Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Herman Grimm: Essays

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34 
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Notizen. 
noch richtiger trifft: Es ist außerordentlich populär, Geld zu verweigern, und 
es ist sehr leicht, wenn man für einen solchen Beschluß keine Verantwortlichkeit 
trägt. In England ist die Opposition für ihre Beschlüsie verantwortlich; sie 
muß sie selbst ausführen, sobald sie die Majorität erlangt, dort würde sich der 
Fäll nicht ereignen können, daß eine schlechthin erforderliche Ausgabe abgelehnt 
wird. Die Durchführung des parlamentarischen Princips allein schützt ein Par 
lament davor, unmögliche Beschlüsie zu fassen. Diese dem allgemeinen Staats 
rechte entlehnten Betrachtungen werden aber der deutschen Rhederei nicht sehr 
zu statten kommen, wenn demnächst bei einem Seekriege die Rechte deutscher 
Neutralen gröblich mißachtet werden, weil sie durch keine Flotte geschützt sind. 
Notizen. 
Mit aufrichtiger Freude haben wir von Anbeginn an das Erscheinen der 
durch Hirzel in's Leben gerufenen „Staatengeschichte der neuesten Zeit" 
begleitet, schien es uns doch, daß mit jedem weiteren Bande auch für den von 
uns vertretenen Interessen-Kreis mehr und mehr Terrain erobert, das Verständ 
niß der politischen Aufgaben der Gegenwart zugleich fester begründet und zugleich 
auf die rechte Weise allgemeiner gemacht werde. Immer rascher sind die ein 
zelnen Bände aufeinander gefolgt. Unsere Erwartung, freilich, spannt sich am 
meisten auf die Geschichte der neueren Entwickelung Preußens und der deutschen 
Bundesstaaten. Inzwischen haben wir doch auch hierfür in der Springer'schen 
Geschichte Oesterreichs und in Bernhardi's Geschichte der europäischen Politik 
von 1814 bis 1831 bereits sehr dankenswerthe Abschlagszahlungen erhalten, und 
am Ende kann es für die Darstellung unserer heimischen Verhältnisse nur för 
derlich sein, wenn sie sich, den Cyklus dieser europäischen Staatengeschichten 
gleichsam abschließend, auf die gleichzeitige Geschichte der übrigen Länder als 
auf ebenso viele Vorarbeiten stützen darf. Wie lehrreich in dieser Hinsicht die 
Geschichte des englischen Parlamentarismus, die Geschichte der französischen Um 
wälzungen, endlich die der Freiheits- und Einheitsbestrebuugen Italiens sei, be 
darf keines Wortes. Allein dasselbe gilt von der Geschichte Spaniens. Es 
war freilich eine romantische Schrulle, wenn Fr. Schlegel im Jahre 1803 beklagte, 
daß die Verbindung Deutschlands und Spaniens zu spät und in einem zu be 
schränkt politischen Sinne von Karl V. versucht worden sei — aber unvergeßlich 
bleibt doch uns Heutigen, daß es die Spanier waren, welche zuerst in Europa das 
Beispiel einer Volkserhebung gegen die Napoleonische Herrschaft gaben, die dann 
mit deutschem Geiste, in deutscher Weise von uus wiederholt wurde. Doch das 
möchte unser Mitgefühl für die merkwürdige Nation rechtfertigen: mehr bedeutet 
es, daß ihre Geschichte wie keine andere einen tiefen Einblick in die Umstände 
und in die dornenvollen Wege gewährt, welche überhaupt die Zerstörung mittel 
alterlichen Wesens, den Sturz des Absolutismus, die Herbeiführung constitutio- 
neller Ordnungen in unserem Zeitalter begleiten. Nur auf den Sinn des Dar- 
Notizen. 
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wir, wenn er sein Inneres nur aufrichtig giebt, trotz absonderlicher Züge im 
mer unser Herz zuwenden werden, der praktische Elemente und dichterische Be 
dürfnisse lebensvoll verbindet, wird uns in Grimm's Darstellung erklärt und 
begründet. Mit gleicher Gerechtigkeit geht in zwei späteren Abschnitten der Ver 
fasser auf A. v. Humboldt und Varnhagen v. Ense ein, von welchen er den er 
steren nach dem wenig umfangreichen Briefwechsel und den Gesprächen mit einem 
Gliede der Dräseke'schen Familie, dem jetzt in England lebenden Fr. Althaus 
(denn dieser ist unter dem idealisirenden Studenten von 1848 S. 111 zu ver 
stehen), in einem fast zarten Humanismus, den andern nach seinen Tagebüchern 
in seinem bedürftigen Lungern nach der von ihm doch verachteten Menschenwelt 
darstellt: doch sind diese anziehenden Capitel halb und halb Fremdlinge in dem 
sonst von den höchsten und edelsten Kunstinteressen erfüllten Buche. Auch 
Emerson hängt mit diesen zusammen, nicht als ob seine auch diesseits des Oceans 
(London 1847) gedruckten Gedichte irgend hervorragender Art wären: aber in 
ihm liegt eine Sehnsucht nach künstlerischer Gestaltung, welche seine philosophi 
schen, ästhetischen und psychologischen Abhandlungen bisweilen strahlend durch 
bricht. und doch auch wieder die Unterordnung der Ideale unter die Forderungen 
des praktischen Lebens, in welchem nur ein fester Charakter seine Pflicht thut. 
Grimm faßt die Kunst mit ernster Begeisterung nach ihren Rechten und Pflichten 
auf, und wir können zum Heil der gegenwärtigen Bildung nur wünschen, daß 
seine Klagen und Rathschläge an wirkungsreicher Stelle Gehör fänden, ja daß es 
ihm selbst einmal beschieden sein möchte selbständig und bestimmend aus die Schick 
sale des Kunstlebens zu wirken. Denn was er will, ist durchaus praktischer Art 
und bei allem Enthusiasmus von einer einseitigen Parteinahme weit entfernt. 
In einer umfangreichen Abhandlung, der zweiten der Sammlung, wird „die 
Akademie der Künste und das Verhältniß der Künstler zum Staate" besprochen; 
mit glücklichem, den Leitern aller derartigen Anstalten wohl zu wünschendem Takt 
das Handwerksmäßige aller Kunstübung und die Unabhängigkeit von der besonde 
ren Kunstweise des Lehrers oder akademischen Directors ausgeglichen und ein 
fruchtbarer Parallelismus zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Lernen 
hergestellt. Denn dreierlei ist klar. Erstens hat die Kunst eine so bestimmte 
Technik und so eigenthümliche Handgriffe, daß Gelegenheit zur Aneignung dersel 
ben geboten sein muß; hierfür fordert der Verfasser einmal als erste Stufe eine 
Zeichenschule, welche mit dem übrigen die geistige Ausbildung betrefseuden Un 
terricht etwa einem Gymnasium entsprechen und unentgeltlich benutzt werden 
solle; daran schließe sich als eine höhere, freiere, universitätsartige Stufe das 
freie Handzeichnen mit Vorlesungen. Mit Recht ist aus beiden Stufen das 
Zeichnen in den Vordergrund gestellt, in welchem selbst Tizian, ein Meister der 
Farbe, die eigentliche Grundlage der malerischen Schönheit fand. Die Kunst 
selbst ist nicht mittheilbar (S. 33), also auch nicht lehrbar: es genügt in den 
Akademien eine gründliche Vorbereitung darzubieten. Zweitens ist es immer 
als ein Nachtheil empfunden worden, daß auf den bisherigen Bilduugsaustalten 
für Kunst die besondere Individualität des Directors einen zu bestimmten Ein 
fluß nicht allein auf Technik, sondern auch auf Auffassung und künstlerische Ge 
staltung ausüben und die weniger widerstandsfähigen, weil noch nicht entwickel-
	        
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