Full text: Rezensionen von Herman Grimm in den Preuß. Jahrbüchern (1872 - 1875)

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
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Fassen wir dies Wesen aber an sich als einen wichtigen Bestandtheil der 
geistigen Atmosphäre des vorigen Jahrhunderts, so empfangen Tischbeins Corre 
spondenzen allgemeines culturhistorisches Interesse. Wir werden durch diese 
Mittheilungen so recht in das gesetzte Leben der Jahre vor und um 1800 ein 
geführt. Napoleon hatte da bei uns noch nichts in Unordnung gebracht. Alles 
stand seit Jahren an seinem Flecke. Ueberall geheiligtes, wohlgcpflegtes, rcno- 
virtes Eigenthum. Ueberall Respect vor sich und Andern. Ueberall zarte Saiten 
ausgespannt, die jeder Luftzug irrs Tönen brachte und für deren leiseste Schwin 
gungen man ein geschärftes Ohr befaß. Heute sind wir sammt und sonders ja 
doch nur Blechinstrumente, die, wenn das Schicksal nicht mit vollen Backen 
hineinbläßt, keinen Ton geben. 
Dieser Vergleich so nahliegender Vergangenheit mit unsern Zeiten, die so 
ganz anders geartet sind, läßt auch schließlich noch Folgendes bemerken. 
Im Allgemeitten weiß man heute nicht mehr viel davon. Die Mittheilung 
bloßer Schriftstücke scheint kaum mehr thunlich. Soll ein Buch wie das des 
Herrn von Alten eine gewisse Wirkung haben, so änuß es mehr verbindenden 
Text enthalten. Hier z. B. wird die Kenntniß der Selbstbiographie so sehr 
vorausgesetzt, daß auf dieselbe kaum verwiesen wird, selbst da nicht, wo eS von 
Interesse wäre, Uebereinstimmung oder Unterschied zu betonen^ dies jedoch lassen 
wir gelten, allein auch ziemliches Zuhausesein in Goethe's Briefen und in der 
übrigen ihn und seine Verhältnisse betreffenden Litteratur wird gefordert — 
wer besitzt diese heute? Die Zahl derer, bei denen solche Kenntniß selbstver 
ständlich wäre, wie bei einer Dame Clavierspiel, Singen und Französischsprechen, 
ist heute eine sehr geringe. In zehn Jahren wird sie noch mehr zusammen 
geschmolzen sein. Es wäre gut, wenn sich Herausgeber ähnlicher Publikationen 
diese Lage der Dinge recht sehr zu Herzen nehmen sollten. 
H. G.
	        
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