© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
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Doch das wäre nicht das Schlimmste, deutsche Erde ist ja
heimische Erde, und selbst wer im fremden Lande ruht, ruht
wohl, wenn er im Herzen der Seinigen fortlebt. Und dafür
müssen die Seinigen sorgen können. Sie müssen von ihm er
zählen, von seinen Thaten, seinen Leiden, seinem Streben, —
wenns ein Privatmann ist, im Familienkreise, wenn ein öffent
licher Charakter : Künstler, Dichter oder Gelehrter, öffentlich und
laut. Jede neue Generation muß zu ihm aufblicken lernen,
ähnlich Strebenden muß er ein Vorbild werden. Dies ist das
rechte Denkmal, das ein Land seinen edlen Söhnen setzt, dazu
ist ein Maal in Erz oder Stein blos ein Mittel der An
knüpfung. Aber dazu muß man ihn fühlen ganz als den
Seinigen, und dieß haben unsere dänischen Herrscher nie gelitten.
Sie haben unsern Größen das Herz des Volkes geraubt, ja was
das Aergste, dem Herzen des Volkes seine Größen, seine beste
Nahrung. Darum ist auch sein Mund zuletzt verstummt.
Wenn die deutschen Künstler vor zwei Jahren den Vorschlag ge
macht hätten, unserm Carstens einen Denkstein zu setzen, so
wäre gewiß die kopenhagener Akademie ihnen zuvor gekommen,
hätte den deutschen Mann als den ihrigen erklärt, als einen
Südjüten, der auch einmal auf der dänischen Malcrschule seine
Künste gelernt und den Deutschen später beigebracht, der freilich
nie eine Medaille bekommen, aber blos weil er so grob gewesen
sie sich zu verbitten.
Jetzt ist er unser. Und wenn die deutschen Künstler, ihm
zu besonderm Dank verpflichtet, sein Andenken in ihrer Weise
ehren, so wollen wir im Lande wenigstens etwas von dem
unsererseits Versäumten nachholen. Denn leider können wir
nicht alle Last der Schuld auf fremde Schultern wälzen.
Wiederum ist uns ein kunstsinniger Mann, der nicht dem enge
ren Vaterlands angehört, in dem Baren von Alcen vorange
gangen. Und während ich dieses schreibe, folgt ihm der Sohn
des Märchenerzählers und großen Sprachgelchctcn Wilhelm
Grimm, als der Verfasser des Lebens Michelangelos in der
Kunstgeschichte mit hohen Ehren genannt, in der zweiten Schrift,
die ich oben angeführt habe.
Beide Schriftchen ergänzen sich gegenseitig glücklich. Von
Aliens Brochürc ist mehr erzählender Art. Von Alten kennt
unser Land, er har einst in unsern Reihen mitgesochlen. Grimm's
Büchlein ist, als eine am 6. Ma'rz.d. I. in Berlin gehaltene
Rede, mehr betrachtender kunsthistorischer Natur. Es soll aber
hier nicht meine Ausgabe sein, diese Bücher kritisch zu besprechen
oder gar ihren Werth vergleichend abzuwägen, sondern nur sie
zu benutzen, um einige Thatsachen über Carstens mitzutheilen
und einige Reflexionen aus den Schriften anzuführen, die, aus
der Ferne kommend, die Ueberzeugung beibringen, daß ich als
Eingeborner nicht zu hoch von unserm Landsmann rede. Doch
darf ich auch noch auf die vorangehenden 3 Hefte der Zeitschrift
Grimm's, die sich nach Zweck und Art der Darstellung an seine
bekannten „Neuen Essays" und an seinen Michelangelo an
schließen, als auf eine geistvolle und ansprechende Lectüre jeden
Kunstfreund aufmerksam machen. Ein Mann von so feinem
Sinn und solcher unbestechlichen Wahrheitsliebe ist gerade in
diesem Fache ein Schatz für die Literatur und die Kunstwelt.
(Fortsetzung folgt.)
Asmus Jakob Carstens.
Von vr. Klaus Groth.
II.
Wenn man in der Stadt Schleswig die Straße nach An
geln hinaus den steilen Gallberg hinansteigt, wie ich daß auf
meinen Fußreisen im lieben Vaterlande so oft, im schönen
Sommer mit solchem Entzücken gethan, so trifft man fast auf
der Höhe eine Windmühle in holländischer Form, eine Achtkant,
wie der technische Ausdruck ist, mit Zwickstell, wie der balcon-
artige Umlauf um die Mühle genannt wird. Unsere Wind
mühlen sind für die Landschaft ein gar fröhlicher Schmuck.
Belebend winken sie aus der Ferne mit ihren beweglichen Armen,
gar oft verbergen sie in ihrem Innern eine poetische Existenz,
jedenfalls bezeichnen sie immer einen Fleck, wo die Elemente die
rohe Arbeit verrichten und der Mensch für Beachtung und Be
trachtung Zeit und Ruhe hat. — Auch Claus Harms war eines
Müllers Sohn. Er spricht es in seiner Lebensbeschreibung aus,
daß er sein Lebelang mit rechter Herzensfreude jede Windmühle
habe gehen sehen, — so lange seinen erblindeten Augen das
Sehen möglich war. Die Mühle auf dem Gallberge in Schles
wig, zum St. Jürgenskirchfpiele der Stadt gehörig, ist nicht
genau der Fleck, an dem Asmus Carstens' Wiege stand. Die
väterliche Mühle lag, wenn man über Schleswig hinaus steht,