© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 32
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Bremer
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Sonntagsblatt
Dritter Jahrgang.
M' 1.
Bremen, 7. Januar.
1855.
Inhalts - Anzeige:
Deutsche Gebräuche. Von Hermann Krause.
Natives und Knownothings. Von Franz Löher-
Bilder aus Spanien. Von A. Scubert.
Gedichte von Hermann Allmers und Balthasar Hunold.
Feuilleton.
* Deutsche Gebräuche.
Von Hermann Kranse.
Jacob Grimm's deutsche Rechtsalterthümer sind in zweiter, die
Mythologie in dritter Auflage erschienen. Beide Werke des verehrten
Altmeisters deutscher Wissenschaft theilen das Schicksal, daß sie un
verändert nach den früheren Auflagen abgedruckt dem Publikum ge
boten werden, wie einige Jahre vorher die Geschichte der deutschen
Sprache. Man ist sonst gewohnt, bei der außerordentlichen Gabe-
alles einschlagende Material zu finden, zu sichten und zu verarbeiten,
bei dem wunderbaren Fleiße Jacob Grimm's in jeder neuen Auflage
seiner Schriften ein fast neues Werk zu erwarten, jetzt aber nimmt
die Pflege des Wörterbuchs, dieses Schatzes unserer Sprache-, alle-
Zeit hinweg. Der Verfasser selbst sagt in dem Vorwort zur Mytho
logie, deren Bau er geschaffen, daß die große Regsamkeit des ge
weckten Sammlerfleißes, der steigende Wachsthum der Quellen und
Forschungen sie mancher Erweiterungen und Verbesserungen unter an
dern Umständen hätten theilhaft werden lassen. Schmerzlich ist es
ihm gewesen, seine Geschichte der Sprache unb nun gar die Rechts-
alterthümer unverändert abdrucken zu lassen. Grimms folgende eigene
Worte aus der Vorrede zum letzteren Werke sind wohl werth auch
ins größere Publikum zu kommen, da eines Theils die eigne Aeuße
rung eines großen Mannes über sein Schaffen immer Interesse er
regt, wir ferner aber auch daraus bedauernd sehen können, welcher
! Schatz bei den Rechtsalterthümern uns noch entzogen bleibt.
»Unter allen meinen Büchern, sagt Grimm, habe ich keine mit
größerer Lust geschrieben, als die Rechtsalterthümer, den Reinhart
und die Geschichte unserer Sprache; denn Grammatik und Wörter
buch überschreiten das Maß, das sich ein arbeitsamer Mensch fetzen
kann, der ihnen nicht ausschließlich verfallen will. Ihre Ausarbei
tung, obgleich man sich bald darüber vergißt, stellt insofern nicht
recht zufrieden. — Die Rechtsalterthümer, schon vor 26 Jahren
ausgegeben, behutsam niedergeschrieben und mit mehr Nachsicht, als
ich erwartet hatte, mich von Rechtsgelehrten aufgenommen, sind mir
in so langer Zeit nie aus den Augen entschwunden, und für sie
wurde die mühevolle Sammlung der Weisthümer, die einen Schatz
j von neuen Aufschlüssen enthalten, freudig angelegt. Das
I ganze Werk würde nun ein anderes und volleres Aus-
I sehn gewinnen, könnte ich Hand daran legen. Die Ver-
lagshandlung will aber nicht weiter darauf warten und das längst
vergriffene Buch nicht verschallen lassen."
Das ist wohl das beste Zeugniß, welchen Aufschwung diese Stu-
dien in Deutschland genommen haben. Eine weitere Besprechung der
Bücher wäre also durchaus überflüssig, wir nehmen uns daher die
Freiheit, statt dessen an einzelne Stellen der Rechtsalterthümer an
knüpfend einige heutige Bräuche, wie sie im Volke noch leben, und
die hier und dort jene ergänzen mögen, hier anzufügen.
Wenn wir zuerst den vielen Symbolen altdeutscher Gntsüber-
gabe folgen, so tritt uns zunächst die Ueberreichnng von Erde und
Gras, eines Wasen, Soden, Torfs oder Rastenstücks entgegen. Erst
neulich haben wir hier in unserm Nordwesten eine interessante An
wendung dieses Brauches erlebt; der oldenburgische Minister von
Berg vollzog die symbolische Uebergabe des nun preußischen kleinen
Iadegebietes, indem er eine kleine Erdscholle mit einem
Spaten abstach und diese dem Prinzen Adalbert über
reichte. Von der Uebergabe durch den Ast hat Verthold Auer
bach im vierten Bande seiner Dorfgeschichten ein neuerliches Beispiel,
wie er dort überhaupt die schwäbischen Vanernbräuche bei Gntsüber-
gaben prächtig schildert. Der abtretende »Lehnhold", den wir etwa
»Meier" nennen würden nach unsern Ausdrücken, der in das Ver
hältniß eines Altentheilers oder Leibzüchtcrs zurücktreten will, heftet
einen grünen Zweig an den Huk des Erben, dem er sein Gut abtritt,
und das Gesinde begrüßt diesen als Herrn. Messer und Beil
spielen dabei auch ihre Rolle. — Eine ähnliche Bedeutung hat im
alten Rechte der weiße, geschälte Stab, der Gerichtsftab, das Zeichen
„des Aufgebens und Besitzens der Gewalt." »Mit dem weißen Stabe
auswandern" ist noch immer, im Göttingischen wenigstens, eine üb
liche sprichwörtliche Redensart; der Umstrickte, Bestrafte, Landflüch-
tige, der sein Recht aufgegeben, oder dem es genommen, mußte ihn
tragen, jetzt braucht jenes Wort wohl ein herabgekommener Hand
werker, dessen Verdienst nicht reichen will, und der vergebens um
Hülfe gebeten: „da mot ck am enn mid en nntten stocke uttrecken."
Die bei Grimm genannten „spilen", die in den Goslarschen Berg
gesetzen statt des Stabes für Wahrung des Rechtes vorgeschrieben
werden, sind aber gewiß sowenig Prügel wie Spindeln, sondern
dünne, geschälte Stäbchen, heute nennt man dort Spielen
die weißen, kleinen Holzstäbchen, mit denen die Köchin den Braten in
seiner Lage befestigt, und mit denen auch vermittelst Durchstoßens
und Umdrehens der Därme die Würste geschlossen werden. Vielleicht
hängt das Wort mit dem im Bremischen bekannten spilln, zer
splittern, zusammen; ein Holzsplitter.
Wir wenden uns zum Symbole des Ohrs. Nach uraltem,
lange nicht mehr verstandenem Brauch wurde der Zeuge beim Grund
steinlegen oder Grenzsteinsetzen plötzlich in den Ohrlappen gekniffen,
oder auch den besonders dazu anwesenden Knaben eine derbe Ohr
feige verabreicht, damit sie genau ihr Lebelang die Stelle, wo dieses
vorgekommen, behalten. Grimm sagt S. 145 »In Sachsen (d. h.
unser Niedersachsen), Friesland, im Norden findet man weder gesetz
liche noch urkundliche Spuren eines dieser Gebräuche" und hält es
für dem bairischen Rechte besonders eigen. Der Brauch lebt aber in
Niedersachsen noch. Das Sonntagsblatt (Nr. 45 des vorigen Jahr
gangs) brachte erst kürzlich ein Beispiel aus dein Göttingischen, wo
die Bauerschaft zum ersten Male beim Flurumzuge die Knaben auf
dem Markstein bewirthete, statt ohrfeigte, wie ausdrücklich hervorge
hoben wurde. Ein Freund erzählt mir dies Ohrfeigen der Knaben
beim »Snaatgang" der Osnabrücker Laischaften; Theilnehmer des