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Notizen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
spätere Geschichte nicht nur in einem tieferen Sinne unverständlich sondern auch
reizlos sein würde, wenn nicht jene Vorgeschichte den Leser bereits in spanischer
Art und Weise orientirt und ihn mit den Personen bekannt gemacht hätte, welche
auch dort die Hauptrolle spielen. Wie es dem Verfasser gelingen wird, bei der
dürftigen Beschaffenheit der Quellen gelingen wird, ein Bild von jenem ver
wirrenden Wechsel von Revolution und Contrerevolution zu skizziren, welcher
die letzten fünfzig Jahre der spanischen Geschichte erfüllt hat, müssen wir ab
warten. Auf alle Fälle hat er sich den Grund und Boden dazu gesichert und
auf alle Fälle auch die Erwartung erregt, daß sein Fleiß, seine Kraft und Dar-
stellungMnstMbst dem verwickeltsten und sprödesten Stoffe gewachsen sein werde.
Moderne Essayisten. Herman Grimmst, sehr recht gethan, das
fremde „Essay" in unsere SpracheelAM^vkU^Telt Steele's und Addison's
Zeiten bis auf Macaulay har' dÄÄegrtff sich so verfeinert, daß das hausbackene
„Versuch" des vorigen Jahrhunderts ihn weder ganz noch transparent genug
deckt. Das Moment des Untersuchens tritt etwas in den Hintergrund; die
Hauptabsicht geht auf die künstlerische Darstellung einer Anschauung, welche eine
unmittelbar an den Schriftsteller herantretende Frage oder Thatsache in dessen
Seele eher lebendig angeregt als zu vollem Abschluß gebracht hat. Der ächte Es
say hat darum ein Anrecht darauf, subjectiv sein zu dürfen, wie er nur bedeu
tenderen Naturen ganz gelingen wird: er ist die ausgeführte prosaische Lyrik
unsers modernen Bewußtseins und erhebt sich so über die kältere Skizze. Dann
wird er uns fesseln, wenn wir mit einer tüchtigen Persönlichkeit durch diese ihre
Bekenntnisse über Menschen und Dinge vertraut zu werden meinen, und in diesem
fast persönlichen Verkehr zwischen Schriftsteller und Leser liegt auch der erste und
nächste Reiz der „Neuen Essays über Kunst und Literatur von Herman
Grimm" (Berlin, Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung, 1865). Ueberall in
diesen vorzugsweise das Gebiet der Kunst betreffenden Darstellungen giebt sich
uns mit lebendigster Unmittelbarkeit eine Persönlichkeit, die wir lieb haben und
schätzen, selbst da wo wir vielleicht nicht ganz mit ihren Anschauungen überein
stimmen; wir empfangen den vollen Eindruck einer ganzen Bildung, welche sich
selbst bei begrenzten Themen zu ihrem vollen Recht verhilft. Mit diesem Schrift
steller unterhält man sich nicht nur, man lernt nicht allein von ihm, sondern
gewinnt Vertrauen. Das Vorbild und Muster eines solchen Essayisten war in
dem Amerikaner Ralph Waldo Emerson gegeben, dessen Charakteristik der Ver
fasser daher mit Recht an die Spitze seiner Sammlung gestellt hat, und mit
immerhin bisweilen sehr subjectiven Aeußerungen über seine Zuneigung zu dem,
aus ganz abweichenden Bildungselementen hervorgegangenen, in einem ganz an
deren Culturkreise arbeitenden Philosophen, finden wir doch diesen wunderbaren
Mann hier zum ersten Mal treffend charakterisirt. Eine Ausführung des Um
standes, daß Emerson sich an Fichte's Philosophie anlehnte, würde noch weitere
Aufschlüsse ergeben haben; aber das Interesse an einem ganzen Charakter, dem