Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Goethe

Setrn Hofmann gehegten Sunfd) nach einer 1 ^eit unb geftigleit toie bie fleiftige unb maTH> & ß 9 e (^ßferbefutter auf uid)t einmal fo 
3n Seranlaffung oon Sermann ©rimm’g: 
dtacffje * gtorfcfmtgetn 
Breite Auflage. Berlin, Ser&. 1880. 
Son ftlaud ©roll). 
I IV. 
©rimm hat feine ^iftorifd^=fritifd^e Sebengbe* 
fdjreibung ©oethe’g geliefert. ©ine foldfe famt 
unb mich oor* ober nebenher gclefen toerben. 
Sie oon ©<häfer toar früher gut genug, bie oon 
SDütt^er toirb ohne gtoeifel genauer unb auch 
beffer fein, ©rimm beginnt mit ©oethe’g Stuf- 
treten ben 7. ÜRooember 1775 in Seimar, alfo 
mit bem geitpunfte, mit toeldbem ©oethe’g 
©elbftbiographie fchliefit. Ser Sefer roirb aber 
both uacb unb nach im Rüäblid mit ben Saupt* 
momenten feinet ©nttoidelungg* unb Sebeng* 
gauged befannt ober biefe Momente toerben ihm 
burcb ©rimm’g Sarftellung neu beleuchtet. 
ÜUtercf fchreibt einmal an ©oethe: „Sag Su 
lebft ift noch beffer, alg toag Su fchreibft". Sag 
mag toahr fein; aug ber brülle feiner reichen 
©elbfterfahrung flnb bie Schriften ©oeihe’g nur 
ein ©jtraft. 2fber für ung ©pigouen ift bag 
toag ©oethe gefchrieben beffer, alg toag er gelebt. 
3)enn eg ift bie Slume eineg ungeioöbnlich be= 
gabten unb begünftigten Safeing. Sag er ge* 
fchrieben, bag lebt für ung. ©o felbftftänbig 
toie ©oethe gelebt, fo hat er hoch toie nie ein 
aitber^ dichter fein Sehen gleichfam toieber alg j 
Material für feine Sichtungen oerarbeitet. 9Jtän* , 
iter toie ©chiller, toie ©hafefpeare gehen an bie 
Arbeit toie ein SUtaler, ein Silbhauer. ftreilid?, 
| ihr 53lut tropft hinein, ihr ©chtoeijj flieht herab, 
aber bie ©eltalten bleiben boch aufjer ihnen unb 
toerben aug frembem ©toffe geformt, ©oethe ift 
toie ber ©etbemourm, ber fein ©elbft auffpinnt. 
Sermann ©rimm hat fo bag reiche Material, 
bag ung über ©oethe’g äuhere Sebengfchicffale 
unb innere Kämpfe unb ©rfahrmigen Oorliegt, 
genügt um ©mpfängnifi unb ©eburt, ©nttourf 
unb ©nttoicfelung toenigfteng ber Saupttoerfe 
©oethe’g flar 3u legen unb baburch ihr 23er' 
ftänbnih su ermöglichen in einem ©inne, toie 
feine fritiföe ©rläuterung fie je getoähren fann. 
©“ein Such ift in biefem ©inne recht eigentlich 
ein Kommentar 3u ©oethe’g Sichtungen unb 
3toar ein fo geiitooller unb tief einbringenber, 
toie toir ihn big bahin nicht befeffen haben. 
Sie man photographed? in neuerer Seit 
Silber üon Köpfen herftellt, inbem man auf 
biefelbe Srennfläche ber Platte üerfchiebene @e= 
fichter aufnimmt, bie fich ju einem neuen ©e= 
fammtbilbe oereinigen, bag Oon jebem Originale 
einige 3üße enthält: fo loieg ©rimm su ben 
einzelnen ©eftalten ©oethe’g, 3ur Sötte, 3phi* 
genie, sum ©reichen, sunt Server, bem ftauft, 
Sephifto _ bie einseinen ©eftalten nach, aug beiten 
©oethe bie lebenbige 2lnf<hauung genommen, aug 
beiten er fie benn enblich sufantmeu gefcbtoeiht 
hat. ©rimm löft bei ben Sauptiocrfen oft bag 
feine ©etoebe big su ben ein3elnen gäben auf 
ö ichfam toie ber ©eibentourm fie gefponnen unb 
rncht big 3U einem geioiffen ©rabe bie number* 
toi Kunft begreiflich, mit ber ©oethe fie 3u 
eimt lebettben @an3eu oerflochten hat. 
Sem itaioen Sefer faun bieg 3Utoeilen ang 
|r3 gehen, toie toenn er gemeint hat, h^r fei 
inbiefer liebengtoürbigeu ©efeheinung eine Sh 0= 
togtphie nach ber Ratur geliefert, fo toahr, fo 
fdjö, man liebt ein ©tücf Senfchhcit in ihr 
unt erfchricft, toenn man erfährt, bah fie nur 
au |Oerfchiebenen Rbbilbern 3ufammengeftücft fei. 
äUf.n folche Sefer meinen auch ein ©ebicht toie 
Johann, he fd’ mi fo bei" unb ähnliche 
f e | el nur fo ^ingefchriebeit, eingegeben Oon 
augjtblicflicher ©timmuitg unb ein Sichter toürbe 
uittoht/ toenn er bag Sers rührt ohne (elbft 
geriet 3U fein, alg er beg Seferg ©mpfinbungen 
in £orte fable. Sahr bleibt er, auch toenn er 
fdfetbafte Serfe macht, ba ihm bag Sers toeiitt: 
feine Sahrheit ruht tiefer, empfuitben hat er 
eg / oag er fchreibt; toenn er nicht echt ift, geht 
ber $ritnifj bod? toenigfteng mit ber geit ab. 
gier 3. S. ©oetheg Sahrheit unb Sichtung 
mit vollem Sertrauen toie ein ©efchichtgbuch ge* 
lefenM, mit ben lebengooll ^mgefteüten Ser* 
fonei gleichfam oerlehrt, ber erfd?ridt oielleicht, 
mein ©rimm auch hier bie Jritifche ©onbe hin* 
einfeift unb nachtoeift, bah eg auch eilt „Kunft* 
toer£ : fei/ auf ben ©ffect berechnet, oon ber 
buchfablichen Sahrheit oft abtoeichenb, toie eg 
benn urfprünglich auch Sichtung unb Sahrheit 
oon ©oethe felbft benannt toorbeit. Slber toag 
bleibt benn nach? Sa ift oor 2lUen grieberife, 
beg Sfarrerg Sochter oon ©efenheim — auch 
fie nur ein retouchirteg Sichtbilb aug ber Shan* 
tafie beg getoaltigen 3ei<hnerg? — Sag boch 
nicht. Slber oielleicht habe ich meine Sefer nun 
gereijt, im ©rimm felber nachsulefen, toie er 
feinen Selben unb beffen Sarftellung rechtfertigt, 
für ben einfichtigen Sefer, für ben jumal, ber 
fich felbft einmal oerfucht hat in fchriftlicher 
Sarftellung bebarf eg feiner Rechtfertigung ©oe* 
theg. ©r toeifj, bah lebe Sarftellung in Sorten 
ein Kunfttoerl ift, um fo mehr je flarer unb 
toahrer eg toirft. gür ihn ift eg eine greube 
jefet beutlich betoiefen 3u fehen, toag er längft 
geahnt, bah uur barum ©oetheg ©elbftbiographie 
ein Such ift ohne ©leichen in Klarheit unb Kn* 
fchaulichleit. ©in Senfchenleben enttoidelt fich, 
alg fchaute man jeben toichtigen SRoment, alle 
gactoren: Ort, 3eit, ©Item, greunbe, ©efpielen: 
alleg ift toie burchfichtig. SRan merfe toohl: 
auf abfichtlicbe Säufchung ift eg nirgenbg abge* 
fehen, im ©egentheil barauf, gerabe in ben 
Sauptfachen bem Safer bag gefammte Silb ber 
jebegmaligen inneren unb äuheren ^uftänbe 31t 
geben. Sahrheit bleibt’g, ohne Sichtung geht’k 
nicht, bann toürbe eg feinen 3auber oerlieren. 
Sei aller enthufiaftifchen Serehrung ©rimm’g 
für feinen Selben macht er boch leinen Salbgott aug 
ihm, su bem toir nur geblenbet auff(hauen, um ung 
bann in Semuth absutoenben. ©oethe bleibt in
	        

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