Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Jacob und Wilhelm Grimm

Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 32 
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2004 Göttingische gel. Anzeigen 
Von der hochdeutschen Sprache mußten aber 
nicht bloß die übrigen Dialecte besiegt, sondern 
auch noch andere Schwierigkeiten überwunden 
werden. Durch das Christenthum und die kirch 
lichen Gebrauche war uns von frühster Zeit an 
eine fremde Sprache, die lateinische, zugebracht 
worden. Wer wollte leugnen, daß ihre häufige 
und vielfache Anwendung durch das ganze Mit 
telalter hindurch, dem Emporblsihen der einhei 
mischen Sprache wesentlichen-Schaden zugefügt 
hat? Es läßt sich ihr auch eine nützliche Seite 
absehen, aber doch verschwindet der Vortheil weit 
vor dem Nachtheil. Sie war nicht die reine 
Sprache der Alten, vielmehr eine verderbte, un 
beholfene, die auch zu unserer Erweckung wenig 
fruchtete. Als mit dem Wiederaufleben der clas 
sischen Literatur die Sache ein anderes Aussehen 
gewann, schlug sie'gleichwohl noch nicht sichtbar 
zum Vortheil der Muttersprache aus. Die ge 
lehrten Männer, welche in den Geist der alten 
Sprachen eindrangen , die unermeßliche Ueberle- 
genheit der darin aufbewahrten Werke empfan 
den, singen an, den Gebrauch ihrer angebornen 
Zunge, gleich als wäre D ihrer unwerth, zn 
vernachlässigen. Wenn man bedenkt, daß nun 
eine Menge lateinischer Bücher, Gedichte und 
Briefe nicht allein in Deutschland, sondern in 
dem ganzen gebildeten Europa von den gründ/ 
liebsten und erwecktesten Köpfen geschrieben wur 
de, so kann man den Aufwand von Talent, das 
sich allenthalben Bahn bricht, bewundern und 
doch eine Verschwendung der schönsten Gaben, 
kitte Selbstentäußerung, die sich bedeutender na 
türlicher Mittel muthwilkig einschlägt, bedauern. 
Diese Schriftsteller, indem sie scheinbare Vorzüge 
errangen, begaben sich dadurch vieler wesentlicher. 
Für ihren Ruhm bey der Nachwelt haben sie 
201. St., den 20. December 1830. 2005 
eigentlich nicht gesorgt, man liest ihre Werke 
fast nur noch um der Sache willen und aller 
Reiz der Form ist beynahe verscherzt. Das Ver 
hältniß der lateinischen und deutschen Sprache an 
sich selbst steht hierbey nicht in Frage. Die la 
teinische sey schöner, sie sey wohllautiger, sie sey 
gedrungener; das mag man und noch viel mehr 
einräumen, ohne damit der Kraft, dem Reich 
thum und auch der einzelnen Milde unserer 
Muttersprache im geringsten zu vergeben. Aber 
darauf koinmt es an, ob es möglich ist, daß in 
unserm Münde das Latein es gleich thue der an 
gestammten deutschen Sprache an innerer Fer 
tigkeit und Gefügigkeit, von welchen abhangt, 
daß es uns gelingt auszudrücken was wir sagen 
wollen? ob eine Sprache, die zu athmen auf 
gehört hat, die volle Lebenswärme neuer Ideen, 
die ungezwungene Natur jedes aufsteigenden Ge 
dankens erfassen, und wenn sie es könnte, ob 
sie ein großes heutiges Publicum durchdringen 
und ergreifen kann? Wie man auch antworten 
wöge, und es ist schwer alles das zu bejahen, 
darin wird man sich leicht vereinigen, daß durch 
die deutsche Literatur in einheimischer Sprache 
seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts dem 
festen und unverbrüchlichen Bestand der Verbin 
dung zwischen allen Völkern, die sich zu unserer 
Zunge bekennen, ein unberechenbarer Dienst ge 
leistet worden ist. Deutschland erhalten heißt 
also auch, alles auf die Pflege und Ausbildung 
deutscher Sprache wenden. Die eitle Frucht 
aber, durch Einschränkung jener practischen An 
wendung der lateinischen Sprache, möge ihrem 
gründlichen Studium Abbruch geschehen, wider 
legt schon die Zeit und noch schlagender der 
große Einfluß der griechischen auf unsere ge 
lehrte Bildung, ohne daß wir diese wie jene
	        

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