, das ganze Mate
rial gesammelt und gesichtet vorzulegen.
An diese Arbeit schliesst sich das fleissige
und noch umfangreichere Buch von Lewy nicht
nur der Zeit nach an. Ein Vorwort oder eine
Einleitung, in der der Vf. zu seinen Vorgängern
hätte Stellung nehmen können, wird freilich ver
misst. Aber das gleiche Streben nach Voll
ständigkeit geht ja schon aus der Wahl des
Titels hervor, der weit genug ist, dass man auch
Worte wie jjLa|x|j.oovaq, jidvva, aäßßatov, aaxa-
vdQ etc. mit Recht zu finden erwartet. Dazu
kommt die ganz ähnliche Anordnung und Ein-
theilung des Stoffes, den L. in folgenden siebzehn
Gruppen von verschiedenem Umfang vorführt:
Thiere, Pflanzen, Mineralien, Menschenleben,
Nahrung, Tracht, Wohnung und Hausger äth,
Maasse und Münzen, Technik, Land, Meer und
Schiffahrt, Spiele, Musik, Wissenschaften, Kriegs
wesen, Mythen, Kultus. Endlich und leider folgt
er Muss-Arnolt auch, indem er die sachgemäße
und folgereiche Unterscheidung A. Müllers zwi
schen älteren Lehnworten und späteren Fremd
worten und Glossen nicht beachtet, wenigstens
ihr praktisch nicht Rechnung trägt (vgl. G. Meyer
im Anzeiger für Indogermanische Sprach- und
Alterthumskunde IV, 25 ff. 1894). Andrerseits
unterscheidet sich L.’s Arbeit nicht etwa nur in
Einzelheiten, die ihr im Gegensatz zu jener fehlen,
wie z. B. eine Gesammtübersicht über die laut
lichen Phänomene, oder hinzugebracht sind, son
dern vor Allem dadurch, dass der Vf. nicht nur
kritischer Sammler, sondern auch Entdeckungs
reisender ist. Als solcher hat er freilich mit
unter ein wenig viel gesehen oder zu schnell
kombinirt.
Kiel. Erich Klostermann.
Herman Grimm, Homer. Ilias. Zehnter bis letzter
Gesang. Berlin, Wilhelm Hertz, 1895. 405 S. 8°. M. 8.
Gerade hundert Jahre zuletzt ununterbrochener
kritischer Homer-Forschung sind nun über Deutsch
land hingegangen. Philologischer Scharfsinn
jeder Art und Form hat eine nicht mehr über
sehbare Fülle von Untersuchungen zu Tage ge
bracht. Wie später bei Dante, Shakespeare und
jetzt auch schon bei Goethe, hat er sich selbst
in steter Steigerung zu immer peinlicherer Kritik
gereizt, und nur solche Forscher, die an einem
feinen und sicheren ästhetischen Gefühl immer wie
der ein richtunggebendes Correctiv finden, lassen
sich nicht mit fortreissen. Und die dauernden Re
sultate dieser langen und breiten kritischen Arbeit?
Aus den Reihen der Forschenden selber spricht
einer heute gelegentlich von den »wenigen sicheren
Ergebnissen einer kritischen Analyse der homeri
schen Gedichte« (E. Rohde, Psyche 8. 45); ein
andrer aber von der nur noch »conventioneilen
Bewunderung« Homers, die nur so »weiterge
redet« werde, und wie die Philologen über der
»homerischen Frage« den Dichter selber ver
gessen haben (von Wilamowitz, Homer. Unter
suchungen S. 381). Es wäre traurig, wenn man
diesen Erfolg wirklich ihr allein anrechnen müsste;
wesentlich ist er doch wohl der heute weit ver
breiteten Vergröberung des ästhetischen Ge
schmacks überhaupt zuzuschreiben, der Gleich
giltigkeit gegen Genüsse, die der grossen Werde
zeit unseres geistigen Lebens in diesem Jahr
hundert die edelsten Bedürfnisse waren. Damals
war denn auch Homer wie Shakespeare, trotz
der philologisch so viel mangelhafteren Kenntniß,
ästhetisch von der fruchtbarsten Wirkung.
Wenn also ein Mann, dessen ganze geistige
Persönlichkeit von so vielen Seiten her mit dieser
Zeit eng verknüpft erscheint, der wie kein andrer
heute zugleich mit dem ästhetischen den rein
menschlichen Gehalt grosser Kunstwerke zu ent
hüllen weiss, weil er neben einem ästhetischen
Feingefühl von der empfindlichsten Reizbarkeit
den unbefangen menschlichen, jeder neuen geisti
gen Erscheinung offenen Blick sich bewahrt hat,
wenn der nach langjähriger, man kann fast sagen
lebenslänglicher Betrachtung der homerischen Ge
dichte mit seinen Ergebnissen in die Oeffentlich-
keit tritt, so ist das ein litterarisches Ereigniss
von ganz ungewöhnlicher Bedeutung.
In der Besprechung der üpsaßsia, womit der
erste Band abschloss, hatte Herman Grimm die
künstlerische Nothwendigkeit dargelegt, aus der
heraus Achill hier auch sichtbar wieder als die
treibende Hauptperson des Gedichtes hervorzu-