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Die Hamburger Kunst-AuSstellung.
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Die Hamburger Kunst-AuSstellung. — Kunstliteratur.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 37
Elemente in Mußestunden versammeln können, wenn nicht
der letzte Rest dessen, was die Münchener Künstlergesell
schaften einst weltberühmt machte, auch noch in die Brüche
gehen soll.
Neuerlich hat man am Maximiliane um wieder
Gerüste und Bretterverschläge angebracht, hinter denen
sich vielleicht wieder eine jener Ueberraschungen vorbe
reitet, welche an dieser Stelle dem kunstliebenden Publi-
kum schon zu wiederholten Malen bereitet wurden. In
der letzten Zeit hat man die pompejanischen Tänzerinnen
in der Arkadenhalle mit dicken Laubgewinden zusammen
gehängt und die kranzwindenden Fräulein auf der Höhe
des Baues mit dicken Eisenstangen gleich Strebepfeilern
gestützt; es besteht sonach kein Grund zur Besorgniß mehr,
daß die eine oder die andre von ihnen abhanden komme.
Die Hamburger Kunst-Ausstellung.
(Schluß.)
Hamburg, Ende Mai 1872.
Unter den Aquarellen fanden sich zwei von dem
Engländer Collingwood Smith, eine italienische und
eine englische (Devon) Landschaft; in breiter Behandlung
und sicherer Beherrschung des Materials könnten die
deutschen Aquarellisten noch von ihm lernen; die Luft
perspektive ist aber mangelhaft; der Hintergrund nimmt
zu früh tiefblaue Töne an. Die deutschen Bearbeiter
dieses Faches liefern einzelne gute Sachen, werden aber
allein SchattengestelltvonProfessor Werner's Aquarellen
(der Nil in Nubien, der Jordan bei Jericho und Anti
quitätenhändler bei Karnak) in denen der charakteristische
Typus orientalischer Landschaften, Menschen und Thiere
mit tadelloser Treue und unübertrefflicher Meisterschaft
zur Darstellung gelangen.
Unter den vielen, im ersten Theile meines Berichtes
noch nicht besprochenen, weil damals noch nicht ansgestellt
gewesenen Genrebildern verdienen einige unsere Aufmerk
samkeit in hohem Grade. Ich nenne zuerst Engelhardt,
der mit seinem kleinen Mädchen, welches mit dem ganzen,
der Wichtigkeit der Handlung entsprechenden Ernste eine
Nähnadel einfädelt, auf's Neue den Beweis liefert, wenn
es dessen noch bedurft hätte, daß die einfachsten Motive,
wenn nur mit liebevollem Versenken in das, was wir die
Seele der Kindheit nennen möchten, behandelt und von
der goldigen Poesie, welche dieses Alter des unbewußten
Glückes verklärt, angehaucht, immer und überall einer
nachhaltigen Wirkung und sympathischen Aufnahnie
gewiß sind. Leider ist dies innige Verständniß für das
Leben und Denken des Kindes nur wenigen, glücklich an
gelegten Naturen verliehen, und daher kommt es, daß
es mit den gelungenen Kinderbildern so geht wie mit den
guten Iugendschriften; es sind der unberufenen Bearbeiter
zu viele und infolge dessen die wirklich gediegenen Leistungen
im Verhältniß zu der auf diesem Gebiete herrschenden
starken Produktion auffallend selten. — Ein tüchtiges
Bild, nur etwas dunkel in der Farbe, ist die Vorstellung
des neuen Schullehrers beim Dorfschulzen von E. Schu-
bak in Düsseldorf; jedes Gesicht hat hier etwas zu sagen
und ist glücklich individualisirt; der selbstbewußte Schulze,
die freundliche Hausehre desselben und seine schelmisch
niedliche Tochter, welche verstohlene Blicke des Wohl
gefallens auf den hübschen, bescheidenen Jüngling wirft,
die drei Kinder nicht zu vergessen, die den neuen Meister
mit verschiedenen Empfindungen anstarren, bilden ein
ansprechendes Ensemble. Als einfaches und doch wirk
sames Motiv mag noch „Schwere Arbeit" von C. A.
Schmidt in Hamburg genannt werden. Ein anderer
hier ansässiger Maler, Schultz, hat in zwei Pendants
„Im Boudoir" und „Im Stübchen" einen glücklichen
Gedanken hübsch verwerthet; in dem prunkvollen Boudoir,
welches Camelien in einem eleganten Gefäß und eine
Abbildung badender Frauen schmücken, sehen wir eine
brünette, tief dekolletirte Dame einen Liebesbrief schreiben,
in dem einfachen Stübchen, dem eine Madonna und eine
Rose im Wasserglase als einziger Zierrat dienen, sitzt
eine jungfräuliche Blondine, sittsam gekleidet, und näht;
beide Erscheinungen sind übrigens von großer Anmuth;
die gediegene Ausführung der Details, ohne in's Peinliche
zu verfallen, erinnert an die besten Vorbilder. Eine
sonderbare Idee ist Fi sch er's (Stuttgart) Dame mit
gelbem Gesicht, Hals und Kleide. Eine koloristisch her
vorragende Erscheinung ist Hauschildt's Bacchantin,
eine üppige, farbenprächtige Gestalt voll übersprudelnder
Lebenslust. Die Gewandung und die Früchte, welche sie
in der Linken trägt, heben sich in ihrem glühenden Kolorit
wirksam von dem blauen Hintergründe ab*). Die Zeich
nung ist von tadelloser Korrektheit. Das Rosenmädchen
von B. Budde hat eine etwas kräftige Muskulatur, sonst
aber eine anziehendere Außenseite als die Modedamen,
welche uns in allen möglichen uninteressanten Situationen
ihre Toiletten vorführen, und mit deren Aufzählung
ich die Nachsicht der Leser nicht ungebührlich in An
spruch nehmen will. Zu einem interessanten Vergleich
französischer mit deutscher Auffassung desselben Gegen
standes giebt die Darstellung des Decameron von Deve-
denx Veranlassung; wer das Bild von Bla as kennt, wird
*) Dieser Figur ist in diesen Blättern früher einmal
der Vorwurf eines cancanartigen Zurückwerfens des Kopfes
gemacht worden; das scheint uns deswegen nicht ganz zu
treffend, weil dieselbe Geste auf vielen antiken Darstellungen
desselben Gegenstandes wiederkehrt, und, mag man sonst da
rüber denken wie man will, jedenfalls mit dem Cancan nichts
zu thun hat. Wir haben persönlich den Eindruck der „franzö-
sirten Antike" von diesem Bilde nicht empfangen; die vervoll
kommneten Mittel der modernen Malerei machen es aller
dings sehr schwierig, den Geist antiker Darstellungsweise zu
treffen.
jener hauptsächlich auf die Produktion üppiger Frauen in
pikanten Stellungen berechneten Darstellung keinen rechten
Geschmack abgewinnen können; von hochkomischer Wirkung
ist der in dem Bilde angebrachte marmorne Löwe, eine
große Katze, welche unter grimmigen Gesichtsverrenkungen
eine ungewöhnlich große Nuß zu knacken scheint.
Wahrhaft kläglich sieht es mit den Themen aus
der biblischen Geschichte und der Märchenwelt aus; jene
vertritt ein einziges Bild von C. Schmidt in Stuttgart,
David (so sagt wenigstens der Katalog) einem Löwen ein
Lamm entreißend. Arnold in München und Risse in
Düsseldorf bringen eine Köchin und einige Tauben zu
sammen und wollen uns weismachen, daß sie damit
Aschenbrödel gemeint hätten. Sollten diese Herren nie
mals von einem gewissen Schwind gehört haben, von
dem die Sage geht, daß er wie kein anderer den zarten
Duft der Märchenpoesie auf die Leinwand zu übertragen
verstanden habe? Ein schmutziges Mädchen ist doch
darum noch kein Aschenbrödel, selbst wenn sie mit Tauben
spielen oder boshafte Stiefschwestern haben sollte; auch
der kategorische Imperativ der Etikette oder des Katalogs
kann die Genehmigung unserer rebellischen Phantasie zu
dieser Mystifikation nicht erzwingen.
Genreartige Thierbilder sind vorhanden von Hessel
berg (spielende Hunde) und Carl Partz; die drollige
Possirlichkeit der jungen Kätzchen muß auch dem ärgsten
Hypochonder ein Lächeln ablocken; jeder Katzenfreund
weiß, wie schwierig die Darstellung dieser Thiergattung
ist, und wie äußerst selten sie mit voller Naturwahrheit
gelingt; Partz hat diese Schwierigkeit vollkommen über
wunden und den Habitus der Kätzchen auf das Treffendste
zur Erscheinung gebracht?
Blumen am Fenster, Camelien und andere auf
einem Alabastertischchen, mit einem Blicke auf eine Schnee
landschaft, von Emma v. Melle in Lübeck, weichen von
der langweiligen Manier vieler Blumenmalerinnen ab, nur
die Blumen und weiter nichts möglichst naturgetreu ab
zukonterfeien, als handelte es sich um Illustrationen für
botanische Werke. Sonderbar! Während die natur
historischen Werke der neuesten Zeit die dargestellten
Objekte in effektvollen Situationen und Gruppirungen
vorzuführen lieben, glaubt die landläufige Stillleben-
Malerei schon viel geleistet zu haben, wenn sie einige
Feldblumen, einige Früchte, wenn's hoch kommt mit einer
Fliege darauf, oder ein Stück Käse naturgetreu wieder
gegeben hat. Es wäre allen Stillleben-Malern, speziell
aber den Blumen-Malerinnen sehr zu empfehlen, sich
einmal mit der Frage, warum denn ihre Kunststücke
so gar keine Aufmerksamkeit erregen, eingehend zu be
schäftigen.
Äunstliteratnr.
Herman Grimm, Das Leben Raphael's vor j
Urbino. Italienischer Text von Vasari, Ueber i]
setzung und Commentar. I. Theil: Bis zur Vollen-^
düng der Disputa und Schule von Athen. Misi
Raphael's Bildniß nach dem Original in der Mün-i
chener Galerie inAlbertotypie und zwei Photograph:»
Schrifttafeln. 8. Berlin, Dümmler, 1872.
Ein summarisches Urtheil über das obige, seit langer
Zeit vorbereitete Buch zu fällen, wäre dem Verfasser ge
genüber unbillig, auch sachlich kaum möglich. Man muß
in jedem einzelnen Falle mit H. Grimm rechnen, Schritt
für Schritt ihm folgen, zumal bei diesem Werke, das viel
fach ebenso zum Widerspruch reizt, als es zum Beifall
auffordert, wo die hervorragende kritische Begabung
des Autors, insbesondere wenn es sich um die Auseinan
dersetzung mit literarischen Quellen und Traditionen
handelt, ebenso unbestritten ist als bestreitbar seine spezifisch
künstlerischen Anschauungen. Was vortrefflich ist und un
bedingt verdienstlich, ist die scharfe und genaue Schilderung,
wie sich seit Vasari die Raphaelkunde, oft auch Raphael-
legende allmählich entwickelt hat.
Für das Studium Vasari's als Schriftsteller, —sehr
gut werden die Differenzen zwischen der ersten und zweiten
Ausgabe verwerthet — bis herab für die Würdigung
Passavants enthält das Werk werthvolle Beiträge. Auch
die energisch durchgreifende Benutzung derHandzeichnungen,
in photographirten Facsimiles jetzt allgemein zugänglich,
um die verschiedenen Werke Raphael's, ihre Genesis und
Entwickelung in das rechte Licht zu setzen, verdient größtes
Lob. Nur geht der Verfasser wohl zu weit, wenn er in
der Einleitung zu verstehen giebt, die Handzeichnungen
wären bis jetzt noch nicht zu ihrem vollen Rechte als kunst
historisches Material gekommen. Eben weil sie zum kunst
historischen Unterrichte unumgänglich nothwendig sind,
wurden sie auch bisher schon bei kunsthistorischen Vor
lesungen verwandt. Wer an der Bonner Universität im
letzten Jahrzehnt Kunstgeschichte studirt hat, wird Zeugniß
dafür ablegen können. Und ähnlich ist es gewiß auch sonst
der Fall gewesen.
Abweichungen von den gangbaren Ansichten über
Raphael und seine Werke wird man in Grimm's Buche
zahlreich antreffen. Man thut dem Verfasser aber Unrecht,
wenn man ihn wie einst Bottari una certa vaghezza di
novita vorwirft. Er bringt in der Regel nicht unbedingt
neue Behauptungen vor, aber mit einer gewissen Vorliebe
holt er halbverschollene Meinungen aus ihrem Dunkel
hervor und vertheidigt mit dem Aufgebot großer Gelehr
samkeit und einem reichen kritischen Apparat ihr Recht.
Ob ihm diese zahlreichen Rettungen gelungen sind, muß
in jedem einzelnen Fall geprüft werden. Ich gestehe, das
sie zuweilen den Eindruck gar zu großer Künstlichkeit
machen, daß zu viele „Vielleicht, möglicher Weise" u. s. w.
in den Kauf genommen werden müssen, um sie überzeugend
zu finden. Die Gefahr tritt ein, daß an die Stelle des
sicheren objektiven Urtheils das subjektive Belieben mit
seinen endlosen Schwankungen im Gefolge zur Herrschaft
gebracht wird. Kommt doch z. B. Herman Grimm dahin,
für die Schule von Athen die Bezeichnung: Plato und
Aristoteles ebenso natürlich und genügend zu finden, wie
die andere: Paulus und der Areopag!
Die Anordnung des Stoffes ist für den Leser nicht