© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Notizen. 693
stellers käme es an, um gerade die spanische Geschichte in das belehrendste und
ergreifendste Gemälde zu verwandeln, in welchem die große Wendung der eu-
ropäischen Geschicke nicht minder in großen Lettern zu lesen wäre wie in der
Geschichte der französischen Revolution.
Wir freuen uns sagen zu dürfen, daß der Bearbeiter der spanischen Ge
schichte in der Hirzel'schen Sammlung seine Aufgabe in eben diesem, daß er sie
im größten und würdigsten Sinne ergriffen hat. Von diesem Gesichtspunkt
aus stehen wir nicht an, dem so eben erschienenen neuesten Bande jener Samm
lung (Geschichte Spaniens vom Ausbruch der französischen Revolution bis auf
unsere Tage, von Hermann Baumgarten, Erster Theil, Leipzig 1865) den
Preis vor all' seinen Vorgängern zu ertheilen. Die ganze Darstellung ist so
durchdrungen und gleichsam gesättigt von den ernsten Gedanken, die eine höhere
sittliche Ansicht von den Schicksalen der Völker im Verein mit einem reinen
und hellen politischen Verstände dem Betrachter eingeben muß, daß sich mit den
farbenreichen Bildern unwillkürlich zugleich die schneidenden Lehren der erzähl
ten Thatsachen einprägen. Da ist nirgends ein Bestreben, durch anekdotische
Kleinmalerei die Geschichte vor Allem unterhaltsam zu machen, nirgends eine
Spur von absichtsvoller Schönrednerei oder von koketter Gruppirungskunst, da
ist ebenso wenig jenes Uebermaaß von meisternder Reflexionsweisheit, welches
in anderen modernen Geschichlswerken die Thatsachen zu bloßen Stützpunkten
zudringlicher Beurtheilung macht —: überall statt dessen ein großer Zug ein
fach feffelnder Erzählung, ein frei gewonnenes Ebenmaaß zwischen den Dingen
und ihrer Bedeutung, ein sicherer Takt für das Wichtige und Entscheidende
für das dem eignen Werth der Begebenheiten entsprechende Tempo ihrer Dar
stellung.
Solche Tugenden schöpft ein Historiker in erster Linie natürlich aus dem
eignen Talent und Charakter, aber sie sind zugleich bedingt durch die Hinge
bung an und durch die Vertrautheit mit seinem Stoff. Wenige Menschen in
Deutschland werden in der Lage sein, die Gründlichkeit unseres Verfaffers im
Einzelnen zu controliren. Auch wir gestehen unsere Unzulänglichkeit; aber wie
es Portraits giebt, die auch ohne Vergleichung mit dem Original den Stempel
der Aehnlichkeit an der Stirn tragen, so verbürgt, meinen wir, dieses Buch
seine Gründlichkeit und Zuverlässigkeit durch sich selbst. Baumgarten war der
Erste, der in seinem früher erschienenen Werke „Geschichte Spaniens zur Zeit
der französischen Revolution," (Berlin 1861) die Anfänge der Regierung
Karl's IV. bis zum Jahre 1795 aus den Berichten des damaligen preußischen
Gesandten am spanischen Hofe, Herrn v. Sandoz-Rollin, aufhellte. Mit Hülfe
dieser Depeschen war ihm nun ein zuverlässiges Fundament gewonnen, auf wel
chem in gegenwärtigem Bande auch die Darstellung der späteren Regierungs
zeit jenes unseligen Monarchen unternommen werden konnte. Welche weiteren
Ressourcen er dafür benutzte, giebt er überall selbst an; es sind die neuerlich
von Lafuente mitgetheilten Aktenstücke über die geheimen Verhandlungen des
„Friedenssürsten" mit Napoleon, die Briefe von Iovellanos, die Correspondenz
Napoleon's und die spanische Gesetzsammlung. Anders lagen die Dinge für die
Periode des Kampfes und der Erhebung von 1808 bis 1814. Eine unüberseh-