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Mit Freuden begrüßen wir deshalb die vorliegende Aus-
wähl aus den „Kleineren Schriften" von Jacob Grimm,
die vorzüglich dazu angethan ist, den größten Erforscher unse
res vaterländischen Alterthums, in Kreise, wohin seine Mytho
logie, die Weisthümer und sein deutsches Wörterbuch nicht drin
gen können, lebendig einzuführen. Diese Auswahl bietet ringe-
fähr den Inhalt des ersten Bandes der in demielben Verlage
erschienenen Gcsammt-Ausgabe der kleineren Schriften, und ent
hält unter anderw, die in oft aufgelegten Separat-Abdrückeu
verbreiteten Reden über Wilhelm Grimm, Schiller und über
das Alter, sowie die berühmte Abhandlung über den Ursprung
der Sprache. Außerdem enthält sie die Selbstbiographie, die
Erklärung über seine Entlastung aus Göttingen, welche uns
den starken deutschen Charakter in seinem VoÄrewußtsein ent
hüllt, Len herrlichen Aufsatz über das Pedantt,che in der deut
schen Sprache, welchen man jedes Jahr einmal in einer der
gelesensten deutschen Zeitschriften neu abdrucken sollte, und viele
andere Perlen. Jeden überraschen wird in den Reise-Eindrücken
die im Jahre 1844 niedergeschriebene prophetische Bemerkung,
daß die Einigung Deutschlands und Italiens anernandergeknüpst
seien. Der pietätvolle Neffe des Verfassers, der, wie es scheint,
die Auswahl leitete, und manche dankeuswerthe Erläuterung
hinzufügte, hat diesmal dem Zwecke des Buches, die Recht
schreibung des Oheims zum Opfer gebracht. ' Der unnach
ahmliche Zauber der Schreibweise Jacob Griinm's, die uns im
mer gemahnt, als spräche daraus Walther von der Vogelweide
in neuhochdeutscher Prosa, entbehrt zwar ungern der. ihm so na
rürlich anstehenden eigenen Form, aber auch so wird sich ihrer
zarten Gewalt Niemand erwehren. Kaum jemals hat ein anderer
deutscher Schriftsteller seinen Werten eine solche Innigkeit ein
zuhauchen vermocht, die uns manchmal in den einfachsten Wen
düngen zu Thränen rühren könnte — wir erinnern an Stellen
aus der Rede über Wilhelm Grimm und über das Alter, zum
Beispiel, wo er kurz derssstummeu Begegnungen mit dem Bruder
im Thiergarten gedenkt, die nun nicht mehr vorkämen. Hoffent
ück ist „die stille frohe Zeit, die auch wiederkehren wird", von
welcher er am Schluffe der Vorrede zur 2. Auflage seiner beut'
scheu Mythologie, eine größere Wirkung seiner Schriften er
wartete, nunmehr längst angebrochen, und jedenfalls wird diese
Auswahl hierfür «ls erwünschte Vermittlerin dienen. Wer also
den großen Germanisten noch nicht ans seinen eigenen Schriften
kennt, dem sei dieser Strauß einiger seiner edelsten Geistesblüthen
bestens zur Erquickung empfohlen.
— Im Verlage von Robert Oppenheim Hierselbst wird,
wie die „A. Z." erfährt, eine anonyme Broschüre erscheinen,
welche schwerlich verfehlen wird, durch ihre Enthüllungen über
einen wichtigen Zweig der inneren Staatsverwaltung, besonders
angesichts der bevorstehenden Cultus-Debatten, einiges Aussehen
zu machen. Der Titel ist: „Ein Stück ans der Vermal
tung des Hrn. v. Mühler", und der Inhalt betrifft die sy
stematische Depravation der evaugelisch-theologischen Fakultäten
Preußens wahrend des letzten Decenninms.
— Mittheilungen aus Justus Perthes' geograph.
Anstalt über wichtige Erforschungen aus dem Gesammtgebiete
der Geographie von vr. A. Petermauu. 1871. Heft XII. und
1872 Heft 1. Das erste Heft des neuen Jahrgangs der „Geograrchi
scheu Mittheilungen" und das kürzlich erschienene Schluß heft
für 1871 enthalten u. a. die sehr wichtige Original karte
der Central-Türkei von Dr. F. von Hochstetter im
Maßstabe von 1: 420,000, in Farbendruck, das complicirte, bis
zu dieser sehr bedeutenden Arbeit nur wenig bekannte Terrain
dieses Gebietes in braunem Tuschion; begleitet ist die Karte
von einer gediegenen und anziehenden Abhandlung des Berfas
fers. Dann folgen Berichte über das Reise-Unternehmen des
Russen Prsschewalski in der östlichen Mongolei, über
Dr. Schweinfnrth's Reise durch Dar Fertit und Dr.
Nachtigal'S Reise nach Kuka. Eine ganz neue Karbe
der westlichen Aequatorial-Gebiete Asrika's giebt das
Gesammt-Resultat der neuesten Aufnahmen und Forschungen
von Du Chaillu, Genoyer Walker, Aymeö u. A. die
gcographischeNekrologiedes Jahres 1871 führt eine Reihe
bedeutender Männer vor. Endlich bringen diese beiden Hefte 5 Ab
Handlungen und Berichte über die Geographie und Erforschung der
Polar-Regionen, No. 51 — 55, enthaltend: Wcyprecht's und
Payer's Originalbericht über ihre Entdeckung des schiffbaren
Polarmeeres zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja; Ge
neral-Rechnungsablage über die vier deutschen Expeditionen,
unter Koldewcy 1868/70. (100,693 Thaler), unter Zeit,
Heugliu, Weyprccht und Parier 1870/71. (2100 Thaler.);
die Reisen und Entdeckungen von Lamont, Jobiesen,
Mack und Carlsen in 187!; die amerikanische Nordpol
Expedition, Originalbericht von Dr. Bessels, dem Wissenschaft'
licken Chef der Expedition aus der Basfinbai vom 20. August
1871: Th. von Hcnglin's Bericht über Rosentdai's Forschungö
Expedition nach Nowaja Semlja 1871. Auch eine Original
karte ist diesen arktischen Berichten beigegeben.
— Der „K. Z." zufolge hat Professor Ibering in Wien den
Ruf nach Götlingen angenommen, nachdem die von ihm ge
stellten Bedingungen von Berlin aus Gewährung gefunden.
— Die betrübende Kunde von dem am Sonntag in Wien er
folgten Tode Grillparzer's hatte der Telegraph bereits gestern
gemeldet. Ueber die letzten Lebenstage deö „größten Dichters
Oesterreichs" enthalten die Wiener Blätter ausführlichere Mit
theilungen, denen wir das Folgende entnehmen: Franz Grill
parzer ist am 21. d. M.. Nachmittags um 3 Uhr, sechs Tage
nach vollendetem 81. Lebensjahre, anscheinend opue vorangegan
gene größere Leiden, sanft entschlummert. Man fand ihn todt
in seinem Armseffel. Seit ungefähr acht Tagen machte sich eine
starke und stetige Abnahme der Kräfte bemertbar, die keinen
Zweifel über den Zustand Grillparzcr's übrig ließ. Nur er
selbst ließ nichts merken. Er änderte an seiner gewohnten Le
bensweise rncht das Blindeste. Am Freitag war er noch voll
ungetrübter Zuversicht und besprach Vieles, was er für die nächste
Zeit vorhatte. Am Sonntag früh stand er wie immer gegen
10 Uhr auf, zog sich an und trank seinen Kaffee, zu dem er,
nach Gewohnheit, auch heute die Cigarre rauchte. Er hatte sich
hierbei in seinem Lehnstuhle niedergelassen, den er immer benutzt
und in dem er auch dis nach seinem Hinscheiden blieb. Die
seiden Aerzte Dr. Preyß und Dr. Breuning, ersterer sein Neffe,
waren außer den Damen Fröhlich seit zwei Tagen seine beftän-
Ligen Pfleger. In den Mittagsstunden schritt die Abnahme der
Kräfte rapid vor. Die Athemzüge wurden immer schwächer, bis
fie gegen halb 3 Uhr gänzlich aufgehört hatten. Ohne irgend
ein isefuht von Schmerz oder Leiden, den Kops au die Seite
gesenkt, war Grillparzer im Lehnstühle sanft entschlummert.
Die Wistenschaft der Aerzte konnte dem Verfalle des Lebensor-
ganismns keinen Einhalt thun. Dem frischen, bis zur letzten Stunde
regsamen Geiste stand die Hinfälligkeit deö Alters gegenüber. —
Die Beerdigung findet am Dienstag statt. - Aus seinem Leben
und über seine schriftstellerische Thätigkeit bringt die „D. Z."
folgende Notiz: Franz Grillparzer war am 15. Januar 1791,
der Sohn eines angesehenen Advokaten, in Wien geboren, trat
1813 in den Staatsdienst, ward 1833 Ärchiv-Direkror der Hof-
kammer und 1856 mit dem Hoftathstitel penstonirt. Nur'sei
ten verließ er seine Vaterstadt; im Jahre 1818 machte er einen
AuSflug nach Gastein, 1819 nach Italien, 1843 nach Griechen
land. Er bedurfte der Anregung durch fremde Länder und
wechselnde Eindrücke nicht, denn er trug eine ganze Welt in sich.
Seine Werke kennt das deutsche Volk, die deutsche Literatur;
die meisten derselben werden so lange wie diese beiben dauern.
Hein erstes Drama, „Die Ahnftau", geschrieben 1816, ward
1817 aufgeführt, 1818 folgte „Sappho", in den Jahren 1819
bi« 1821 die Trilogie „Das goldene Vließ", 1825: „König Ot
tokar's Glück und Enke"; 1828: „Ein treuer Diener seines
Herrn"; 1830: „Des Meeres und der Liede Wellen"; 1834:
„Der Traum ein Leben"; 1835: „Melusine" (Operntext, com-
ponirt von Conradin Kreutzer), 1835: „Weh' dem, der lügt".
Seitdem fehlt für sein dichterisches Schassen jeder chronologische
Anhaltepunkt, da er, über die Ausnahme des letzteren Stücks
eibittert, nichts mehr veröffenrlichte und sein Pult, in welchem
große Schätze lagerten, hartnäckig verschloß. Es kamen webl
noch die Erzählungen „Das Kloster von Saudomir" (1837)
und „Der alle Spielmann" (1848) in Druck, dramatische Werke
aber waren ihm nicht mehr zu entreißen, wenigstens keine voll
endeten. Das wunderbare Fragment „Esther", voll Weisheit
und dichterischer Schönheit, und die^Scene „Hannibal und Sci-
pio" waren Alles, was die Bühne seit 1835 von ihm erhielt.
Nesiden; Theater.
Von den Berliner Theatern waren es am Montage nur zwei,
die den Abend ausschließlich der Erinnerung an Lessingö '
Geburtstag widmeten, das National-Thcater mit Emilia
Galotti und das Belle-Alliance-Theatcr mit Miß Sara-Samp-
sön. Hierzu gesellte sich das Residenz-Theater, das der „Fer
nande" zur Feier L S Tages ein einaktiges Drama von Ru
dolph Menger: „Ein gefesselter Prometheus" vorausschickte.
Das Drama führt uns unseren Lessing in der Zeit seiner
tiefsten Roth und Drangsal als Bibliothekar in Wolfenbüttel
vor. Auch dort wär Geburtstag. Amalie König, seine Stieftochter,
und Frau Lore, seineMirthschafteriH^ schmücken Lessings Studir-
zimmer festlich mit Blumen. Aber Lessings Seele ist verdüstert, sein
Geburtstag findet ihnfastverzagend. Seine theologischen Forschun
gen und Streitschriften, zu denen ihn die „Wolsenbütteler Frag
mente eines Unbekannten" führten, haben ihm den Haß aller
Rechtgläubigen zugezogen und ihn in C.onstict mir dem
Consistorium gebracht. Hinzukommen die quälenden Sorgen um
das Dasein. Schon hat er seinen Nathan, sein poetisches Glau-
bensbckemitniß, begonnen, woher aber Ruhe und Muße neh
men es zu vollenden? Ta kommt als Netter in der Noth sein
alter treuer Freund, der jüdische Kaufmann Wessely enthebt ihn
durch einen Vorschuß von 300Thlr. der materiellen Noth und ent
fesselt den gefesselten Prometheus zur Vollendung seines größ
ten dramatischen Meisterwerks. Das Drama Rudolph MengerS
—- richtiger würde es unserer Ansicht nach als dramatischer
Prolog zu bezeichnen sein — trägt den Stempel innerster Pie
tät und wie es dem Herzen des Dichters entquollen war, so
ging es auch zum Herzen. Zuweilen freilich ließ die Begei
ferung den Mund des Dichters zu sehr überfließen und führte
ihn zu sehr in die Breite. Herr Hock wußte den Lessing wür
dig zu repräsentiern und Frl. Beeg, Frl. Gerber, Herr
Nestair und Herr Scheedel statteten (ihre bescheidenen Rol
len nach besten Kräften aus. Das Theater war bis auf den
letzten Platz gefüllt.
m « sik.
Die vierte Soirö.e der Berliner Syfnphonie-Kapelle,
welche unter Leitung deö Hrn. M. D. Deppe am Sonnabend
in der Singakademie stattfand, erfreute uns mit einer sehr dank
bar auszuuehmendeu Novität, einer Symphonie von Joachim
Raff, „Im Walde". Wir haben es hier mit einem Werke zu
thun, das sich weder damit begnügt, der akademischen Form
gerecht zu werden, noch sich in musikalische Grübeleien verirrt,
denen man Achtung zu erweisen genöthigt ist, ohne doch zu
eigentlich künstlerischer Freude zu gelangen, sondern das für den
ganzen Mnstksinn des Menschen bestimmt ist und, auö einer
lebendigen Emvfindung entsprungen, auch Phantasie und Ge
müth des Hörers in erfrischendes Weise anzuregen die Kraft
hat. Es ist, wenn man will, \ eine Programm-Symphonie,
woran wir aber nicht den mindesten Makel finden, wenn das
Programm nicht dazu hei Hai reu soll, eine Entschuldigung für
Trivialität, Gewaltsamkeit und Formlosigkeit zu sein; La nun
Raff gute Musik geschrieben hat.1 so ist die bestimmte anschau
liche Vorstellung, die er sich selbst und den Hörern auser-
chzte, die deS Waldlebens, nichts der Musik Fremdartiges, son-
Hrn nur ein Band zwischen ! dem rein idealen Donleben
ufid der realen Welt unserer Vorstellungen, wohl geeignet,
fcfti Genuß des Werkes zu erhöhen. Der Hörer weiß
nun, was die Motive bedeuten; er freut sich des Klangs
und freut sich der Bedeutung; und sollte auch hie und da in
der Fortführung eines Satzes manch ein Gedanke auftreten, der
mehr dem darzustellenden Gegenstand, als der rein musikalischen
Konsequenz seine Berechtigung verdankt, so hat der Compönist
von dieser Freiheit doch nur einen mäßigen Gebrauch gemacht;
ftin Werk hat, wie es scheint, nicht gerade den Zuschnitt einer
streng akademischen Symphonie, aber es schweift doch nur leicht
und in Aeußerlichkeiten davon ab. Lebendige Motive, eine
schwungvolle, sich energisch steigernde und wieder beruhigende
Durchführung, feine Harmonie und eine phantastevolle, alle
Reize deö modernen Ormesterö benutzende und den Hauptgedanken
durch geistvolle Nebenmotlbe eben so kühn als gefällig umran
kende Jnstrumennruug sind die Vorzüge, durch welche das neue
Werk sich so entschieden unsere Sympathie erwarb. Hin und
wieder macht er freilich sehr weite Zugeständnisse jener roman
tischen Richtung, die an die Stelle der idealen Schönheit das
kraus sich Verwirrende, bcchcmtisch Ueberschäumende setzt; aber
auch hier bleibt er der Künstler, der den Taumel zu beherrschen
weiß. Gehen wir auf Einzelnes ein, so hat uns in dem ersten
Satz, der das Tagesleben darstellt, das zweite Thema nebst
Allem, was sich daran anschließt, in seiner ruhigen Milde be
sonders zugesagt. Die herzstärkende Innigkeit des Waldes, alles
traulich Gemürhvolie, was sich in uns regt, wenn wir den hell-
beleuchteten und doch so schattigen, den lieblich grünenden und
duftenden Wald betreten, klingt uns darin an; es ist eine kleine
Idylle, die in Tönen an uns vorüberzieht. Das Hauptrhema
schien uns dagegen etwas trocken; die Durchführung mußte da
her ihren Reiz mehr auö Nebengedanken, die damit in Verbin
dung treten, zu entnehmen suchen. Der zweite Satz „in der
Dämmerung, Träumerei" hat einen narkotischen Reiz ier In-
ftrnmentirnng und eine süße, ins Unbestimmte zerfließende Me
lodik-. Nach unserem Geschmacke ist er etwas zu laug; aber das
mag subjektiv sein, wie lange es Jemandem in den Träumen
der Dämmerung zusagt. Der dritte Satz, „Tanz der Druiden",
an Mendelssohn sich anlehnend, an einer Stelle auch an das
Scherzo der nennten Symphonie erinnernd, ist schlank und zier
lich und in der Form vorzüglich abgerundet. Die Phantasie des
Compomsten schwingt sich wohl am höchsten in dem letzten Sätze
der „Nachts" überschrieben ist und uns in das echte romantische
Zauber land führt. . (Lin wildes Heer schauerlicher Gespenster
laust an uns vorüber, aber man folgt den kühnen und wilden
Wendungen ihrer Glieder, ihrem ungestümen Herandrin
gen doch mit einem geheimen Behagen; dazwischen tönen
liebliche SirencrÄäuge; zuletzt verklingt Alles und löst sich
in einen bymnenartgen, das Prächtige mit dem Gemüth-
vollen versöhnenden Schluß aus, der vielleicht das Herau-
brecken der Morgendämmerung, vielleicht auch den Preis
des Waldes oder einen altheidniscken Cultus bedeuten sott. Noch
ist die interessante Einleitung des letzten Satzes zu erwähnen,
in der der Compomst sehr glücklich dargestellt hat, wie gleich
sam aus dem Nichts, aus der Leere heraus, das dämonische
Nachtleben geboren wird. Das Werk, das sehr beifällig anfge-
uommen wurde, gelangt hoffentlich bald zur Wiederholung. Es
verdient naher gekannt zu werden. — Herr Rafael Jvfefsy
brachte Chopin's L-moU-Concert und eine Anzahl tleinercr
Composttionen zum Vortrag. Da wir fast alle »diese Stücke
erst vor Kurzem gehört und besprochen haben, so haben wir nur
zu erwähnen, daß er sie mit derselben meisterhaften Vollendung
vortrug wie früher, und mit Beifall überschüttet Mute. Fr!
Anna Beymel, eine Schülerin des Frl. Jenny Meyer, zeigte
in einer Rossini'fchen Arie eine außerordentlich weiche und
sympathische, in der Höhe leicht und sauber ansprechende Stimme,
fließende und geschmackvolle Coloratur und gefälligen Vortrag.
In zwei Liedern von Schubert und Kirchner hätten wir mehr
Energie des Ausdruckes und geringere Hörbarkeit des Athems
gewünscht, dock brachte auch hier die Zartheit und Innigkeit der
Empfindung sehr erfreuliche Wirkungen hervor.
Das von Herrn Hans v. Bülow am Montag in der Sing-
Akademie veranstaltete 'Concert hatte die ausgedehnteste Theil
nahme gefunden, wie es fick bei dem künstlerischen Ruf des
Concertgebers und .bei der Bedeutung, die er sich eine Reibe
von Jahren hindurch gerade in Berlin erworben hatte, auch
nicht anders erwarten ließ. Er trug mehr als zwei Stnnden
hindurch, ohne irgend welche Unterstützung und fast ohne Unter
brechung, Composttionen von Beethoven vor und gab damit
einen neuen Beweis der Ausdauer, die man von jeher an ihm
bewundert hatte. Das -Programm war gut zusammengestellt.
Werke ans allen Perioden des Meisters und aus den verschie
densten Gattungen der Claviermusik, Sonaten, Variationen,
Rondos, Menuetten n. s. w. wechselten mit einander ab. Ein
zelnes von dem, was Herr v. Bülow vortrug, wie etwa die
Variationen (Op. 34.) und das Rondo (Op. 129.), wird We
nigen bekannt gewesen sein, während Anderes, wie die beiden
Sonaten Op. 27., zu dein regelmäßigen Studiengaug jedes
Clavierspielers gehört. So weit sich in Concerte dieser Art,
die immer einen überwiegeüd ernsten, fast lehrhaften Charakter
haben werden, -Mannigfaltigkeit und Erfrischung bringen läßt,
wurde sie durch Herrn v. Bülow gewährt. Man darf ihn wohl
als Begründer dieser Art von Soiröen ansehen, denn wenn
früher ein Clavierspieler, nur ans seine Person sich stützend,
vor das Publikum trat, so blieb der Virtuose die Haupt-
fache; erst mit Hans v. Bülow beginnt die Rückwendung des
Virtuosenthums zur gediegenen Kunst und damit eine auch
nach anderen Richtungen bin eigenthümliche Signatur der
Zeit, in der wir leben. Der Empfang, der dem Künstler
bei seinem Erscheinen vor dem Publikum zu Theil wuide, war
ein sehr freundlicher. Was sein Spiel betrifft, so ist die Eigen
art deffelben uns unverändert so erschienen, wie wir sie in un
serer Erinnerung bewahrt hatten. Es ist möglich, daß in der
Ruhe des Vortrags, in der Feinheit des musikalischen Verständ
nisses, in der Zartheit deö Anschlags noch ein Fortschreiten zu
constatircn wäre: im Wesentlichen aber ist die Objectivität der
Auffassung und Darstellung, die gewissermaßen unbeugsame Si-
cheiheit in der Feststellung alles positiv Gegebenen, die Eigen
thümlichkeit des präcisen, aber etwas fleischlosen Anschlags die
selbe geblieben. Hr. v. -Bülow spielt so genau, daß der Zuhö
rer ein ihm unbekanntes Stück mit den lleinstcn Sechszehntheil-
Pausen, mit Staccatozeichen, Bogenstrichen u. s. w. vor Augen
zu sehen glaubt. Er geht auf die Intentionen des Komponisten
so innig ein, daß er uns z. B. im letzten Satz der Sonate
Op. 110. ein ganzes Seelendracka zur tönenden Erscheinung
bringt; was lebendigen und individuellen Claviervortrag betrifft,
so haben wir selten etwas so Vollendetes gehört, als eö die Aus
führung dieses Satzes war. Hinsichtlich beö Anschlags hat in
deß manch Anderer größeren sinnlichen Reiz sich zu erwerben
gewußt; Verstand und Energie des Willens behaupten bei Hrn.
v. Bülow über das Gefühl das Uebergewicht. Durch diese Ei-
gcnschaften hat er es denn auch vermocht, eine Bedeutung zu
erlangen, die mit seinem Auftreten im Concertsaal nicht abge-
schloßen ist; er ist nicht blos ein einzelner hervorragender Pia
nist, sondern Vertreter eines Prinzips geworden. G. E.
Gerichtsverhandlungen.
— Vor dem ersten Kriminal-Senat des Obcrtribuuals
gelangte am 22. d. folgende ans einer höchst mysteriösen Ge-
schichte beruhende Nichtigkeitsbeschwerde zur Verhandlung.
91ach einem weitverbreiteten Gerücht sollte der ehemalige Unter
offizier Jagcschüt; im vorigen Jahrhundert ans seinem in der
Rheinpfalz telegenen Wohnorte ausgewandert sein und sich nack
Preußen gewandt haben, nachdem er sein angeblich sich auf
mehrere Millionen belaufendes Vermögen in einem Jesuiten-
Kloster in Mainz untergebracht. Als er später in Königs
berg eines plötzlichen Todes verstorben, sollten, so hies es wei
ter. ' seine Legitimatiouspapiere an einen Nachkommen, welcher
längere Zeit hindurch als Arbeiter bei dem in Stolp (in Hinter-
Pommern) wohnenden Bernstein - Fabrikanten Westphal in
Dienst gestanden, gelangt fein. Nachdem der hiesige Kaufmann
Kaempf durch den Maurermeister Neiutann ans Stolp hier
von Kenntniß erlangt, wüßte er den Jageschütz zur Ueber-
siedelung nach Berlin zu veranlassen, wo er ihm Unterhalt ge
währte, und zwar aus keinem andern Grunde, als sich nach
seinem Ableben auö seinem vermeintlichen Nachlaße be
zahlt zu machen. Plötzlich reiste jedoch Jag> schütz in Folge
einer an ihn ergangenen Aufforderung eines unbekannt Geblie-
Lenen nach' Wittenberg unb starb daselbst 1869 kurze Zeit nach
breitete sich das Gerücht, jene beiden hätten sich in Besitz der
Jageschütz'schen Legitimationspapiere zu setzen und mit ihrer
Hilfe die Mainzer Erbschaft zu heben gewußt, und sowohl
Reimann als Kaempf chenkten demselben unbedingten Glau
ben, wozu letzterer noch durch folgende sonderbare Umstände be
stärkt wurde. Kaempss Frau besuchte nämlich eines Tages die
„berühmte" Kartenlegerin Laduer, Gartenstraße 157., und
erhielt von derselben die Auskunft, daß sie in eine äußerst schwie
rige Erbschaftsangelegenheit verwickelt sei, die ihr dieselbe zu
sein scheine, bezüglich welcher sich früher eine Dame ans Stolp
bei ihr Rathes erholt habe. Befragt, welche die Art jener ge
wesen fei, erzählte die Ladner, daß einmal eine fremde Dame
sie behufs möglichen Antritts einer Erbschaft consultirt, jedoch
die ans den Karten ersichtliche Erklärung erhalten habe, Latz
dieselbe äußerst verwickelt erscheine, da die hierzu erfor-
derlichen Papiere in unrechtmäßiger Weise in ihren Be
sitz gelangt seien, wofür ihr Ehemann später einmal
in das Gefängniß kommen werde. Bei diesen Worten
sei die Dame im Gesicht ganz bleich und ihre Lippen
blau geworden, dennoch habe sie das Begehren gestattet, ihr ein
Sympathiemittel zu gewähren, vermöge dessen sie einen alten
Manu, den betreffenden Erblasser, aus dem Wege schaffen könne.
Frau Ladner habe zwar dies Ansinnen mit Abscheu zurückge
wiesen, später aber nochmals den Besuch der Fremden erhalten,
die ihr nun erzählt, daß die Erbschaft angetreten sei. Das letz
tere keine andere als Frau Westphal gewesen, stand bei Kaempf,
als er diese misteriöse Erzählung hörte, sofort fest; und nähere
Recherchen seinerseits ergaben, daß die Kartenlegerin ans Per
sonalbeschreibung und Photographie die Gemeinte recognoscirre.
Nun reiste Kaempf. welcher aus dem Munde eines ehemaligen
Rechners bei der Domfabrik in Mainz wissen wollte, daß in
der That teuer die Jageschütz'schen Missionen hinter sich habe, nach
Mainz, und setzte sich mit dem derzeitigen Rechner in Verbindung
und legte ihm die Frage vor, ob er geneigt sei, eine in nächster Zeit
liquid werdende bedeutende Erbschaft einer Dame ans Holland
in Verwahrung zu nehmen, welche jener mit der Bemerkung
daß der übst che Zinsfuß 4 pCt. betrage, bejahte. Einige Zeit
später wandte' sich Kaempf schriftlich an den Rechner mit dem
Ersuchen, ihm Mittheilung davon zu machen, ob bei der Dom-
Fabrik eine 'Fahrschütz'sche Erbschaft deponirt sei, und wer den
Zinögemiß-von derselben habe. Die Antwort lautete, daß eine
'solche nicht bekannt fei, auch ftüher niemals bestanden habe, da
die Bücher nichts dovon ergäben. Dessenungeachtet bestand