Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Goethe

essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N 
8 e * I i n. 
Sonntag, 4. Februar 
Abonnement: für Berlin üiertelj. 6./#75 \ (2^^) 
für baS bcutfdje Seid) u. gang Defterreid) 9 Jl (3^) 
Seftellungen nehmen an bte ©jpebition, gran* 
aoftfd^e @tr. 51 unb f&mmtftdje Poftanftalten. 
ittMföttätttg. 
M 59« 
1877. — 30. Jahrgang. 
Snferate: 
ble SPetitgelle in ber SKorgen*Au8gabe 
4 gehalten 35 4 (3^ fy), 
Abent'-SluSgabe 3 gehalten eo Ä (6 3M- 
3 it f) a l t, 
Deutffblanb» Berlin: bad Gegenüber an ber Donau; ber 
fogialtftifde ©rfolg; ber Sit) be§ Neid|geridt8; aud bem 
Slbgeorbnetenbaufe; ©rfläntng beS Abg. yßtquei; ber tufjifde 
ßanbfturm; t>a§ ©enoffetifdjaftswefen. 
©efterretehifd• migarifdte Btotiarcftte. Bien: au§ bem 
Abgeorbnetenbaufe; Nachwehen Der fraget UuiDerfttcitS'(5yceffe. 
peft: gur Banffrage. 
^rmtfretdEt* PartS: aud bem Senate; TageSberidt. 
©rtecfteulaitb. Athen: au§ Der Kammer; TageSberidt. 
Würfel. Äon flau tin Opel: gur biplontatifdeu Sage. 
Sftnülanb nnb geleit. St. Petersburg: Tagesbericht. 
TifltS: bon ber rufftfdeu ÄaufafuS-Armee. 
Amtliche Nachrichten. 
Berliner Nachrichten. 
Aus bem Neid) unb ben Probingen. 
Berhanbluna.<’i« be§ AbgeorbnetenljaufeS. 
Der gegentt'TVtige ©taub beS beutfdjen ©enoffen* 
fdaftS roefenS. 
Berliner Börfetthalle, 
* ^Berlin, 3. geBnmr. 
DaS Gegenüber an ber Donau. 
Balb eine halbe Btißion Nlenfden fteljt etnanber nun 
wodenlang gegenüber, ©entehr beim fjuh, in Äälte unb 
Sdnee, unfähig, ftd Pom piajje gu rühren fchon um ber 
Unwegfamfeit ber ßanbfdaft willen. Die ßanbfdjaft ift arm, 
bie Snfuhr ber ßebenSmiitei ift febjc befdmerltd unb theuer, 
bie Neide felbft, bie bort friegerifd bertreten ftnb, gehören 
gn ben ärmften ©uropaS. BaS foil barauS werben? Bitg* 
linge haben bort ein $eib ihrer Saune gefunben. Die „Times" 
ergäbt fogar mit ernfter 9JUene, man habe bie Abftdjt, ein* 
anber bort fo lange gegenübergufteljen, bis einer bon ben bei* 
ben mübe wirb. Nufftanb rechne barauf, bah bie Türfei 
guerft fo weit fommen werbe, bah ©elbmangel fie gwingen 
werbe, entweber ihre Truppen gutücfgugiehen ober 
gum Angriff gu fdjteiten. 3« ber That ift 
ferner abgixfeljen, wie biefer Suftanb ohne Äampf ein ©nbe 
erreichen foß, wenn bie Diplomatie bie abgebrodenen 
Begehungen nid)t wiebrr aufnimmt. Nufjlanb Würbe eS 
fdjwer fallen Ätfdinem gu oerlafjen ohne anbere ©rfolge als 
biefenigen ber Äonfereng. Die Tutfei wirb faum Wagen, bie 
Donau fretgugeben aud Ntifstrauen gegen bie ntfftfde Armee. 
©S ift fogar feljr möglid, bah baS rufftfehe Heer über ben 
Prutf) geht unb linfS ber Donau (Stellung nimmt. Säht bie 
Pforte ’ftd? auch baburch nidjt herauSlocfen, fo erfüllt ftd bie 
Barnung, bah man mit Sdjiehgeweljren nid)t ungeftraft 
fpielen föfle. gür bie Dauer beS BinterS, ber noch bagu 
ungewöhnltd ungünftig für biefe ÄriegSbereitfdaft ift, barf 
man ber NuFje an ber Donau ftd^cr fein. BiS gur warmen 
Saf^eSgeit ftnb aber noch Btonate hin, bie ungeheure Sum* 
men Perfchlingen werben. Nufjlanb’S Heer lebt oorläuftg 
öinr Otc Tagedfqffe bed Staate« unb ben veidltd?« Äorn* 
unb ^onrageoorräthen ber fru^tbaren Sübprooingen. Aber mit 
feber Perbrauchten SDtillion fdminben bie Büttel für einen Wirf* 
liehenft'itcg, unb ber Büßionen ftnb fdon Piele rerbraudt. ©inen 
SJtahftab giebt bie unä ergählte Thatfa^e, bah ber ©ehalt 
beS ©rohfürften Oberbefehlshaber, abgefehen Pon ben 
Tafelgelbcrn, ftd) nuf 10,000 5Rbl. täglich beläuft. Die An= 
leihen im AuSlanbe finb bisher gefcheitert. AnbercrfeitS ift 
bie ^inanglage ber Triefet noch fchlimnter. Die ©elbpreffe 
perforgt Porläufig bie Waffen nodh mit Scheinen, beren Berth 
Pon T#f gu Tage ftnft. ©in heutiges ßonboner Telegramm 
@in ncueö SBuch üfecr ©pethe« 
iethe. Borlefungen pon german ©rimm (Berlin, 
3wei Bänbe). 
Sunächft muh feftgefteEt werben, WaS baS Bmh Win unb 
WaS eS nicht WiU. 
©oetlje in feiner Bollftänbtgfeit gu charafterifiren, ift 
ein feljr fdlPtengeS, faft möchte id) fngen, hoffnungSlofeS 
Huternebmen. Denn wer wäre ihm gewachfen, wer hätte, 
abgefehen Pon ber ©mpfänglichfeit für alles ©rope unb Sd)öne, 
ein gld^mähtg auSgebilbeteS Urtheil über Poefte unb Äunft 
über Sprachfitnbe unb Philofophie, über ©efdjiihte unb Na* 
turmiffenfbhaft in ihren perfchiebenen Steigen, über Staats* 
Perwallung, Berg* unb JpüttenWefen, — unb baS AUeS ge* 
hörte bod) bagu! ©rimm bemerft einmal gang richtig, 
©oetl)e hatte fid) üorgefe^t, fdlechthin bon Allem Jfenntnih 
gu ttebmeu: wer wollte ihm aber barin nachgehen? Ber 
über ©oethe fd)reibt, muh ft^h bon bornheretn fagen, bah « 
feine Aufgabe nur appropimatib löfen fann, unb er wirb 
am beften fahren, Wenn er ft<h felbft feljr beftimmt feine 
©renge fteeft. 
©8 ift ferner nöthig, ftch gu entfeheiben, für weldjeS 
Publifum man fdheetben will. Die eigentlichen ©oetljefenner | 
üub fehr perwöhnt, ihnen fommt eS hauptfächlid) barauf an, 
i Tfeiejijicpi n«; 4 e Thatiacpen feftgefteüt werben; waS nidjt baljin 
ob bte wif ( itferfcblagcn ftc mit ©leichgültigfeit. Die SNenge aber 
tcnntcr^erlancat Pom Schnftfteller eine Weitgebenbe ©ntljaltfamfeit; 
1 fte WiU nur hören, waS ihrem BorfteüungSfreife geläufig ift. 
^ür bie leptere hat ©rimm nicht gefd)ticben. 3d glaube 
gwar, bah fein 33udj and) hieb ftljr gern Wirb gelefen werben, 
benn eS ift äuherft unterhaltenb, feffelt burdj feinen lebhaften 
Stil bie Aufmerfiamfeit in ungewöhnlidpem ©rab, nnb bietet 
faft auf feber Seite etwas ©rfreulidjcS, baS man in fein 
©ebanfenfdjat$fä[tlein wirb nieberlegen fönnen, Nedjt Wür* 
bigen wirb aber baS Buch nur betjenige, ber ©oetlje bereits 
gut fennt. bie anbern hatöeweS gefdrieben: er ergählt 
alles, waS bie SNenge gu wiffen wünfdt, gang genau, unb 
übergeht baS anbere mit StiUfdWeigen. 
_ Aber aud an bie ©oethe * Kenner Pon Profeffion hat 
©rimm nid)t gebadt. Durd ihn Wirb Pon feinem 
eingigen Tage neu feftgeftellt, wo ©oethe gu fNittag 
gcfp.'ift, WaS er gcrebet unb waS er gelefen hat. 
DaS SERatettal ber ©oetlje * Biffenfdaft wirb nidfjt 
bereidjett. Aber aud in ernfteren fragen geht bie mono* 
graphifebe Beljattblung nur nebenher. Daf) ©rimm Pon ben 
uatuvwiffcnfdaftlideu Arbeiten nidjtS weiter berührt, als 
einerfeits ben Stil unb bie Äompofition, anbererfeitS bie Art, 
wie ber Didter unb ber SJlenfd üd in ihnen fpiegelt, ift 
gang in ber Orbnung, benn er ift fein gadjmann; unb wenn 
er mit ©octlje’S Diefultaten feine Spmpatljie auSfpridjt, fo ift 
bas eben nur fubjeftip gemeint. Aber aud, wo er mit £d3 
unb Nedjt als f^admann anftreten fönnte, im ©e* 
bid ber Äunftgefdidte uub tm ©ebiet beS Sprad s 
ltden — für baS lefcteve bringt er nidt bloS 
bradte bie Nadiidt, bah bie Pforte bie Sahlung ihrer 
Stufen für bie Anleihen pon 1854 unb 1871 aufgefdoben 
habe bis gur ©enehmignng burd baS fünftige türfifdc Paria* 
ment. Diefe Nadridt ift alSbalb Pon einem türfifden Diplo* 
maten in ßonbon als nnbegrünbet begeiduet worben, wiber* 
jpräde aber feineSWegS ber in ^onftantinopel jid einwurgeln* 
ben Anftdt Pon ben Dingen. ©S wäre freilid eine eigen» 
tljümltde Anff^ffung, bah baS Parlament erft barüber ent* 
fajeiben foH, ob b.er Staat feinen eingegangenen Berpftid 9 
tungen nadgufommen habe ober nidt. Diefe neue Ber» 
faffnng fdeint bte Tütfei nidt bloS gegen Angriffe fdüfcen, 
fonbefn aud oon ©läubigern befreien gu foUen, mehr eine 
Baffe gegen ©uropa als gegen türfifdc Biihwirthfdaft. 
BtiDljat fühlt fid offenbar fehr Wohl hinter ber papiernen 
Burg. 
Diefe Berhältniffe finb gleich unhaltbar als bie biplo* 
matifden, wie fte burd bie Abreife ber Botfdnfter geworben 
finb. £Die SSotfdafter haben Äonftantinopel Perlaffen, aber 
nur ihatfädlidr nidt als Seiden beS Abbrudä ber poli* 
tifden Begiehungen. Sie ftnb nad Wie Por bei bem Sultan 
accrebitirt unb fönnen jebergett auf ihren Boften gurüdE* 
fehren. 3n Paris ftpt Sabpf pafda, in Bien Alefo Pafda 
ruhtg in feinem £>otel, ©efdäftSträger Perfeljen überall unb 
aud tn Äonftantinopel ben laufenben Dienft. Die Abreife 
ber Botfdafter fann foPiel heihen, als bah politifde Dinge 
mit ber Pforte nidt mehr Perljanbelt Werben foUen. Aber 
wie lange fann baS aufredt erhalten werben? öabe td 
mid über einen fdledten ©utSnadbar geärgert, fo hilft eS 
Wenig, Wenn id bie SNiene anneljnte, als fei er nidt oor» 
banben. Das Streitobfeft Wirb bamit nidt fortgefdafft, baS 
Baffer feines SnmpfeS flieht nad wie Por auf meine gelber 
unb id muh nttd bod wieber entfdliehen, mit ihm gu 
reben. Unb gWar werbe id anfangen ntüffen. 3n bemfelben 
f^aUe beftnbet fid ©uropa. Die Pforte fann Warten. 
Sie hat Wenig 3ntereffen in ©uropa gu Pertreten, 
wenig türfifde Untertanen ober ©igentljum gu 
fdüfjen nnb würbe aud teidjt ftd btefeS Sd«^eS entfdlagen. 
©uropa hat ein Weit gröjjereS Snterejfe baran, in ^onftan* 
tinopel Pertreten gu fein in einer Beife, bte bte bortigen 
Dinge Pon allgemeinen ©eftdtöpunftcn beljanbelt. ©i'ebt 
bie Dürfet ntdt nad «nb Permeibct ben j?rieg, jo Wirb 
©uropa ftd entfdliehen tnüffen gurücfgufchren. Btrb aber 
©uropa ruhig Wieber fommen, wie eS ging? Dann läge aud 
barin feine ©hrenfränfung für Nufjlanb, wenn eS feine 
ArmeeforpS heute nad £aufe fdidfte, unb SNibfjat Pafda 
hätte einige Befriebtgung mehr, fo wenig höflid liegen baS 
fdeibenbe ©uvopa gu fein, als er eS gewefen ift. Die biplo* 
matifde Sage ift eine fo eigentümliche, bah nad allen euro* 
päifden Begriffen unb 3ntereffen fie nidt lange fortbefteljen 
fann, porauSgefeht, bah man nidt bie Abftdt fahte, bit 
Balfanhalbinfel für Pogelfrei gu er| ^ven unb bieDrientfrage 
aus bem 3nbep ber euröpäifden Stq:% ^egenftänbe gu ftreiden 
gu ©unften beö erften Beften, bc.*T'4 etnft'U, biefen Begel 
auf eigene f^auft Pon ber Stange^*, fdiehen. 
Der fogialiftifde ©rfolg. 
Die fogialbemofratifden Agitatoren beraufden bie Btenge, 
bte iljnen folgt, mit bem ©ebanfen ber errungenen SNadjt, 
mit bem Bollgefühl politifder Bebeutnng. Sie geigen ihren 
Anhängern bie menfdlide ©efeüfdaft mit ben ©rrungen* 
fdaften einer Piel tau)enb}ährtgen Kultur als bie ungeheure 
Beute, bie fid 3« ihren 5«hen auSbreitet, fo Wie Cannibal 
eine reide Äenntnih fonbern eine gang ungewöhnlide $ein* 
fühligfeit mit — fdlieht er nur für eingeltte partieen ab. 
©ingelneS baiin ift Pon hohem Bert, g. B. bie Darftcflung 
beS StilwedfelS in ber Seit nad ber Iphigenie. Benn biefer 
nad ihnt barin befteht, bah feit bem bie ©eftalten fid »om 
Didter ablöfen, wäfjrenb fte früher mit iljm oerwebt blieben, 
fo trifft baS bei Alcpis unb Dora, bei Hermann unb Doro* 
thea, bei Taffo, bei afteifter unb ben BahlPerwanbfdaften gu. 
Den barauf folgenben Stilwedfel aber, Panbora, ©pimcnibeS, 
3;auft gweiten Tljeil, läht er unberührt; unb gerabe Pott 
biefen ©eftalten gilt mehr als Pon benen ber erften Periobe, 
bah fie iljr waljreS ßidt erft gewinnen, wenn man fte als 
Spiegelungen beS DidtergcmüthS betradtet. 
Bei anberen fragen Pon grober Tragweite begnügt er 
ftd mit ©oethe’S eigener AuSiaffung, 3« 33egug auf feine 
pljilofophifde ©ntwicMung g. B. folgt er gang bem Beridt 
in Bahtett unb Didtung, ba bod fpäter bie „Äritif ber 
UrtheilSfraft" unb bte „SNonabologte" Pon feljr gt'ohent ©influh 
auf ©oetlje’S philofophtfde Btlbung waren. Dtefe Arbeit 
bleibt uod gu tljun. 
^ür ©rimnt finb biefe Unterfudungen nur SNittel, nidt 
SWecf; waS ift fein Swecf? 
Sein Bud foH einÄunftwer! fein, ©r fprtdt ftd wieberholi 
unb mit geredtem ßob über „Baljrheit unb Didtung" aus unb 
fudt ber $ompofttion biefeS fdönen BudS auf bte Spur gu 
fommen. ©oethe giebt nad ihm Bahrljett, aber nur wie fie 
burd Ptelfährige ©rinnerttng in feinem ©entütfje ftd ab* 
gefpicgelt «nb geftaltet hat; ja um baS Bilb redt rein her* 
Portreten gu laffen, [teilt er baS eine inS ßidt, *aS anbre in 
Sd«tten; er läht weg, er Perfekt. 
Bei genauer Prüfung wirb biefe Beobadtung einiger* 
mapen cingefdjränft werben müffen. ©igenüid darafteriftrt 
©rimm bamit fein eigenes Berfaljren. ©t Will Bahr* 
heit geben, bie ©eftalt beS DidtevS foH gang rein her» 
portreten, aber Weide Söge aus ber Btrflicijfeit bafltr gu 
entnehmen finb, barüber entfddbet er fid uad fünjtlerifden, 
nidt nad Wiffenfdaftliden Btottoen. 
Ber ben SNidel Angelo grünblid ftubirt hat, weih, bah 
©rimm fid einer eigenen Äunftform bebtent. Die Bio 
graphen gewöfjnltden SdlageS evgählen AUeS, waS fte wiffen, 
mit gleider AuSfüljrlidfeit; eS fehlt bann bie ridtige Ber* 
theilung Pon ßidt unb Sdatten, in ber bod allein bte edte 
Deutlidfeit befteht. Beffer gefdultc Biographen laffen baS 
Unwefentlide gang weg unb [teilen baS übrige fo gufammen, 
bah gletdfam ein Änodengerüft barauS hefborgeht. 3h^e 
Auswahl ber Tfjatfaden unb bie gröbere ober geringere AttS* 
führlidfeit, mit ber fte btcfelben befdretben, enthält gugleid 
ein Urtheil über bie Bidtigfeit unb bie Bebeutung btefer 
Thatfaden. 
AnberS ©rimm. Die Auswahl feiner Thatfaden uitb 
Unterfudungen wirb nidt burd bie Bidtigfeit berfelbcn 
an ftd beftimmt: mandeS fdon Befaunte beljanbelt er jeljc 
auSführlid. SNandeö, baS wohl einer fritifden Unterfudung 
Pott ber £ölje ber Alpen hefab feinen Sdaaren bie fernljin* 
fdimmernbe, glüdfgefegnete ©bene 3talienS PorwieS. Diefer 
jo ergeugte Biadt* tinb |toffnungSraufd ift anfteefenb — 
fdon bie Stidmaljlen haben ergeben, bah ftd) neue Blaffen 
au ben alten bergubrängeit, um gleidfaßs ihr Thetl an bem 
Naube ber Belt gu nehmen. Sehr mögltd, bah bie 
©rlebignng ber Doppelwahlen nod ein weiteres AnfdtoeHen 
jener beuteluftigen ^eerhaufen nadwetfen Wirb. Da aber 
unfer Bolf neben ber ^äljigfeit, ftd in pljantaftifden ©ebil* 
ben gtt ergötzen, bod einen feljr realiftifden ©runb in fted 
birgt, fo wirb bem gegenwärtigen Naufd aud ber bemnädftifte 
Äaienfammer nidt feljlen. An biefem Tage werben ftd bie 
bisherigen ©efolgfchaften ber fogialen Demagogen bie 3*age 
Porlcgen, ob baS Bohl ber arbeitenben klaffen benn 
wirf ltd burd bie bisherigen ©rfolge geförbert ift, ob fi$ 
beffen AnSfidten auf Hebung ihrer gefeßfdaftliden, recht» 
liden unb materiellen ßage burd bte bisherige Agitation um 
Haaresbreite gebeffert haben, ob nidt burdjattS «nb 
überall baS ©egentheil ftattgefunben hat. 
An biefem Tage werben bie Bege ber arbeitenben Älaf* 
fen unb ihrer bisherigen ^üljrer ftd fdetben. Unb biefer 
Tag wirb nidt auSblcibcn! 
Dießeiterber fogtaltflifdenBewegunqunballe jenepionierc 
in ihrem Dienft, Weide bie Agitation berufSmähtg betreiben 
unb ftd baburdj über bte brüdfenbe ©nge ber ßebenSbebtn» 
gungen gu erheben Perftanben, in Weide ber aufgebotene 
Heerbann in feiner gvohen Blaffe nad *°te por gu perharren 
aegwungen ift, fie alle mögen bamit gufrieben fein, bah bie 
lange mit ©ifer porbereitete Heetfdatt fo glängenb ausgefallen 
ift. 3h r Anfeljen bei iljrent Bolle unb baS Bertrauen 
auf ihre f^ührerfdjaft ift in erwünfdtefter Beife befeftigt, fte 
haben Perbrieft nnb beftegelt bie Boßmadt in Hänben, ihre 
Noße Weiter gu fpielen. DaS „arbeitend Bolf" mag nun 
gufeljen, wie eS ftd mit bem ©efübl, e ; ..e Bladt im Staate 
gu fein, bie man ijie unb ba fürdtet, mit ber man aber 
überall gu rednen genöihigt fein wirb, über ben Btangel 
jeber gretfbaren wirfliden ©rrungenfdaft hintoeghilft. ©S 
Wirb Pteßeidt lange bauern, bis ber SiegcSfubel Perraudt, 
bis ber Blachtraufd auSgefdlafen ift unb eine nüdterne 
Prüfung ber Dinge ben ßeuten barüber bie Augen öffnet, 
bah fte auf einen Abweg geleitet ftnb, fte nidt nur nidtS ge* 
Wonnen, fonbern felbft bagu geholfen haben, ber ^örberung 
ihrer 3ntereffen H^berniffe in ben Beg gu legen. 
Bon einer ßöfung ber fogialen §>mge finb wir heute 
ebenfo weit entfernt, als guPor. ©S ift baS eine Kultur* 
frage unb eine NedtSfragc gugleid, bie nur burd bie $ort=» 
tdritte ber Kultur unb bte Berpoßfommnung ber NcdtS* 
guftänbe fdrittweife ihrer ßöfung gugcfüljrt werben fann. Die 
Herfteßung einer Poßfomntenen gefeßfdaftliden Hatntonie, 
bie ©rlangung beS erreidbaren gröheften BlaheS aßgemeiner 
fittlider unb materießer Befriebigung faßt gufammen mit ber 
©rfüßung beS Berufs beS 1 PlenfdengefdledtS, mit 
bim AüSganye ber ©efdidte. 3 ? ber Berfud, bie 
fogtale ^rage aßeitt als Bladtfrage' gtt behanbeln unb 
gur ßöfung gu bringen, muh ben Biberftanb aßer Äultur* 
elemente, bie an ihrer ßöfung arbeiten, fjeröor* 
rufen. Denn eben fte werben babtttdj mit bem Untergange 
bebroljt. 3n Beiten, wo btefer Biberftanb Porübergeljenb ber 
rohen ©ewalt unterlag, hat bte fogiale forage in ihrem Weiten 
Bege gur Rührung febeSmal bebauerltde Nücffdtitte gemadt, 
unb felbft jeber guritcfgefdlagene Anlauf hatte gum Blinbeften 
einen Stißftanb gur §o!ge. Die redtlide «nb wirthfdaft* 
wertlj wäre, läht er faßen. ©S ftnb nidt immer bie Haupt» 
punfte, bie er bePorgugt. ©r Perfährt als Äünftler. Die* 
jentgen Umftänbe, bie am gceignetften ftnb, Seiten be3 
DidterS redt ftnnlid gur Anfdauung gu bringen, werben 
mit allem Aufwanb beS SdarfftnnS unb ber ©inbtlbungS» 
traft oerarbeitet, fo bah fte ftd unauSlöfdüd einprägen; bann 
fommt ein Sprung, unb ein neues Bilb. DaS Bilb beä 
©angen foß in ber Seele babuvd ergettgt Werben, bah ber 
Befdauer gleidfam gurüeftritt «nb aße biefe mannigfaltigen, 
uon Ijeßeiu aber Perfdicbenem ßidtbefdienenen Scene« gleid* 
geitig auf fid totrfen läht. Die Bletljobe ift ntdt fd^d* 
unb tljut ihre Birfung. 
Seine ©emälbe ftnb auf bte $crne berednet. Blau täufdt 
ftd gtoar leidt barüber; währenb man ihnen nalje ^efjt, glaubt 
man immer mitten in ber eittgclnen ©efdidte gu fein, fteljt 
man aber genauer gu, fo wirb man geWatjr, bah mande 
ßinien barunt fo ftarf gegogen, mande färben baruttt fo grell 
aufgetragen ftnb, bamit bie Stride ftd mit anbern in ber ?5erne 
gufammen finben unb fid ergängen, bamit bie färben gegen 
etnanber abtönen. Daraus etflären ftd mandeftatfeAttSbrücfe, 
mande fdeinbare Btberfprüde. Befanntlid ift jeber Sajj 
fäljig umgefehrt gu werben; gewöhnlid Ilmitirt man ihn Pon 
pornherettt, um tljm für ben einzelnen $aß bie fefte Steßung 
gu geben, ©rimm limitht nie, ja er gicht gewöhnlid, beS 
rafden ©inbrucfS wegen, bie parabopefte Benbur.g Por, mit 
bem Borbehalt, fte fpäter, wo eS barauf anfommt, burd bie 
entgegengefeigte Parabopie gu ergängen. Daraus erklären ftd 
fleine Ungenauigfeiten in Dingen, bie ihm ooßfontmen be* 
fannt ftnb: in bem ©ifer, gerabe bie garbe beroorgubringen, 
bie er im Bioment braudw behanbelt er baS ©leidgültige 
obenhtn. 
tim ferner für feinen Helben bie ridtigen Dimenftonen 
gu gewinnen, waS bei einer einfad realiftifden 3eid«««ft 
nidt möglid märe, liebt er Pcrfpeftioen in bie Weite, weite 
fterne. Der H f lb foß auf ber Beltbühne erfdeinen, aid 
Btann ber 3aljttaufenbe. 3n feinen ©yturfen begnügt er 
ftd nidt bamit, oon ©rtedenlanb, Nom, Amerifa nur bad 
mitgutheilen, waS gum Berftänbnih feiner ©rgählung noth» 
wenbtg wäre, fonbern er wirft ein redt Ijeßcd, guweilett 
fubjeftiPeS ßidt hinein, bamit aud bie @ecle beS ßeferS ftd 
erweitern unb gum Berftänbnih gröberer Dimenftonen be 
fähigt werben-möge. Aud hier wirb fein 3mecE ein fünft® 
icrifder. 
3d wteberhole, „Bahrljett unb Didtung" ift fein Bor» 
bilb. Da er aber bie ©tnpfinbung hat, bah ©oetlje berettd 
hiftorifd ift unb einer oergangenen Seit angehört, fo trand* 
ponirt er bie ©rgählung aud „Baljrheit unb Didtung" in eine 
nroberne b. h- in feine eigene Stimmlage. Bie ©oetlje feine 
leeren Borte ertragen fonnte, weil ed ihn gerabegu in Ber* 
gwetflung fe^te, wenn ihm etwas, woPon er Ptel reben hörte, 
nidt lebenbtge Anfdauung würbe, fo ift and ©rimm eifrig 
bemüht, waS er Pon ©oethe beridtet fo lange in ftd 3* 
Perarbeiten, bis ed gleidfam fein eigenes ©rlcbnijj mirb; ec
	        
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