© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 36
aus : Dresdner Journal,Nr.172,1867,Jul.27,
S,1
Neue Romane und Novellen. „Unüberwindliche
Mächte. Roman von Hermann Grimm. Drei Theile.
Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz (Beffer'sche Buch
handlung). 1867." Wer die vor einigen Jahren er
schienenen feinsinnigen Novellen (darunter namentlich
den „Landschaftsmaler") H. Grimm's gelesen, wird
sicher jedes neue Werk dieses Autors mit gespannter
Erwartung zur Hand nehmen, denn er weiß, daß ihm
hier ein reichgebildeter, poetisch schaffender Geist entge
gentritt. Der vorliegende Roman, der einen tragischen
Ausgang nimmt und allerdings nicht nach dem Ge
schmacke der großen lesesüchtigen Menge ist, indem er
keine bequem hingeschriebene Geschichte für gedankenlose
Leser abgiebt, gehört entschieden zu den gehaltvollsten
Erscheinungen der neuesten Erzählungsltteratur; sein
Inhalt versetzt uns mitten in die Gegenwart, und eine
Menge Fragen, welche die Kunst und höhere Cultur
betreffen, gelangen in geistvollen Gesprächen zur Erör
terung, namentlich erweist sich des Verfassers Urtheil
über bildende Kunst als ein sehr feines und sicheres.
Was bezüglich drr stofflichen Erfindung etwa als Man
gel empfunden werden dürfte, ersetzt der Verfasser durch
Tiefe der Charakteristik, und hier treten insonderheit
in Arthur, Emmy, Erwin und Frau Förster Gestalten
auf, deren innerer Seelenproceß mit bedeutender psy
chologischer Vertiefung geschildert ist; aber auch sonst
fehlt es an feingezeichneten Charakteren nicht, wie bei
spielsweise Smith, Wilson, der Professor, der Kunst
sammler, Josephine u. A. beweisen. Und wie die vor
geführten Gestalten, zeugt auch die Darstellung der
Scenerie von Klarheit und Gegenständlichkeit. Nicht
zu den geringsten Vorzügen des Buches gehört ferner,
daß der gebildete Leser nirgends durch eine Trivialität
verletzt wird. Wie der Verfasser von künstlerischem
Schaffen überhaupt denkt, hat er früher selbst einmal
an einem andern Orte ausgesprochen, wo es heißt:
„Wem der schöpferische Geist fehlt, der sucht das Neue,
Frappante, Sichtbare auf, um von außen in sich hin
einzutragen, was von innen aus zu schauen verwehrt
bleibt; wer aber das Glück kennt, in sich aufsteigen zu
sehen, was die äußere Welt niemals in solcher Schön
heit bieten würde, der sucht instinetmäßig den Platz
auf, wo dieser heimlichen Gewalt der freieste Spiel
raum wird, sich auszudehnen in die Unendlichkeit." —
Was den Stil anlangt, so wird man denselben gedrun
gen und von epischer Klarheit finden, während Satz
bau, Wortfolge und Interpunktion nicht selten von dem
Herkömmlichen abweichen.