Full text: Zeitungsausschnitte über Werke von Jacob und Wilhelm Grimm

k 
ä 
T 
Mit Freuden begrüßen wir deshalb die vorliegende Aus- 
wähl aus den „Kleineren Schriften" von Jacob Grimm, 
die vorzüglich dazu angethan ist, den größten Erforscher unse 
res vaterländischen Alterthums, in Kreise, wohin seine Mytho 
logie, die Weisthümer und sein deutsches Wörterbuch nicht drin 
gen können, lebendig einzuführen. Diese Auswahl bietet ringe- 
fähr den Inhalt des ersten Bandes der in demielben Verlage 
erschienenen Gcsammt-Ausgabe der kleineren Schriften, und ent 
hält unter anderw, die in oft aufgelegten Separat-Abdrückeu 
verbreiteten Reden über Wilhelm Grimm, Schiller und über 
das Alter, sowie die berühmte Abhandlung über den Ursprung 
der Sprache. Außerdem enthält sie die Selbstbiographie, die 
Erklärung über seine Entlastung aus Göttingen, welche uns 
den starken deutschen Charakter in seinem VoÄrewußtsein ent 
hüllt, Len herrlichen Aufsatz über das Pedantt,che in der deut 
schen Sprache, welchen man jedes Jahr einmal in einer der 
gelesensten deutschen Zeitschriften neu abdrucken sollte, und viele 
andere Perlen. Jeden überraschen wird in den Reise-Eindrücken 
die im Jahre 1844 niedergeschriebene prophetische Bemerkung, 
daß die Einigung Deutschlands und Italiens anernandergeknüpst 
seien. Der pietätvolle Neffe des Verfassers, der, wie es scheint, 
die Auswahl leitete, und manche dankeuswerthe Erläuterung 
hinzufügte, hat diesmal dem Zwecke des Buches, die Recht 
schreibung des Oheims zum Opfer gebracht. ' Der unnach 
ahmliche Zauber der Schreibweise Jacob Griinm's, die uns im 
mer gemahnt, als spräche daraus Walther von der Vogelweide 
in neuhochdeutscher Prosa, entbehrt zwar ungern der. ihm so na 
rürlich anstehenden eigenen Form, aber auch so wird sich ihrer 
zarten Gewalt Niemand erwehren. Kaum jemals hat ein anderer 
deutscher Schriftsteller seinen Werten eine solche Innigkeit ein 
zuhauchen vermocht, die uns manchmal in den einfachsten Wen 
düngen zu Thränen rühren könnte — wir erinnern an Stellen 
aus der Rede über Wilhelm Grimm und über das Alter, zum 
Beispiel, wo er kurz derssstummeu Begegnungen mit dem Bruder 
im Thiergarten gedenkt, die nun nicht mehr vorkämen. Hoffent 
ück ist „die stille frohe Zeit, die auch wiederkehren wird", von 
welcher er am Schluffe der Vorrede zur 2. Auflage seiner beut' 
scheu Mythologie, eine größere Wirkung seiner Schriften er 
wartete, nunmehr längst angebrochen, und jedenfalls wird diese 
Auswahl hierfür «ls erwünschte Vermittlerin dienen. Wer also 
den großen Germanisten noch nicht ans seinen eigenen Schriften 
kennt, dem sei dieser Strauß einiger seiner edelsten Geistesblüthen 
bestens zur Erquickung empfohlen. 
— Im Verlage von Robert Oppenheim Hierselbst wird, 
wie die „A. Z." erfährt, eine anonyme Broschüre erscheinen, 
welche schwerlich verfehlen wird, durch ihre Enthüllungen über 
einen wichtigen Zweig der inneren Staatsverwaltung, besonders 
angesichts der bevorstehenden Cultus-Debatten, einiges Aussehen 
zu machen. Der Titel ist: „Ein Stück ans der Vermal 
tung des Hrn. v. Mühler", und der Inhalt betrifft die sy 
stematische Depravation der evaugelisch-theologischen Fakultäten 
Preußens wahrend des letzten Decenninms. 
— Mittheilungen aus Justus Perthes' geograph. 
Anstalt über wichtige Erforschungen aus dem Gesammtgebiete 
der Geographie von vr. A. Petermauu. 1871. Heft XII. und 
1872 Heft 1. Das erste Heft des neuen Jahrgangs der „Geograrchi 
scheu Mittheilungen" und das kürzlich erschienene Schluß heft 
für 1871 enthalten u. a. die sehr wichtige Original karte 
der Central-Türkei von Dr. F. von Hochstetter im 
Maßstabe von 1: 420,000, in Farbendruck, das complicirte, bis 
zu dieser sehr bedeutenden Arbeit nur wenig bekannte Terrain 
dieses Gebietes in braunem Tuschion; begleitet ist die Karte 
von einer gediegenen und anziehenden Abhandlung des Berfas 
fers. Dann folgen Berichte über das Reise-Unternehmen des 
Russen Prsschewalski in der östlichen Mongolei, über 
Dr. Schweinfnrth's Reise durch Dar Fertit und Dr. 
Nachtigal'S Reise nach Kuka. Eine ganz neue Karbe 
der westlichen Aequatorial-Gebiete Asrika's giebt das 
Gesammt-Resultat der neuesten Aufnahmen und Forschungen 
von Du Chaillu, Genoyer Walker, Aymeö u. A. die 
gcographischeNekrologiedes Jahres 1871 führt eine Reihe 
bedeutender Männer vor. Endlich bringen diese beiden Hefte 5 Ab 
Handlungen und Berichte über die Geographie und Erforschung der 
Polar-Regionen, No. 51 — 55, enthaltend: Wcyprecht's und 
Payer's Originalbericht über ihre Entdeckung des schiffbaren 
Polarmeeres zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja; Ge 
neral-Rechnungsablage über die vier deutschen Expeditionen, 
unter Koldewcy 1868/70. (100,693 Thaler), unter Zeit, 
Heugliu, Weyprccht und Parier 1870/71. (2100 Thaler.); 
die Reisen und Entdeckungen von Lamont, Jobiesen, 
Mack und Carlsen in 187!; die amerikanische Nordpol 
Expedition, Originalbericht von Dr. Bessels, dem Wissenschaft' 
licken Chef der Expedition aus der Basfinbai vom 20. August 
1871: Th. von Hcnglin's Bericht über Rosentdai's Forschungö 
Expedition nach Nowaja Semlja 1871. Auch eine Original 
karte ist diesen arktischen Berichten beigegeben. 
— Der „K. Z." zufolge hat Professor Ibering in Wien den 
Ruf nach Götlingen angenommen, nachdem die von ihm ge 
stellten Bedingungen von Berlin aus Gewährung gefunden. 
— Die betrübende Kunde von dem am Sonntag in Wien er 
folgten Tode Grillparzer's hatte der Telegraph bereits gestern 
gemeldet. Ueber die letzten Lebenstage deö „größten Dichters 
Oesterreichs" enthalten die Wiener Blätter ausführlichere Mit 
theilungen, denen wir das Folgende entnehmen: Franz Grill 
parzer ist am 21. d. M.. Nachmittags um 3 Uhr, sechs Tage 
nach vollendetem 81. Lebensjahre, anscheinend opue vorangegan 
gene größere Leiden, sanft entschlummert. Man fand ihn todt 
in seinem Armseffel. Seit ungefähr acht Tagen machte sich eine 
starke und stetige Abnahme der Kräfte bemertbar, die keinen 
Zweifel über den Zustand Grillparzcr's übrig ließ. Nur er 
selbst ließ nichts merken. Er änderte an seiner gewohnten Le 
bensweise rncht das Blindeste. Am Freitag war er noch voll 
ungetrübter Zuversicht und besprach Vieles, was er für die nächste 
Zeit vorhatte. Am Sonntag früh stand er wie immer gegen 
10 Uhr auf, zog sich an und trank seinen Kaffee, zu dem er, 
nach Gewohnheit, auch heute die Cigarre rauchte. Er hatte sich 
hierbei in seinem Lehnstuhle niedergelassen, den er immer benutzt 
und in dem er auch dis nach seinem Hinscheiden blieb. Die 
seiden Aerzte Dr. Preyß und Dr. Breuning, ersterer sein Neffe, 
waren außer den Damen Fröhlich seit zwei Tagen seine beftän- 
Ligen Pfleger. In den Mittagsstunden schritt die Abnahme der 
Kräfte rapid vor. Die Athemzüge wurden immer schwächer, bis 
fie gegen halb 3 Uhr gänzlich aufgehört hatten. Ohne irgend 
ein isefuht von Schmerz oder Leiden, den Kops au die Seite 
gesenkt, war Grillparzer im Lehnstühle sanft entschlummert. 
Die Wistenschaft der Aerzte konnte dem Verfalle des Lebensor- 
ganismns keinen Einhalt thun. Dem frischen, bis zur letzten Stunde 
regsamen Geiste stand die Hinfälligkeit deö Alters gegenüber. — 
Die Beerdigung findet am Dienstag statt. - Aus seinem Leben 
und über seine schriftstellerische Thätigkeit bringt die „D. Z." 
folgende Notiz: Franz Grillparzer war am 15. Januar 1791, 
der Sohn eines angesehenen Advokaten, in Wien geboren, trat 
1813 in den Staatsdienst, ward 1833 Ärchiv-Direkror der Hof- 
kammer und 1856 mit dem Hoftathstitel penstonirt. Nur'sei 
ten verließ er seine Vaterstadt; im Jahre 1818 machte er einen 
AuSflug nach Gastein, 1819 nach Italien, 1843 nach Griechen 
land. Er bedurfte der Anregung durch fremde Länder und 
wechselnde Eindrücke nicht, denn er trug eine ganze Welt in sich. 
Seine Werke kennt das deutsche Volk, die deutsche Literatur; 
die meisten derselben werden so lange wie diese beiben dauern. 
Hein erstes Drama, „Die Ahnftau", geschrieben 1816, ward 
1817 aufgeführt, 1818 folgte „Sappho", in den Jahren 1819 
bi« 1821 die Trilogie „Das goldene Vließ", 1825: „König Ot 
tokar's Glück und Enke"; 1828: „Ein treuer Diener seines 
Herrn"; 1830: „Des Meeres und der Liede Wellen"; 1834: 
„Der Traum ein Leben"; 1835: „Melusine" (Operntext, com- 
ponirt von Conradin Kreutzer), 1835: „Weh' dem, der lügt". 
Seitdem fehlt für sein dichterisches Schassen jeder chronologische 
Anhaltepunkt, da er, über die Ausnahme des letzteren Stücks 
eibittert, nichts mehr veröffenrlichte und sein Pult, in welchem 
große Schätze lagerten, hartnäckig verschloß. Es kamen webl 
noch die Erzählungen „Das Kloster von Saudomir" (1837) 
und „Der alle Spielmann" (1848) in Druck, dramatische Werke 
aber waren ihm nicht mehr zu entreißen, wenigstens keine voll 
endeten. Das wunderbare Fragment „Esther", voll Weisheit 
und dichterischer Schönheit, und die^Scene „Hannibal und Sci- 
pio" waren Alles, was die Bühne seit 1835 von ihm erhielt. 
Nesiden; Theater. 
Von den Berliner Theatern waren es am Montage nur zwei, 
die den Abend ausschließlich der Erinnerung an Lessingö ' 
Geburtstag widmeten, das National-Thcater mit Emilia 
Galotti und das Belle-Alliance-Theatcr mit Miß Sara-Samp- 
sön. Hierzu gesellte sich das Residenz-Theater, das der „Fer 
nande" zur Feier L S Tages ein einaktiges Drama von Ru 
dolph Menger: „Ein gefesselter Prometheus" vorausschickte. 
Das Drama führt uns unseren Lessing in der Zeit seiner 
tiefsten Roth und Drangsal als Bibliothekar in Wolfenbüttel 
vor. Auch dort wär Geburtstag. Amalie König, seine Stieftochter, 
und Frau Lore, seineMirthschafteriH^ schmücken Lessings Studir- 
zimmer festlich mit Blumen. Aber Lessings Seele ist verdüstert, sein 
Geburtstag findet ihnfastverzagend. Seine theologischen Forschun 
gen und Streitschriften, zu denen ihn die „Wolsenbütteler Frag 
mente eines Unbekannten" führten, haben ihm den Haß aller 
Rechtgläubigen zugezogen und ihn in C.onstict mir dem 
Consistorium gebracht. Hinzukommen die quälenden Sorgen um 
das Dasein. Schon hat er seinen Nathan, sein poetisches Glau- 
bensbckemitniß, begonnen, woher aber Ruhe und Muße neh 
men es zu vollenden? Ta kommt als Netter in der Noth sein 
alter treuer Freund, der jüdische Kaufmann Wessely enthebt ihn 
durch einen Vorschuß von 300Thlr. der materiellen Noth und ent 
fesselt den gefesselten Prometheus zur Vollendung seines größ 
ten dramatischen Meisterwerks. Das Drama Rudolph MengerS 
—- richtiger würde es unserer Ansicht nach als dramatischer 
Prolog zu bezeichnen sein — trägt den Stempel innerster Pie 
tät und wie es dem Herzen des Dichters entquollen war, so 
ging es auch zum Herzen. Zuweilen freilich ließ die Begei 
ferung den Mund des Dichters zu sehr überfließen und führte 
ihn zu sehr in die Breite. Herr Hock wußte den Lessing wür 
dig zu repräsentiern und Frl. Beeg, Frl. Gerber, Herr 
Nestair und Herr Scheedel statteten (ihre bescheidenen Rol 
len nach besten Kräften aus. Das Theater war bis auf den 
letzten Platz gefüllt. 
m « sik. 
Die vierte Soirö.e der Berliner Syfnphonie-Kapelle, 
welche unter Leitung deö Hrn. M. D. Deppe am Sonnabend 
in der Singakademie stattfand, erfreute uns mit einer sehr dank 
bar auszuuehmendeu Novität, einer Symphonie von Joachim 
Raff, „Im Walde". Wir haben es hier mit einem Werke zu 
thun, das sich weder damit begnügt, der akademischen Form 
gerecht zu werden, noch sich in musikalische Grübeleien verirrt, 
denen man Achtung zu erweisen genöthigt ist, ohne doch zu 
eigentlich künstlerischer Freude zu gelangen, sondern das für den 
ganzen Mnstksinn des Menschen bestimmt ist und, auö einer 
lebendigen Emvfindung entsprungen, auch Phantasie und Ge 
müth des Hörers in erfrischendes Weise anzuregen die Kraft 
hat. Es ist, wenn man will, \ eine Programm-Symphonie, 
woran wir aber nicht den mindesten Makel finden, wenn das 
Programm nicht dazu hei Hai reu soll, eine Entschuldigung für 
Trivialität, Gewaltsamkeit und Formlosigkeit zu sein; La nun 
Raff gute Musik geschrieben hat.1 so ist die bestimmte anschau 
liche Vorstellung, die er sich selbst und den Hörern auser- 
chzte, die deS Waldlebens, nichts der Musik Fremdartiges, son- 
Hrn nur ein Band zwischen ! dem rein idealen Donleben 
ufid der realen Welt unserer Vorstellungen, wohl geeignet, 
fcfti Genuß des Werkes zu erhöhen. Der Hörer weiß 
nun, was die Motive bedeuten; er freut sich des Klangs 
und freut sich der Bedeutung; und sollte auch hie und da in 
der Fortführung eines Satzes manch ein Gedanke auftreten, der 
mehr dem darzustellenden Gegenstand, als der rein musikalischen 
Konsequenz seine Berechtigung verdankt, so hat der Compönist 
von dieser Freiheit doch nur einen mäßigen Gebrauch gemacht; 
ftin Werk hat, wie es scheint, nicht gerade den Zuschnitt einer 
streng akademischen Symphonie, aber es schweift doch nur leicht 
und in Aeußerlichkeiten davon ab. Lebendige Motive, eine 
schwungvolle, sich energisch steigernde und wieder beruhigende 
Durchführung, feine Harmonie und eine phantastevolle, alle 
Reize deö modernen Ormesterö benutzende und den Hauptgedanken 
durch geistvolle Nebenmotlbe eben so kühn als gefällig umran 
kende Jnstrumennruug sind die Vorzüge, durch welche das neue 
Werk sich so entschieden unsere Sympathie erwarb. Hin und 
wieder macht er freilich sehr weite Zugeständnisse jener roman 
tischen Richtung, die an die Stelle der idealen Schönheit das 
kraus sich Verwirrende, bcchcmtisch Ueberschäumende setzt; aber 
auch hier bleibt er der Künstler, der den Taumel zu beherrschen 
weiß. Gehen wir auf Einzelnes ein, so hat uns in dem ersten 
Satz, der das Tagesleben darstellt, das zweite Thema nebst 
Allem, was sich daran anschließt, in seiner ruhigen Milde be 
sonders zugesagt. Die herzstärkende Innigkeit des Waldes, alles 
traulich Gemürhvolie, was sich in uns regt, wenn wir den hell- 
beleuchteten und doch so schattigen, den lieblich grünenden und 
duftenden Wald betreten, klingt uns darin an; es ist eine kleine 
Idylle, die in Tönen an uns vorüberzieht. Das Hauptrhema 
schien uns dagegen etwas trocken; die Durchführung mußte da 
her ihren Reiz mehr auö Nebengedanken, die damit in Verbin 
dung treten, zu entnehmen suchen. Der zweite Satz „in der 
Dämmerung, Träumerei" hat einen narkotischen Reiz ier In- 
ftrnmentirnng und eine süße, ins Unbestimmte zerfließende Me 
lodik-. Nach unserem Geschmacke ist er etwas zu laug; aber das 
mag subjektiv sein, wie lange es Jemandem in den Träumen 
der Dämmerung zusagt. Der dritte Satz, „Tanz der Druiden", 
an Mendelssohn sich anlehnend, an einer Stelle auch an das 
Scherzo der nennten Symphonie erinnernd, ist schlank und zier 
lich und in der Form vorzüglich abgerundet. Die Phantasie des 
Compomsten schwingt sich wohl am höchsten in dem letzten Sätze 
der „Nachts" überschrieben ist und uns in das echte romantische 
Zauber land führt. . (Lin wildes Heer schauerlicher Gespenster 
laust an uns vorüber, aber man folgt den kühnen und wilden 
Wendungen ihrer Glieder, ihrem ungestümen Herandrin 
gen doch mit einem geheimen Behagen; dazwischen tönen 
liebliche SirencrÄäuge; zuletzt verklingt Alles und löst sich 
in einen bymnenartgen, das Prächtige mit dem Gemüth- 
vollen versöhnenden Schluß aus, der vielleicht das Herau- 
brecken der Morgendämmerung, vielleicht auch den Preis 
des Waldes oder einen altheidniscken Cultus bedeuten sott. Noch 
ist die interessante Einleitung des letzten Satzes zu erwähnen, 
in der der Compomst sehr glücklich dargestellt hat, wie gleich 
sam aus dem Nichts, aus der Leere heraus, das dämonische 
Nachtleben geboren wird. Das Werk, das sehr beifällig anfge- 
uommen wurde, gelangt hoffentlich bald zur Wiederholung. Es 
verdient naher gekannt zu werden. — Herr Rafael Jvfefsy 
brachte Chopin's L-moU-Concert und eine Anzahl tleinercr 
Composttionen zum Vortrag. Da wir fast alle »diese Stücke 
erst vor Kurzem gehört und besprochen haben, so haben wir nur 
zu erwähnen, daß er sie mit derselben meisterhaften Vollendung 
vortrug wie früher, und mit Beifall überschüttet Mute. Fr! 
Anna Beymel, eine Schülerin des Frl. Jenny Meyer, zeigte 
in einer Rossini'fchen Arie eine außerordentlich weiche und 
sympathische, in der Höhe leicht und sauber ansprechende Stimme, 
fließende und geschmackvolle Coloratur und gefälligen Vortrag. 
In zwei Liedern von Schubert und Kirchner hätten wir mehr 
Energie des Ausdruckes und geringere Hörbarkeit des Athems 
gewünscht, dock brachte auch hier die Zartheit und Innigkeit der 
Empfindung sehr erfreuliche Wirkungen hervor. 
Das von Herrn Hans v. Bülow am Montag in der Sing- 
Akademie veranstaltete 'Concert hatte die ausgedehnteste Theil 
nahme gefunden, wie es fick bei dem künstlerischen Ruf des 
Concertgebers und .bei der Bedeutung, die er sich eine Reibe 
von Jahren hindurch gerade in Berlin erworben hatte, auch 
nicht anders erwarten ließ. Er trug mehr als zwei Stnnden 
hindurch, ohne irgend welche Unterstützung und fast ohne Unter 
brechung, Composttionen von Beethoven vor und gab damit 
einen neuen Beweis der Ausdauer, die man von jeher an ihm 
bewundert hatte. Das -Programm war gut zusammengestellt. 
Werke ans allen Perioden des Meisters und aus den verschie 
densten Gattungen der Claviermusik, Sonaten, Variationen, 
Rondos, Menuetten n. s. w. wechselten mit einander ab. Ein 
zelnes von dem, was Herr v. Bülow vortrug, wie etwa die 
Variationen (Op. 34.) und das Rondo (Op. 129.), wird We 
nigen bekannt gewesen sein, während Anderes, wie die beiden 
Sonaten Op. 27., zu dein regelmäßigen Studiengaug jedes 
Clavierspielers gehört. So weit sich in Concerte dieser Art, 
die immer einen überwiegeüd ernsten, fast lehrhaften Charakter 
haben werden, -Mannigfaltigkeit und Erfrischung bringen läßt, 
wurde sie durch Herrn v. Bülow gewährt. Man darf ihn wohl 
als Begründer dieser Art von Soiröen ansehen, denn wenn 
früher ein Clavierspieler, nur ans seine Person sich stützend, 
vor das Publikum trat, so blieb der Virtuose die Haupt- 
fache; erst mit Hans v. Bülow beginnt die Rückwendung des 
Virtuosenthums zur gediegenen Kunst und damit eine auch 
nach anderen Richtungen bin eigenthümliche Signatur der 
Zeit, in der wir leben. Der Empfang, der dem Künstler 
bei seinem Erscheinen vor dem Publikum zu Theil wuide, war 
ein sehr freundlicher. Was sein Spiel betrifft, so ist die Eigen 
art deffelben uns unverändert so erschienen, wie wir sie in un 
serer Erinnerung bewahrt hatten. Es ist möglich, daß in der 
Ruhe des Vortrags, in der Feinheit des musikalischen Verständ 
nisses, in der Zartheit deö Anschlags noch ein Fortschreiten zu 
constatircn wäre: im Wesentlichen aber ist die Objectivität der 
Auffassung und Darstellung, die gewissermaßen unbeugsame Si- 
cheiheit in der Feststellung alles positiv Gegebenen, die Eigen 
thümlichkeit des präcisen, aber etwas fleischlosen Anschlags die 
selbe geblieben. Hr. v. -Bülow spielt so genau, daß der Zuhö 
rer ein ihm unbekanntes Stück mit den lleinstcn Sechszehntheil- 
Pausen, mit Staccatozeichen, Bogenstrichen u. s. w. vor Augen 
zu sehen glaubt. Er geht auf die Intentionen des Komponisten 
so innig ein, daß er uns z. B. im letzten Satz der Sonate 
Op. 110. ein ganzes Seelendracka zur tönenden Erscheinung 
bringt; was lebendigen und individuellen Claviervortrag betrifft, 
so haben wir selten etwas so Vollendetes gehört, als eö die Aus 
führung dieses Satzes war. Hinsichtlich beö Anschlags hat in 
deß manch Anderer größeren sinnlichen Reiz sich zu erwerben 
gewußt; Verstand und Energie des Willens behaupten bei Hrn. 
v. Bülow über das Gefühl das Uebergewicht. Durch diese Ei- 
gcnschaften hat er es denn auch vermocht, eine Bedeutung zu 
erlangen, die mit seinem Auftreten im Concertsaal nicht abge- 
schloßen ist; er ist nicht blos ein einzelner hervorragender Pia 
nist, sondern Vertreter eines Prinzips geworden. G. E. 
Gerichtsverhandlungen. 
— Vor dem ersten Kriminal-Senat des Obcrtribuuals 
gelangte am 22. d. folgende ans einer höchst mysteriösen Ge- 
schichte beruhende Nichtigkeitsbeschwerde zur Verhandlung. 
91ach einem weitverbreiteten Gerücht sollte der ehemalige Unter 
offizier Jagcschüt; im vorigen Jahrhundert ans seinem in der 
Rheinpfalz telegenen Wohnorte ausgewandert sein und sich nack 
Preußen gewandt haben, nachdem er sein angeblich sich auf 
mehrere Millionen belaufendes Vermögen in einem Jesuiten- 
Kloster in Mainz untergebracht. Als er später in Königs 
berg eines plötzlichen Todes verstorben, sollten, so hies es wei 
ter. ' seine Legitimatiouspapiere an einen Nachkommen, welcher 
längere Zeit hindurch als Arbeiter bei dem in Stolp (in Hinter- 
Pommern) wohnenden Bernstein - Fabrikanten Westphal in 
Dienst gestanden, gelangt fein. Nachdem der hiesige Kaufmann 
Kaempf durch den Maurermeister Neiutann ans Stolp hier 
von Kenntniß erlangt, wüßte er den Jageschütz zur Ueber- 
siedelung nach Berlin zu veranlassen, wo er ihm Unterhalt ge 
währte, und zwar aus keinem andern Grunde, als sich nach 
seinem Ableben auö seinem vermeintlichen Nachlaße be 
zahlt zu machen. Plötzlich reiste jedoch Jag> schütz in Folge 
einer an ihn ergangenen Aufforderung eines unbekannt Geblie- 
Lenen nach' Wittenberg unb starb daselbst 1869 kurze Zeit nach 
breitete sich das Gerücht, jene beiden hätten sich in Besitz der 
Jageschütz'schen Legitimationspapiere zu setzen und mit ihrer 
Hilfe die Mainzer Erbschaft zu heben gewußt, und sowohl 
Reimann als Kaempf chenkten demselben unbedingten Glau 
ben, wozu letzterer noch durch folgende sonderbare Umstände be 
stärkt wurde. Kaempss Frau besuchte nämlich eines Tages die 
„berühmte" Kartenlegerin Laduer, Gartenstraße 157., und 
erhielt von derselben die Auskunft, daß sie in eine äußerst schwie 
rige Erbschaftsangelegenheit verwickelt sei, die ihr dieselbe zu 
sein scheine, bezüglich welcher sich früher eine Dame ans Stolp 
bei ihr Rathes erholt habe. Befragt, welche die Art jener ge 
wesen fei, erzählte die Ladner, daß einmal eine fremde Dame 
sie behufs möglichen Antritts einer Erbschaft consultirt, jedoch 
die ans den Karten ersichtliche Erklärung erhalten habe, Latz 
dieselbe äußerst verwickelt erscheine, da die hierzu erfor- 
derlichen Papiere in unrechtmäßiger Weise in ihren Be 
sitz gelangt seien, wofür ihr Ehemann später einmal 
in das Gefängniß kommen werde. Bei diesen Worten 
sei die Dame im Gesicht ganz bleich und ihre Lippen 
blau geworden, dennoch habe sie das Begehren gestattet, ihr ein 
Sympathiemittel zu gewähren, vermöge dessen sie einen alten 
Manu, den betreffenden Erblasser, aus dem Wege schaffen könne. 
Frau Ladner habe zwar dies Ansinnen mit Abscheu zurückge 
wiesen, später aber nochmals den Besuch der Fremden erhalten, 
die ihr nun erzählt, daß die Erbschaft angetreten sei. Das letz 
tere keine andere als Frau Westphal gewesen, stand bei Kaempf, 
als er diese misteriöse Erzählung hörte, sofort fest; und nähere 
Recherchen seinerseits ergaben, daß die Kartenlegerin ans Per 
sonalbeschreibung und Photographie die Gemeinte recognoscirre. 
Nun reiste Kaempf. welcher aus dem Munde eines ehemaligen 
Rechners bei der Domfabrik in Mainz wissen wollte, daß in 
der That teuer die Jageschütz'schen Missionen hinter sich habe, nach 
Mainz, und setzte sich mit dem derzeitigen Rechner in Verbindung 
und legte ihm die Frage vor, ob er geneigt sei, eine in nächster Zeit 
liquid werdende bedeutende Erbschaft einer Dame ans Holland 
in Verwahrung zu nehmen, welche jener mit der Bemerkung 
daß der übst che Zinsfuß 4 pCt. betrage, bejahte. Einige Zeit 
später wandte' sich Kaempf schriftlich an den Rechner mit dem 
Ersuchen, ihm Mittheilung davon zu machen, ob bei der Dom- 
Fabrik eine 'Fahrschütz'sche Erbschaft deponirt sei, und wer den 
Zinögemiß-von derselben habe. Die Antwort lautete, daß eine 
'solche nicht bekannt fei, auch ftüher niemals bestanden habe, da 
die Bücher nichts dovon ergäben. Dessenungeachtet bestand
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.