Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Essays

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34 
688 Politische (Korrespondenz. 
Zeit einmal seine Pflichten in Deutschland getreu erfüllt, außer der Beruhigung, 
die es empfinden mag, seine 1849 in Ungar« und 1859 in Italien so schwer 
geschädigte Waffenehre wieder hergestellt zu haben, und als eine mäßige Geld 
summe. Wir haben den Gedanken an eine Garantie der italienischen Besitzun 
gen zurückgewiesen; wir können auch dem Gedanken an eine Ländercompensation 
nicht folgen. Territorialveränderungen haben in diesem Jahrhundert nur da eine 
Berechtigung, wo sie einer sittlichen, einer volksthümlichen Idee entsprechen, so 
bei der Einigung Italiens, der Befreiung Schleswig-Holsteins, der Absorption 
Hohenzollerns. Ein Ländertausch, bei welchem lediglich die volkswirthschaftlichen 
Beziehungen von Preis und Waare hervortreten, ist uns nicht erlaubt. Man 
stellt uns die Alternative: Compensation oder Bürgerkrieg? Wir glauben an 
dieselbe nicht; wir glauben, daß hei einem festen Ausharren Preußens Oester 
reich der erste Staat sein wird, der vor dem Bürgerkriege zurückweicht. Be 
stände aber jene Alternative, so haben wir für dieselbe einen anderen Ausdruck. 
Er lautet: Bürgerkrieg oder moralische Selbstvernichtung Preußens? Än dieser 
veränderten Fragestellung liegt unsere Antwort. 
Immerhin aber ist eine Position eingetreten, in welcher die Politik des Zu 
wartens nicht mehr ausreicht und lästig zu werden beginnt. Eine Fortdauer 
des Provisoriums führt zu fortdauernden Reibungen, die nachtheilig auf die Lage 
Preußens zurückwirken. Einen Schritt zur Herbeiführung einer definitiven Ge 
stalt der Dinge hat die preußische Negierung versucht, indem sie im Anfang der 
zweiten Hälfte des April die Einberufung der schleswig-holsteinischen Stände bei 
Oesterreich beantragte. Noch ist das Dunkel nicht völlig gelichtet, das über den 
Absichten der Regierung bei Stellung dieses Antrags ruhte. Bei vielen An 
hängern der nationalen Partei hat dieser Schritt Bedenken wachgerufen. Denn 
oft genug war, und zwar von den besten Kennern der schleswig-holsteinischen 
Verhältnisse auseinandergesetzt worden, daß bei der durch die Carrieremacher im 
Lande angeregten Agitation jede Ständeversammlung sich für die Augustenbur- 
gische Erbfolge saus phrase aussprechen würde. Wir können dem gegenüber zu 
nächst darauf aufmerksam machen, daß jene Besorgnisse so offenkundig vor aller 
Welt dalagen, daß man sie am Berliner Hofe unmöglich übersehen haben kann. 
Es mag ferner als beruhigend hervorgehoben werden, daß während die nationale 
Partei in Preußen durch ihre Organe ihr Bedenken an den Tag legte, die na 
tionale Partei in Schleswig nicht ähnliche Bedenken äußerte. Die Norddeutsche 
Zeitung in Flensburg insbesondere hat dem Schritte der preußischen Regierung 
gegenüber eine abwartende Haltung eingenommen, und es gewinnt den Anschein, 
als ob sie denselben nicht mißbilligte. Aus der Mitte dieser Partei heraus hat 
sich sogar eine Stimme vernehmen lasten, die es allerdings als unzweifelhaft 
darstellte, daß der erste Schritt der einzuberufenden Ständeversammlung die 
Proclamation Herzog Friedrich's sein möge, daß sie aber, nachdem sie in dieser 
Weise ihr Gewissen gewahrt, es vorziehen werde mit Preußen in weitere Ver 
handlungen zu treten, als durch eine Weigerung sich selbst und das Land, wel 
ches so lange darüber geklagt hat, daß ihm kein Gehör geschenkt werde, mund- 
todt zu machen. Endlich mag auch noch in Betracht gezogen werden, daß durch 
Eiuführung eines demokratischen Gedankens, durch die Anhörung der Volksstimme, 
Das ist ein specifisch geistreiches Bilderbuch ohne Bilder. Ueberall sieht man 
das gescheidte dunkle Auge seines Verfassers durchblitzen. Börne's Witz in con-, 
centrirter und beweglichster Weise ist die Art dieses Schriftstellers: aber Bör 
ne's Herz hat er nicht oder er thut, als ob er überhaupt keines habe, damit 
er mit der vollkommensten Freiheit seines kritischen Geistes an seine Stoffe tre 
ten dürfe. Die Atmosphäre ist eine ganz andere als bei Herman Grimm: statt 
künstlerischer Ideale flattern die kühnen Witze über die social-politische Cultur 
umher, aber in der Anerkennung Berlins, aus welchem Lessing die Hauptmasse 
seiner Skizzen bringt, stimmen doch beide überein, wenn auch von verschiedenen 
Standpunkten: der künstlerische Essayist, weil man dort mitten im lebendigsten 
Leben iucognito leben (d. h. seine Individualität retten) könne, der prosaischere 
Satiriker, weil in der Berliner Sandwüste keine Kameele seien. In den rascher 
hingeworfenen Skizzen überwiegen Momente des geselligen und politischen Le 
bens, wie sie der unserm Verfasser im Allgemeinen verwandte, aber doch etwas 
realistisch-schwerfälligere Herausgeber der Montagszeitung zu bringen liebt, und 
sie werden unbefangen und unparteiisch genug behandelt, so daß „das häus 
liche Leben der Deputaten" und „der Jockey-Club," „der Schmerzensschrei der 
kleinen Herren" und „der Völkercongreß," „Eisen und Baumwolle" zu ihrem 
Rechte kommen; das scheinbar in sich Widerspruchsvolle wird sorgsam analysirt: 
„Ein politisches Ballet," „Eine tugendhafte Näherin," „Industrie, Poesie und 
Moabit," „Die unnatürlichen Grenzen," „Kurhessische Kunst und Polizei;" hier 
und da springen die Ideen der Gegenwart wohl auch mit sittlicher Gewalt hervor, 
in „II y a des juges a Berlin!“ und in „Die Wahrheit auf dem Katheder," 
aber nicht so stark und anhaltend, damit der Leser nicht gedrückt werde, der sich 
eben durch den Witz von einer beängstigenden Zeit befreien lassen will. Die specu- 
lativen Denker müssen es daher dem Verfasser nachsehen, wenn er principiell eben 
nur Beiträge „zur Philosophie der Feiertage" und „zur Philosophie der Zweck- 
effen" bringt, im klebrigen aber das Sein und Werden und das Ding an 
sich auf sich beruhn läßt. 
Der Fremde gehört kaum ein Fünftel der Skizzen; „das Kaiserliche Paris 
und seine Götter" zeigen das scheinbar freie Volk der privilegirten politischen 
Initiative (auch der Staatsstreich ist eine Art Initiative, hoffentlich keine frucht 
bare und sich leicht akklimatisirende) als den größten Liebhaber des Reglements; 
in den „Englischen 'Charakterstudien" sehen wir mit Vergnügen den Verfasser 
die sittliche Kraft schildern, welche in einem freien Volke das Interesse am Staat 
natürlich erzeugt; „loyale Poeten" sind ein heiteres Bild, wenn sie in wallisi- 
scher Unbefangenheit und naivem Kunsthandwerk wie hier, und nicht etwa pen 
sionssüchtig erscheinen. — Wäre es möglich, die vielen einzelnen leuchtenden 
Strahlen dieses Witzes zu einer Lichtmasse zu vereinen: wir könnten leicht diesem 
Lessing ein großes socialistisches Werk voll wärmender Kraft verdanken, Bilder 
europäischer Gegenwart zu „Bildern deutscher Vergangenheit!"
	        

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