© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
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Fassen wir dies Wesen aber an sich als einen wichtigen Bestandtheil der
geistigen Atmosphäre des vorigen Jahrhunderts, so empfangen Tischbeins Corre
spondenzen allgemeines culturhistorisches Interesse. Wir werden durch diese
Mittheilungen so recht in das gesetzte Leben der Jahre vor und um 1800 ein
geführt. Napoleon hatte da bei uns noch nichts in Unordnung gebracht. Alles
stand seit Jahren an seinem Flecke. Ueberall geheiligtes, wohlgcpflegtes, rcno-
virtes Eigenthum. Ueberall Respect vor sich und Andern. Ueberall zarte Saiten
ausgespannt, die jeder Luftzug irrs Tönen brachte und für deren leiseste Schwin
gungen man ein geschärftes Ohr befaß. Heute sind wir sammt und sonders ja
doch nur Blechinstrumente, die, wenn das Schicksal nicht mit vollen Backen
hineinbläßt, keinen Ton geben.
Dieser Vergleich so nahliegender Vergangenheit mit unsern Zeiten, die so
ganz anders geartet sind, läßt auch schließlich noch Folgendes bemerken.
Im Allgemeitten weiß man heute nicht mehr viel davon. Die Mittheilung
bloßer Schriftstücke scheint kaum mehr thunlich. Soll ein Buch wie das des
Herrn von Alten eine gewisse Wirkung haben, so änuß es mehr verbindenden
Text enthalten. Hier z. B. wird die Kenntniß der Selbstbiographie so sehr
vorausgesetzt, daß auf dieselbe kaum verwiesen wird, selbst da nicht, wo eS von
Interesse wäre, Uebereinstimmung oder Unterschied zu betonen^ dies jedoch lassen
wir gelten, allein auch ziemliches Zuhausesein in Goethe's Briefen und in der
übrigen ihn und seine Verhältnisse betreffenden Litteratur wird gefordert —
wer besitzt diese heute? Die Zahl derer, bei denen solche Kenntniß selbstver
ständlich wäre, wie bei einer Dame Clavierspiel, Singen und Französischsprechen,
ist heute eine sehr geringe. In zehn Jahren wird sie noch mehr zusammen
geschmolzen sein. Es wäre gut, wenn sich Herausgeber ähnlicher Publikationen
diese Lage der Dinge recht sehr zu Herzen nehmen sollten.
H. G.