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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
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16. Dezember. DEUTSCHE LITTERATURZEITUNG 1893. Nr. 50.
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achtens die Kritik die Restitution überall be
gleiten müssen. Der Aberglaube, der die dies
postriduani zu religiosi (vgl. Mommsen C. I. L.,
I. 2. Ausg. p. 296) machte, tritt in den Trium
phaldaten deutlich hervor, ein Beweis, dass die
schriftliche Fixirung der Triumphe erst nach dem
gallischen Brande erfolgte. Die beiden Daten,,
welche dagegen verstossen a. 305 (14. August)
und a. 700 (2. November) beruhen nur auf
falscher Ergänzung des Corpus inscriptionum.
Der gleiche Aberglaube haftet an den 'l agen,
welche als nefasti tristes bezeichnet sind. Ja man
kann beinahe mit Bestimmtheit sagen, dass in
der verstümmelten Stelle des Festus, welche die
Erklärung der nefasti hilares enthielt, (vgl.
Mommsen, C. I. L., I. 2. Ausg. p. 209) diese
als geeignet bezeichnet waren für die Abhaltung
der Triumphe. Denn in der Lücke, welche den
Worten et in provinjcias proficiscuntur]
vorangeht — es ist noch unt vom Verbum er
halten — wird [triumphos ag]unt zu ergänzen
sein, weil der Siegeseinzug die Lösung des Ge
lübdes bringt, das beim Auszug gelobt wurde ; die
Nennung des einen Aktes also nothwendig die
Erwähnung des anderen bedingt. Gegen die
Regel, das die dies nefasti tristes für den Triumph
es immer genügt zu sagen, der religiöse Charakter
nicht geeignetsind, verstösst dieTafeloft, ohne dass
des Tages wurde nicht beachtet. Denn, wenn in
historisch heller Zeit a. 587 die Tafel mit Livius
den Triumph des Octavius auf den 1. December
verlegt, also auf den Tag nach dem Triumph
des Paulus, so hat die Ueberlieferung Diodors
31. 8, 10, welche den Octavius seinen Triumph
vor Paulus feiern lässt, schon aus diesem Grunde
allen Anspruch, die richtige zu sein. Noch weniger
Vertrauen können Triumphe aus der Sagenzeit er
wecken, wenn sie aufsolcheDaten fallen. Dem Hefte
ist eine Abbildung der Reste des Capitolinisehen Ver
zeichnisses im Lichtdruck, welche auf Grund von
Abklatschen verfertigt ist, beigegeben. Welchem
Zwecke diese Tafeln dienen sollen, ist uns un
erfindlich. Denn Niemand wird Schöns Ausgabe
oder das Corpus auf Grund dieser Tafeln kon-
trolliren können oder wollen.
Heidelberg. v. Domaszewski.
Xenien 1796., Nach den Handschriften des Goethe-
und Schiller-Archivs herausg. von Erich Schmidt
und Bernhard Suphan. Mit einem Facsimile.
(Schriften der Goethe-Gesellschaft. Im Aufträge des
Vorstandes herausg. von Bernhard Suphan. 8. Band.)
Weimar, Böhlau, 1893. XXXVI u. 268 S. 8°.
Eigentlich genügte es, nur das Erscheinen des
Buches anzukündigen. Was wir empfangen, bildet
eine der grössten litterarischen Ueberraschungen.
Die beiden Dichter schaffen ein Werk, das jedem
einzeln für sich und zugleich doch als unzertrenn
bares Ganzes beiden angehören soll. Vor unseren
Augen arbeiten sie daran. Plötzlich geht ihnen
auf, das Unternehmen sei der Masse nach zu
gross, dem Geiste nach nicht mehr das, was es
dem anfänglichen Gedanken nach hatte sein
sollen. Unbarmherzig wird nun abgeschnitten
was zuviel erscheint — es fällt unter den Tisch,
wie man auf Redaktionen sagt — und Schiller
giebt dem Reste eine neue Anordnung. Wie und
warum das geschieht, erzählt die von den Edi
toren gemeinsam verfasste Vorrede: auch sie
beide treten für diese Einleitung ein, als habe
jeder allein sie geschrieben. Dann folgt der
Text des Manuskriptes von 1796: die noch un-
verringerte Masse in der ursprünglichen An
ordnung. Dann eine Fülle höchst lehrreicher
erklärender Noten.
Die Xenien sind ein Phänomen einziger Art.
Keine Litteratur besitzt Aehnliches. Ihr uner
schöpflicher Inhalt, das Ueberströmende dieses An
griffes, ihr Autfliegen wie eine Schaar stechender
Insekten, hat für uns heute noch etwas Betäubendes.
Ihre momentane Wirkung muss fürchterlich ge
wesen sein. Denn es vereinigte sich hier die
doppelte Wirkung des beleidigenden Gedankens
und der vollendeten Form, durch welche ihm
Dauer gegeben ward. Heute noch wirken sie
und machen die Betroffenen lächerlich, die nun
freilich den Xenien oft verdanken, dass man über
haupt noch von ihnen wisse. Die Versuche, sich
zu wehren oder sich zu rächen, wobei dann zu
weilen wiederum dichterische Form gewählt ward
(die niemals aber dauernden Erfolg hatte), das Be
ginnen Einzelner, der Feinheit des Angriffes, der
niemals d r Grazie entbehrte, grenzenlose Grob
heit und Verleumdung entgegenzusetzen, sind nur
allzu verständlich. Die zu Anfang des Jahr
hunderts besonders in Berlin, wohin Kotzebue
sich zurückzog, hervorbrechende giftige. Feind
schaft gegen Goethe fand in ihnen ihren Ursprung
und hat ihm später genug zu schaffen gemacht.
Berlin. Herman Grimm.
A. Mühlan, Jean Ghapelain. Eine biographisch-
kritische Studie. Leipzig, G. Fock, 1893. 124 S. 8°.
Eine Ehrenrettung beabsichtigt der Verf., an
geregt besonders durch Tamizey de Larroques
Ausgabe der Briefe Chapelains, und dem Testa
mente des Dichters entsprechend, welcher die
Ordnung seines Nachlasses gerade »um der Ver-
theidigung seines guten Rufes willen« gewünscht
hatte. Freilich sind die bekannten Urtheile
Boileaus, der Herzogin von Longueville u. a. m.
über den Dichter Chapelain als Urtheil der Nach
welt nicht umzustossen; sie werden durch ein
gehenderes Studium Chapelains und seiner Bio
graphie nur bestätigt; denn er hatte schon 1635
erkannt, dass ihm die Musen nicht hold seien,
dass seine Gedichte weniger Werth hätten, als
er selbst, dass man ihn mit Gewalt zum Dichter
machen wollte, gegen seine eigene Neigung (S. 1 3).