Full text: Zeitungsausschnitte: Sonstige Veröffentlichungen Herman Grimms

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 31 
J\i 109. 6rfte Scilage jut ÄBtrigl. ptttrilegirten 23erlititfc$en geitung. 1861. 
(Sonntag ben 12. 3Jtai. 
m 
Prttulegium ber königlichen Sühne, ciaf* 
ftfdje Xragübieit jur SJuffüffrung ju bringen« 
©inige SBocben ftnb eS per, baß bureb bie pießgen 
33lätter bie Dotia ging, bie königliche Sühne habe auf 
baS ipr allein außepenbe Dedff, clafßfdje Draejöbien in 
Berlin aur Sluffübrung ju bringen, Seraicbt geletßet. 
Sielen war eS gewiß neu, baß ein folcbeS Prioilegium 
ejißirte, Diemanb Verlieb ^atte gegen beffe« Aufhebung 
etwas einjuwenben. 
Die Freiheit, weld?e ' jener Dadjricbt jufolge je^t erft 
gewährt fein fonte, muß fo febr alb bie erße Sebingung 
einer natürlichen ©ntwicflung ber bramatifeben Dtcbtfunß 
fowobl alb ber kutiß, ipre Skrfe baraußeHen, betrachtet 
werben, baß man ohne weiteres ben Mangel biefer grei» 
beit alb ben ©runb anfeben barf, ber ihrem gortfepritt 
bisher im SBeae geßanben. DaS Prinaip, bem btefe gol» 
gerung entfließt, ifì nacb su bielen Dichtungen bin gerate 
in unteren Sagen burepgefämpft unb au fcpließlüper 9lner» 
fennung gebracht worben, baß eine abermalige SeweiS» 
fübrung faft unnötpig er feinen muß. 
Slngenommen, bie Seißungen einer Sühne waren bie 
aubgeaeiebnetjien, wollte man ihr barauf bin in einer 
©tabt, welche geißig unb materiell alb bie .fpauptßabt 
eines großen DpeileS oon Deutfd^lanb betrachtet wirb, bab 
aubfcbließlicbe Decpt einräumen, berartige Weißungen an 
ptobuciren, fo müßte, bab auf ße felber rücfwtrfenb, ben 
übelßen ©inßuß haben. Denn nur im SSSetfßreit beßept 
überall bab Sortrefflicpe bie Probe, unb ber auSgeaeicp» 
netßen Seißung würbe’ bureb eine Sefcpränfmtg Oberer, 
nabbaneifern ober an überbieten womöglich, ber fcbönße 
Sbeil ibreb SBertpeS unb ibreb DupmeS oerloren geh«. 
DeSpalb burfte bab ©infen tener ©epranfen alb ein 
wirflidjer gortfepritt, alb etwab DotpwenbigeS angefepen 
werben; Sebermann mußte babureb befriebigtfein, herauf 
bem ©ebiete unterer tpeatralifcpen 3ußänbe oermißt, wab 
au oermiffen iß, unb berbeiwünfept, wab an wünfepen 
war. Die Degierung felbß proflamirte ßcb alb unaufrie* 
ben. @ie batte auf .fperoorbringung eines preiSwürbigen 
DramaS eine ©elbbelobnung auSgefept: wab aber fonnte 
bie ©ntßepung eineb folgen SBerfeS nüßen, wenn 
beffen Darßellmtg in S erlin auf eine cinjige be« 
ßimntte Sühne befepränft, oom SBillen beßimmter 
Meinungen abhängig gemacht unb in ber SluSfüpiung be» 
ßimmten unumgänglichen Kräften überantwortet blieb? 
SBelcper Siuöweg für ben Didffer, wenn feine Slnßdjten 
hier anberb lauteten unb wenn er auf ihnen beßeben an 
müffen glaubte? SBenn er a- S., nm etwab alb gana 
äußerlich febeinenbeb a« nennen, 3Jtußf in ben 3wi» 
fepenaften verlangte, ober bei fragen ber Sefeßung 
unb SluSßattung feine eigenen Sebingungen ßeUte? ©r 
mußte, wenn er ßcb nicht fügen wollte, überhaupt barauf 
ueraiebten, fein SBerf bißt aufgefübrt au febn. 3d) habe 
natürlich feinen beßimmten gali im Sluge, Diemanb aber 
wirb bie SDögltcbfeit folcber gälte in Slbrebe ßellen. 
Ueberpaupt aber, Diemanb wirb beßreiten, baß in ber 
freien ©oncurrena aller kräfte ber alleinige SmpulS 
aum gortfebritt liege, unb baß man biefen gortfepritt felbß 
ba noch immer im Sluge haben müffe, wo berfetbe, wie oiel» 
leicht bei ben Seißungen ber königlichen Sühne in Ser» 
lin ber gaU fein fonnte, nicht einmal mehr benfbar ober 
wünfebenöwertb erfebiene. 2lud) [eben wir überall in 
Preußen biefen ©runbfaß $ur Saßö ber Serbältniffe ge» 
macht: wo eö ßd) um geifitge Slrbeit banbclt ßebn jebem, 
ber ßcb betbätigen will, bie SSege offen; wo ße irgenb 
berfperrt erfebeinen, fuebt man ße au eröffnen, unb ber 
egtaat felbß bietet bie £anb baau. Privilegien irgenb 
welcher Slrt, bie früher alö etnö ber ßätfßen Mittel in 
ben £änben einer Degierung betrachtet würben, werben oon 
biefer felbß beute alö ein ^)inberni§ angefeb« unb nach allen 
Dichtungen bin befeitigt — unb bemtoeb, jene Dadjricbt hon 
ber Slufbebung beö Sorrecbteö ber bteßgen königlichen 
Sühne, clafßfcbe Sragöbien aur 2luffübrung au bringen, war 
»S 
falfd): eine aweite, bureb bießeitungen laufenbe Dotta be* 
lehrt unö, baß nur auönabmöweife au ©unßen beö 
@<baufpieler8 3ra Sllbribge baoon abgefeben worben fei 
unb baß übrigens baran feßgebalten werbe. 
2)er (Staat beßebt alfo barauf, bureb ihn allein burfte» 
bie SJteißerwerfe ber bramatifeben Literatur in ber^)auht= 
ßabt beS £anbe8 bargeßellt werben. — 
Söie würbe man urtbeilen, wenn hlöblicb bem $errn 
aJiußfbireftor Siebig unb anberen Herren, welche gleich 
ihm Seetbooen’S, 3Doaart’8 unb «papbn’S ©hmpbonien 
fbielen, ober welòe ^änbel’S, Sacb’S unb SDenbelSfobn’9 
Oratorien aur 5luffübrung bringen, bie ©rlaubniß baau 
entaogen würbe, weil biefeö Decbt allein ber königlichen 
kapeile unb bem Opernperfonal außänbe? @0 wäre 
burdjauö berfelbe gali. SDiefe Dirigenten, wenn ße nicht 
überhaupt Serlin au oerlaffen ooraögen, würben babureb 
geawungen fein, niebrigere Sonßücfe, Slanamußf, Potpour 
ris, aßärfdje unb bergleichen au fpielen. ^)aben fene 
©omponißen etwa bem (Staate ihre Sßerfe berfauft? 
würbe man fragen. «£>aben ©oetpe, (Schiller, ßefßng, 
kleiß unb ©baffpeare aber bieö mit ihren Sragö- 
bien getban? ^>at ber (Staat baS Decbt, bem Public 
fum, bem er beim Deübtbum unterer höheren brama» 
tifdjer Literatur alle bie SBerfe biefer SJtänner nicht ein» 
mal öorfübren fann, bie Sluffübrung berer, welche er über 
gebt, überhaupt unmöglich au mamen? Darf er neueren 
Slutoren, bereu Arbeiten er aurüefweiß, felbß wenn er 
biefen baS ©rfebeinen auf einer ber anbern bießgen 
Sühnen nicht bewehren wollte, bieö bennoeb babureb au 
einer Unmöglicbfeit machen, baß er bureb fein Privi 
legium bie Slbwefenbeit eines für folcbe Dichtungen geeig 
neten PerfonalS bewirfte? gür ben @enuß ber älteren 
SBerfe iß bieS Pribilegium eine Sefcpränfung, für bie 
©ntßebung neuer jcbod> eine Deprefßomaaßregel. Doch 
mehr, um gleich baS ßärfßeau fagen: bieS Pribtlegium iß, 
baS SfBortinibeal*pöilofopbif(hem@innegebraucbt, unmora» 
lifcb. Denn inbem ber Staat auf aßen bteßgen Sühnen wei 
nerliches, alberneS, weichliches, bummeS, fogar biS au einem 
gewiffen ©rabe fd)lüpfrigeS3eug ertaubt, beförbert er bie Pro* 
buftion folcber wertblofen Stbeaterßücfe unb hält bie ebelße 
Spätigfeit beS menfeblicben ©eißeS, — beim eS aiebt boeb 
wopl nichts eblereS als bie (Sdjriftßellerei eines SlefcbVloS, 
©opbofleS, ©bafefpeare, (Scbiller’S u. f. w., — gewaltfam 
aurücf. ©r bebauen ben niebrigen ©tanb ber bramati 
feben Dicbtfunß, er fe^t Preife auS, er ernennt eine kom* 
mifßon, bie Söerfe au prüfen: eS iß als wenn er gifepe 
auf bem Xrocfnen aüdjten wollte; benn woher follen bie 
©tücfe fommen, wenn bem Theater bie freie ©ntwicflung 
berwehrt wirb, ohne welche ihr natürliches <£>eroorfom= 
men gar nicht benfbar erfepeint? 
©S ließe ßcb gegen biefe Sebauptungen ber ©inwanb 
erbeben, gerabe weil bie ©rfebaffung unb DarßeUung beS 
höheren DrarnaS eine fo wichtige ©acbe fei, nähme ber 
(Staat felbß biefe Singelegenbeit in bie £>anb. ©ine ©teile 
müffe eS im tobe geben, bie ohne Dücfßcbt auf ©elb 
gewinn ober auf bloßes Slmüfement ber 3ufcpauer gleich» 
farn eiß SDußerinßitut bilbe, unb bamit biefem ber wür- 
bigße Plaß eingeräumt werbe, wolle er ihm in ber £aupt. 
ßabt beS SanbeS baS auSfcbließlicbe Decbt, iene beßen Pro» 
butte ber bramatifdjen Literatur baraußellen, »orbebalten, 
unb eS burch einen reichlichen 3ufd)uß an ©elb ber 
Düdßcpt auf kaffeneinnabme überbeben. Die fäbigßen 
köpfe berufe er, um bie SSabl ber ©tücfe, bie Dtetpobe 
ber Snfcenirung, fura aHe bie wichtigen Punfte au beben- 
fen unb berooraubeben, auf bie eS anfontmt, bie gemalßen 
künßler wähle er auS, um als königliche, 00m ©taate 
angeßeßte Darßeller aufautreten. 
Sch toeiß nicht, in wiefern bic pleßge königliche Süp» 
uenoerwaltung biefem Sbeale entfpriebt, ba mir beren Ser 
bältniffe burcpauS unbefannt ßnb. SebenfallS aber iß an* 
aunebmen, baß man nach Dtaaßgabe aller anberen öffent* 
lid}en ©taatSinßifute, au benen ebenfaßS nur immer bie 
beßen kräfte augeaaß^u werben, auch beim königli^en 
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