Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Leben Raphael's

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 37 
aus 
Beiblatt zur Nationalzeitung , Abend 
ausgabe, Nr. 124, 1873, Mrz.14 
— Wie wir bereits kurz erwähnt, ist Herr Dr. Herman 
Grimm wegen seines Buches über Raphael von anderen Kunst 
historikern in einer sehr heftioen und zum Theil gelehrtgroben 
Weise angegriffen worden. ; «jcgen einen dieser Angreifer Herrn 
Professor Springer (bisher. in Straßburg) veröffentlicht Herr 
Grimm nun in der ..A. ANg. Ztg" Folgendes zur Abwehr: 
Nachdem mich Anfangs dieses Jahres ein Artikel der Seemann- 
schen Kunftzeitschrift rn die peinliche Lage versetzt hatte, die Im 
putation literarischer Unredlichkeit öffentlich zurückzuweisen, nö 
thigt mich dasselbe Blatt abermals in derselben Sache öffentlich 
das Wort ergreifen zu müssen. Wiederum tritt Herr Professor 
Springer in Straßburg (von dem auch jene erste Anklage aus 
gegangen war) gegen mich auf, wiederum handelt es sich um 
Raphaels Vollmacht an Domeuico Cauigiani. (ek Seemann's 
Zeitschrift Beiblatt vom 28. Februar 1873, der Artikel: „Abfer 
tigung.") 
Auf seine erste Anklage kommt Professor Sprenger natür 
lich nickt zurück. Diese Wolken sind vorübergezogen und haben 
keinen Schatten hinterlaffen. Er versucht es anders diesmal. 
Ich soll zu Anfang meines Buches über Raphael die frühere 
fehlerhafte Redaktion jener Vollmacht, welche die Jahreszahl 
1502 trug, benutzt haben, um vermittelst ihrer die Jahreszahl 
für die Thätigkeit Raphaels in Siena festzustellen. Hinten 
in meinem Buche hätte ich bann die zweite verbesserte Redak 
tion mit der Jahreszahl 1507 gegeben, um darauf hin den Zeit- 
Punkt des Eintrittes Raphaels in Rom zu konstatiren. Dies 
finden wir bei Seemann auf das ausführlichste dargelegt, und 
zwar wiederum in einer Sprache, als sei ich ein Prussten, von 
dem Frankreich seine Pendulen forderte. 
Folgendes ist der überraschend einfache Beweis, den Professor 
Springer für seine Behauptung aufstellt: 
1) Sette 79 meines Buches sei die Jahreszahl 1502 schlecht 
hin als Datum der Sienestschen Arbeiten Raphaels von mir ge- 
geben worden. 
2) Der deutsche Uebersetzer von Crowe und Cavalcasellis 
Buch (Herr vr. Max Jordan in Leipzig also) spreche stch dahin 
aus, cs sei jene in der ersten fehlerhaften Abschrift der Voll 
macht an Canigiani enthaltene Jahreszahl 1502 der einzige 
Beweis für das Jahr der Sienestschen Thätigkeit Raphaels, 
folglich: 
3) Da ich (H. Gr.) auf In r oben angeführten Seite meines 
Buches das Jahr 1502 alS sicher gebe, müsse ich dafür jene 
fehlerhafte Abschrift der Vollmacht benutzt haben. 
Man schämt sich. Um ^cofesso" Springers erste Anklage 
inigermaßen zu cnt^ V** ? mmer noch annehmen, > 
gianis Vollmacht nur nach s.uhteus Avschrrft, das zweite Mal 
nach der photographischen Kopie deS Originales abgedruckt hatte. 
Diesmal aber steht man klar, artt wie gedankenlose Leser absicht 
lich spekulirt worden ist. . 
Jene von Springer angezogene Stelle meines Buches, 
Seite 79, giebt allerdings 1502 als Datum der Thätigkeil 
Raphaels für Siena ohne weiteres. 
Dagegen beginnt der ganze Abschnitt, in welchem ich 
Raphaels Sienesische Arbeiten bespreche, Seite 68, mit der aus- 
drücklichen Erklärung, es falle Pinturicchio's Kontrakt mit Picco 
lomini stuf den 29. Juni 1502 und daraufhin nehme ich das 
Jahr 1502 als den Beginn der Thätigkeit Raphaels für 
Siena an. 
Hatte das Professor Springer überhaupt nre gelesen oder 
batte er es vergessen, als er seinen zweiten Artikel gegen mich 
schrieb? Daß von der Vollmacht an Canigiani an dieser Stelle 
meines Buches, selbst mit der leisesten Andeutung nicht, keine 
Rede sei, versteht sich von selbst. Ich abstrahirte ja absichtlich 
von ihr, wie ich bereits öffentlich erklärt habe. 
Die Gründe zu Professor Springer'^ unbegreiflichen An- 
griffen gegen mich kenne ich nicht. Persönlich wie literarisch 
bin ich nie mit ihm zusammengetroffen. Auch an Raphael kaun 
er kein leidenschaftliches Interesse nehmen, da seine beiden An 
griffe eben beweisen, wie fremd er in mancher Beziehung den 
speziellen Studien sei, welche Raphael betreffen. 
Hat man denn in Straßburg nicht? Besseres zu thun? 
München, 4. März 1873. 
Herman Grimm.
	        

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