Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Leben Raphael's

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 37 
aus 
Nationalzeitung-Morgenausgabe,Nr. 332 
1872,Jul.19, 8.3 
arfimtv. MM, i 
gi , eirman Grimm s Wert über Raphael, einer 
tirbett fleißigster, langjähriger und unausg esetzter Studien 
rst vor kurzem der erste Theil erschienen: „Das Leben 
Raphaels von Arbino" (Berlin, Dümmler's Ver 
lagsbuchhandlung). Eine vortreffliche Einleitung, inj der 
Grnnm in großen Zügen die Fortschritte in der Kenntniß 
Raphael s und seiner Werke, die Wandln! igen, welche die 
Persönlichkeit des Meisters in der Anschaun, .-g der Nachwelt 
durchgemacht, den gegenwärtigen Stand des lRaphael-Studi 
ums mit der ihm eigenthümlichen Klarheit und'Tiefe schildett, 
eröffnet das Buch. Daran schließt sich die .Wiedergabe des 
italienischen Textes von Giorgio Vasarr's Biog-crphie Raphael's 
rn seinen „Lebeusgeschichten der Maler, Bildbc *icr und Archi 
tekten" nach der Originalausgabe von 1568. L en eigentlichen 
Text des Buches bilden die Uebersetzung Vasari' s ins Deutsche 
und die sich daran schließenden Kommentare. Mach der Ueber- 
tragunß je eines Kapitals giebt Grimm überden6-esammtinhalt, 
so wie über die einzelnen thatsächlichen Bemerkn ngen seine An 
sichten, Aenderungen, Verbesserungen, eine außerordentliche 
Fülle neuer und originaler Mittheilungen. IWir haben im 
Wesentlichen also den TertVasari's mit Noten und Scholien. 
In dem vorliegenden ersten Bande reicht diese Arbeit bis 
zum zwölften Kapitel, bis zur Vollendung der „Disputa" 
und der „Schule von Athen" im Vatikan. 'Der zweite Band 
des Werkes wird in derselben Weise die zwer.te Hälfte des 
Vasari'schen Textes (14 Kapitel) behandeln: erst daran „wird 
sich em Versuch schließen, das Leben Raphaels unabhängig 
von Vasari auf Grund der vorhandenen Nachrichten und der 
Werke selbständig zu erzählen und eine Beschreibung der 
Werke zu geben". Man sieht aus dieser Inhaltsangabe, daß 
Gnmm hrer einen ganz andern Weg eingeschlagen'hat, als 
rn seiner Biographie Michel Angelo's. In der letzteren 
sprelt mit vollem Recht die zeitgenössische Geschichte 
eine große Rolle, sie ist der mächtige Hinter 
grund , von dem sich Michel Angelo's Gestalt 
in einsamer Hoheit abhebt. Anders Raphael, sein Leben ist 
in seiner Kunst, in seinen Werken beschlossen. Von dem Ein 
fluß der politischen Dinge auf ihn ist kaum eine Spur zu 
Resultate mit Vasari's Bericht zu vergleichen oder demselben 
gegenüberzustellen. Denn für alle späteren Darstellungen 
Raphael's hat schließlich stets Vasari's Biographie zur Grund 
lage gedient. Ueber die Ergebnisse der Grimmischen For 
schung berichte ich später ausführlicher. Hier gilt es nur, das 
kunstliebende Publikum aus dies umfassende, ausgiebige und 
im Detail beinahe überreiche Werk hinzuweisen. „Arbeiten 
auf dem Gebiete der neueren Kunstgeschichte haben 
in Deutschland das eigene Schicksal, daß sie an keine 
fest auszusprechende Adresse mehr gerichtet sind", be 
merkt Grimm in der Vorrede. „Das Interesse für Kunst und 
Literatur erfüllt nicht mehr wie früher die Atmosphäre des 
deutschen Lebens. Mit italienischer Kunst, besonders mit 
Raphael, beschäftigen sich in ernst eingehender Weise nur sehr 
Wenige noch in Deutschland." Möge ihn der Erfolg seines 
Buches eines Befferen belehren. Oft genügt ja einer, der 
sich ernsthaft um eine Sache bemüht, für Viele, welche bald 
diesen, bald jenen Faden des Gewebes unter die Lupe nehmen. 
Was uns, nach meiner Ansicht, in fast allen geschichtlichen 
Disziplinen — ob sie nun die bildenden Künste, die Litera 
tur, die allgemeine Kultur oder die politische Gestaltung be 
treffen — fehlt, ist gerade das Einigende und Zusammen 
fassende. An Studien und Arbeiten über das Einzelne 
ist gar kein Mangel, aber die Werke, aus denen 
das große, kunstliebende Publikum, das sich mit 
jedem Tage vermehrt, Belehrung und Anregung 
schöpfen könnte, werden gesucht. Eins muß vor allem bedache 
werden, daß die Zeit, in der man kunstgeschichtliche Werke 
nur für Gelehrte, für die Eingeweihten verfaßte, in Deutsch 
land eben auch aufgehört hat.- Was hat der französischen 
Literatur ihren Weltruhm verschafft? Nicht ihre Flüchtigkeit 
und Oberflächlichkeit, die überdies in den meisten Fällen 
nicht so arg sind, als sie geschildert werden, sondern ihre Ver 
ständlichkeit, ihre Lesbarkeit für Jeden — und gerade nach 
dieser Seite hin ist die Einleitung H. Grimm's ein wahres 
Musterstück. K. Fr.
	        
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